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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Ludmilla Assing-Grimelli (Hrsg.), Briefwechsel zwischen Varnhagen und Rahel. Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense, 6 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1874/75), Bd. 2 (1874), 111-115

Karl August Varnhagen v. Ense an Rahel Levin-Robert, Burgsteinfurt, 27. 12. 1810

Burgsteinfurt, den 27. December 1810.
Ich höre Dich aufschreien, geliebte Rahel, wenn Du diesen Brief erbrichst, und siehst, daß er noch immer aus Burgsteinfurt kömmt; auch hatte ich mir vorgenommen, von hier aus gar nicht mehr, oder wenigstens nicht eher zu schreiben, bis ich zugleich die bestimmteste Nachricht von der Abreise geben könnte. Nun hat mich aber ein nothwendiger Brief, den ich in fremder Angelegenheit an meine Schwester schreiben mußte, wieder in Zug gesetzt, und ich will Dir sagen, daß wir leider noch immer hier aufgehalten sind, und unsere Abreise sich von einem Tage zum anderen verzögert. Wären wir doch wenigstens erst in Lich, wo wir zwar wieder, wenn das Unglück es will, festsitzen können, aber doch näher unserem Ziele sind, und ich wieder in menschliche Verbindung trete, denn alle meine Briefe, aus Berlin, Hamburg, Paris, Wien oder Prag habe ich dorthin adressiren lassen, wo sie bei der Fürstin von Solms aufbewahrt werden. Ich würde sie längst von dort haben hierher kommen lassen, aber mein Oberst will es nicht gern, und es ist wahr, jeder neue, aufdämmernde Tag kann die Abreise möglich machen, so daß wir immer auf dem Sprunge sind. Diese Möglichkeit, daß wir jeden morgenden Tag wegfahren dürften, hindert mich in allem, was ich beginnen will: ich mag und kann keine Einrichtung treffen, keine Arbeit anfangen, deren mir doch so viele und wichtige vor der Hand liegen, aber einige sind so, daß sie sich nicht abbrechen lassen, andere bedürften vieler Hülfsmittel, die sich hier nicht finden, und die, falls ich durch Geld und Mühe sie hier zusammenbrächte, dann durch die plötzliche Abreise verloren wären, oder dort fehlten, wo ich hinginge. Unlustig und ohne vielen Nutzen verbring’ ich so die Tage, die zwar manche Annehmlichkeit des äußeren Lebens bieten, aber dessen entbehren, was jeden Umständen erst Werth giebt, freien erweckten Sinn, Liebe und Kraft unter Freunden. Mein Oberst ist von der äußersten <112:> Ungeduld; und so lange wir hier sind, kann es nicht besser werden, die wichtigsten Angelegenheiten machen seine Anwesenheit in Wien jeden Augenblick nothwendiger. Lange darf es wirklich nicht mehr dauern, wenn nicht die größten Verdrießlichkeiten entstehen sollen; der Urlaub ist auch schon abgelaufen. Zum Unglück ist jetzt auch seit drei Wochen ein französischer Oberst hier im Quartier, dessen Gesellschaft die Reize dieser Wintertage nicht vermehrt, obwohl er ein ganz guter Mann ist. Das unaufhörliche, warme Regenwetter macht fast alles Ausgehen unmöglich, dabei stürmt es, daß man in dem alten Schloß, das frei und vom Wasser umgeben steht, vor Klappern und Heulen fast nicht schlafen kann, eben jetzt hör’ ich auf dem Hofe ausgerissene Dachziegel niederstürzen, und zwanzigmal hab’ ich schon gedacht, ein Stück Gebäude wird nachfolgen: das wäre etwas für Rahel, mein’ ich! Solch sonderbares Wetter, das seit zwei Monaten kaum durch einige Nächte da es reifte, unterbrochen wurde, habe ich in dieser Jahreszeit nie erlebt, befinde mich auch gar nicht wohl dabei, und bin nur froh, so gesund durchzukommen, während rechts und links die Menschen von bösen Krankheiten plötzlich hingerafft werden. Ganz unvermerkt bin ich wieder in meine Lieblingslebensart hineingefahren, daß ich um Mittag aus dem Bette steige, und den größten Theil der Nacht lese, schreibe und Thee trinke. Der kurze Tag ist schnell vorbei, die Tafel, Billard nach Tische, Schach mit der Fürstin beim Theetrinken, nehmen die beste Zeit hinweg, und zerstückeln was übrig bleibt. Gespräch giebt es nicht viel, für mich eigentlich aber gar nicht, die Mädchen sind prosaisch (ich weiß diesmal kein besseres Wort), mein Oberst ist still, und ich auch eben nicht sehr beredt: wer mich am meisten freut, ist der herrliche wackere Erbgraf Alexis, dem es nur an wenigen Sachen fehlt, um mir ein lieber Freund zu werden: dazu gehört aber vorzüglich, daß man seine Lebensgüter, Ansichten und Formen aus gemeinschaftlicher Quelle geschöpft, oder mit gleichem Sinn durch dieselben Lebenswege gegangen sei, sonst kann wohl Uebereinstimmung, Zutrauen, gemeinsames Wirken, aber nimmer die holde Innigkeit und Freundschaft entstehen. Mit Bedauern seh’ ich das auch an meinem Obersten, der mich liebt und schätzt, und von mir sehr geliebt wird: wenn er oft so innig freundlich zu mir spricht (er hat unwiderstehliche Gabe einnehmend und wohlthuend zu sein) und ich denke, jetzt sind wir auf gleicher Stelle mit <113:> unseren Gemüthern, nehmen mir plötzlich himmelfremde Worte meinen Wahn, und ich sehe mit Schrecken, daß er mich nicht versteht, und alles anders versteht, als ich es verstehe. Wie sehr sehne ich mich nach dem ehemals so gewohnten, so reichgewährten Umgang mit den Freunden! Oft glaubte ich Neumann müßte sogleich zu mir hereintreten, und mein nächtliches Schreiben und Lesen mitmachen, wie ehemals in Hamburg und Halle. Selbst in Tübingen, diesem Bußort meines Lebens, vergingen doch wenige Winterabende, daß nicht Kerner mich besucht hätte. An Dich denk’ ich mit tiefer Inbrunst, meine einzige Rahel! alle Süßigkeit Deines liebreichen Wesens dringt mir in’s Herz, und alle Fülle und Gewalt Deines Geistes versammelt sich um mich! Mit Liebkosungen möcht’ ich Dich überschütten, und ohne Aufhören Dich umfassen! Neulich wurden mir die Gedanken an Dich so lebendig, daß ich in die Unruhe verfiel, die aus Sehnsucht zu einem fernen Gute, den gegenwärtigen Zustand vernichten will. Auch Deine Briefe mußt’ ich weglegen, das Lesen brachte mir Sinn und Herz in zu gewaltsame Schwingungen. Hätte ich nur das ganze Paket! Ich verzeih’ es mir nie, mich davon getrennt zu haben! – Ich stellte mir heute vor, wie Du, meine geliebte Rahel, wohl diese Tage verbringen magst: den Weihnachtsabend hast Du gewiß gefeiert, und Kinder gesehen und erfreut; ich freute mich des Rubins, den ich vor zwei Jahren in Tübingen von Dir erhielt mit so edlen Worten, und den ich täglich trage, an diesem Abend doppelt! Sonst gehst Du wohl wenig aus, siehst wenig Leute (ich wünsche Kleist noch) und lenkst und schüttelst die gebadete Gute! Wenn Du nur gesund bist! Daß der Wind immer aus Süden bläst, wird Dir nicht zuwider sein! – Ich hoffe