| Otto
        Betz, Veronika Straub (Hrsg.), Bettine und Arnim. Briefe der Freundschaft und
        Liebe, 2 Bde. (Frankfurt am Main: Knecht 1986/87), Bd. 2 (1987), 241-246
 Achim v. Arnim an Bettina Brentano, Berlin, 5. 9. 1809
 
 Liebe Bettine! Clemens wäre schon bei mir, hätte er sich nicht bei Reichardts den Fuß
        versprungen; ich meine, es hat nicht viel auf sich, aber er ist gern da, vielleicht
        verliebt, und ist gern gesehen. Grimm wird mit ihm kommen, und dann wird meine Wohnung
        bewohnt sein wie eine Caserne. Ich sehe schon das Laufen durch die Zimmer, die durch-
        <242:> kreuzenden Plane. Die ganze Gegend liegt mir im Kopfe und ich wähle und
        probire, wo ich sie hinführen kann, um ihnen den Sand möglich zu verstecken. Es ist
        jetzt ein lustig Lager vor unsern Toren, und während die kriegführenden Mächte ihren
        Waffenstillstand halten, werden hier die kühnsten Angriffe, Überfälle usw. gemacht. Die
        guten Tyroler, kein Mensch auf Erden schießt so gerecht  ich möchte ihnen
        meine Büchse schenken, so lieb ich sie habe  o ihr lieben Berge, Du siehst
        doch wenigstens die letzten Spitzen im Abendrot! Im Monde, wo die ungeheuern Ringgebürge
        sind, was muß es da für Menschen geben! und es ist ein vortrefflicher Einfall von der
        Erde, daß sich vulkanisch noch immer Berge erheben können, wo jetzt Flächen sind; so
        seh ich in der Zukunft mein Vaterland auch mit ungeheuern Bergen bedeckt, die Menschen
        werden sich dann auch zeigen. Die Buben singen stückweis auf den Straßen in sehr
        schöner Melodie ein Trauerlied: ein Korporal von neunundzwanzig Jahren zeigt darin seinen
        Tod an, er bedauert nichts als daß er nicht mehr lieben kann, auf seinem Grabsteine soll
        nichts stehen als: Deutschland ist mein Vaterland; ich finde die Grabschrift entsetzlich
        rührend.
 
  Eben erhalte ich wieder einen
        so lieben Brief von Dir, den mit Rumohrs Landschaft, ich schlag mir gegen den Kopf, daß
        ich meinen Brief nicht früher abgeschickt, aber es gibt so Zeiten, wo das Schreiben nicht
        genügt, vielmehr ärgert; warum soll von so manchem Gedachten, von so manchem
        Gewünschten gerade dies gesagt, ausgedrückt sein! Du denkst Dir meinen Zustand zu
        reizend, wenn ich auch zuweilen Abends meinen Rock ausziehe und sehe durch Pistors
        neugeschliffene Gläser die Jupiterstrabanten und den gehenkelten Saturn; die ganze
        himmlische Wirtschaft verschiebt sich in ein paar Stunden so gewaltig, daß ich einige
        Frauenzimmer anstaune, welche die halbdunstigen Plejaden auf den ersten Blick erraten. Was
        Du auch von meinem Dichterwesen rühmen magst, es erfüllt mich so wenig und beschäftigt
        mich so gering, daß ich Abends gern in die nahgelegnen Dörfer laufe, die wirklich
        viel <243:> Reizendes haben, und den Handwerkern zusehe, wie sie ungeheure
        Körbe leer fressen und sich noch darüber als ein Kunstwerk freuen. Dann fahr ich mit
        ihnen Abends nach Hause und freu mich, wenn die Gesellen den Mädchen in den Häusern
        vorbeirollend zeigen, wo ihre Schlafstelle, wo der Würzburger wohnt, wo sie alle Tage
        vorbeigehen. 
  Neulich war ich auf einem
        ganz dickgedrängten Volksfeste in Stralau, einem Fischerdorfe\1\; die beste Lage bei Berlin, die Kirche liegt fast mitten in der Spree,
        und es wird an dem Tage über Petri Fischzug gepredigt. Eigentlich ist aber der ganze
        Fischzug, der die Veranlassung zu dem Feste gegeben, für die Menge ein Hörensagen, er
        geschieht vor Sonnenaufgang, jeder aber denkt, was er an Fischen bekömmt, sei an diesem
        segensreichen Tage gefangen, dem die Prediger eine besondre Fruchtbarkeit aus
        langbestätigter Erfahrung der Kirchenbücher zuschreiben. Die wenigsten Menschen finden
        Platz auf den eilig rück- und vorwärtsrudernden Gondeln, Kähnen, großen Schiffen;
        alles wird benutzt, aber die meisten kommen doch zu Fuß und zu Wagen, und das Gedränge
        dieser Wagen, von denen die meisten zwölf Menschen tragen, ist so groß, daß, ungeachtet
        ein Stadttor zur Einfahrt, das andre zur Ausfahrt bestimmt, doch fast immer langsam
        gefahren werden muß. Die Wirtshäuser können die Gäste durchaus nicht bewirten oder
        fassen, der ganze Kirchhof ist mit Marketendern und Zelten bedeckt, Äcker, Wiesen und
        Wald zeigen allerlei Feuer von Leuten, die ihre Gerichte mitgenommen und dort aufwärmen.
        Nur an den entferntesten Punkten ist Platz zum Tanze, da wenigstens 40000 Menschen
        dort umherstreifen. Da sieht man aber auch sechzig, siebzig, die der Zufall
        zusammengeworfen, Katz und Maus spielen, walzen. Am Wasser ist ein beständiges Geschrei
        Alleweile, alleweile von den Schifferbuben, die ihre augenblickliche Abfahrt
        anzeigen, denn es geht immer kreuz und quer wie am Webstuhle, wo Damast gewebt wird, nach
        drei Richtungen, Stralau, Treptow, Rummelsburg, so daß immer einer der Namen dazu und
        dagegen erschallt, wobei wohl zu merken, daß Rummelsburg in der
        Volksempfin- <244:> dung eine Art lächerlicher, scandalöser Bedeutung hat.
        Die Nacht war kühl, aber prächtig, die Feuer rings an der Kirche, die Leuchtkugeln an
        den Gärten und das Geschrei über die ganze Ebene, womit die Kinder noch ein Stück ihrer
        Lust mit zuhause nehmen und bewahren wollten, es war wohl ein Triumphzug über das listige
        Volk der Fische, über deren scheue, flüchtige Haufen mein Ruderschlag in dunkeln Wellen
        hinrauschte Abends. Bei einem Bekannten tanzte ich im Dorfe bis Morgens früh in einer
        Gesellschaft; als die Welt hell war, jagten wir auf dessen offnen Wagen in die Stadt, daß
        die weißen Mähnen unsrer Pferde wie die Sonnenpferde vor uns aufstiegen. Aber so gut
        wird es einem nur selten, und ich mußte Dir doch ein Wort davon sagen, wie man wohl ein
        Stück Kuchen den guten Kindern vom Kindelbier mitbringt. 
  In unserm Hause ist jetzt
        viel Kindergeschrei, die Pistor hat zum Frühstück in voriger Woche einen völlig roten
        Buben geboren\2\, es geht ihr recht wohl
        dabei.  Mein Garten ist in seinem höchsten Glanz, ich kann Rumohr nichts
        andres als Dank für seine Cöllner Zeichnung schicken, als eine Bezeichnung desselben\3\; da kein Pinsel ihn erreichen kann, so hab ich es
        ganz aufgegeben, ihn zierlich zu malen, der Stuhl in der Laube ist bloße Idee, bis jetzt
        steht keiner darin. Ich stelle mich zuweilen wie eine Statue hinein und beschaue den
        Farbenreichtum. Und doch möchte ich zur Weinlese an den Rhein.  Boisserée und
        Löw haben mir sehr leid getan; es gehen viel Bessere drauf. Heinrich
        von Kleist\4\, der Herausgeber des Prometheus\5\, ist in Prag bei den barmherzigen Brüdern
        gestorben, Seckendorf bei Linz gefallen\6\. 
        Ist der Gypsgöthe noch nicht angekomen? Viel Grüße an Grimm, er soll mir nur Dein
        Gesichtchen nicht zu klein radiren\7\, daß ich es
        küssen kann. Achim Arnim. 
          
         Herz, sprich an, was treibt mich aus dem Bette?Wird mich heut ein Cöllner Freund begrüßen? <245:>
 Oder werd ich an die Arbeit müssen?
 Mach ich lieber träumende Sonette?
 
 Nein, ich muß die bunte Wind begießen,
 Die mit ihrer blau beblümten Kette
 Sich zum Baume gern geschlungen hätte.
 Früh geschöpft soll schöpfrisch Wasser fließen.
 
 Wie ich also trete in den Garten,
 Beide volle Kannen in den Händen,
 Ei, da seh ich, daß sie mein nicht warten,
 
 Stille Nacht tät all ihr Sehnen enden,
 Hat den Baum verbunden mit den zarten,
 Ich sollts sehen  und im Bild dir senden.
 
 Weitere Erklärung des Bildes: Die Laube, Feuerbohnen und bunte Wind. Der Baum
        Akazie. Der Gärtner mit den beiden Gießkännchen bin ich. Eine Kreuzspinne hat mir die
        Aussicht benommen. Die Nachbarn sehn mit Verwunderung nach meinem Garten, der das achte
        Wunder der Welt ist. Gedenk dabei an Deinen Achim Arnim.
 
 
  <Abb.> 
          
          Zwei arme Tropfen. Der arme Tropfen,Der nach dem Begießen im Kännchen bleibt, <246:>
 Den spielend der Gärtner weit von sich treibt
 Und sprützet ihn in die Weite,
 Als wenn er vom Himmel schneite,
 Der füllet noch eine Viole mit Tau,
 Drum küsset sie gleich die schöne Jungfrau!
 Der Gärtner, der siehets von ferne und denkt:
 Wie hab ich so törigt mein Glücke verschenkt,
 Wie macht ich so manchen Glückswurf der Welt,
 Da mir doch nimmer ein Glücke zufällt,
 Mir armen Tropfen.
 
 \1\ Der Stralauer Fischzug fand immer am 24. August
        statt (Steig II, S. 328, Anm. 1).
 \2\ Johann Wilhelm Pistor, geboren am 21. August
        1809.
 \3\ Das heißt: eine Zeichnung des Gartens.
 \4\ Heinrich von Kleist, der sich seit Juni 1809 in
        Prag aufhielt, wo er mit der Gründung einer neuen Zeitschrift Germania
        Einfluß auf die Befreiungsbewegung nehmen und sie unterstützen wollte, war dort schwer
        erkrankt und wurde in langen Wochen bei den Barmherzigen Brüdern gesundgepflegt. Die
        Nachricht, daß Kleist in Prag gestorben sei, findet sich auch in dem Brief Clemens
        Brentanos an Savigny vom 26. September (Fuchs, S. 413).
 \5\ Verwechslung Arnims; die von Kleist zusammen
        mit Adam Müller herausgegebene Monatsschrift hieß Phöbus; der
        Herausgeber des Prometheus war Leo von Seckendorff.
 \6\ Leo von Seckendorff, der am 6. Mai 1809 bei
        Linz schwer verwundet worden war, fand drei Tage später in einem brennenden Haus den Tod.
 \7\ Am 13. September teilte Ludwig Emil Grimm Arnim
        mit: Ich habe die Mademoiselle Bettine gezeichnet und bin jetzt am Radieren, und
        sobald sie fertig ist, bekommen Sie gleich Abdruck geschickt. (Steig VI, Sp. 752).
        Arnim erhielt die Radierung jedoch von Bettine erst mit einem Brief vom [21.] November (B
        115).
 \7\ Das Gedicht und die nachfolgende Erklärung des
        Bildes hat Arnim auf die Rückseite der Zeichnung geschrieben.
 
 
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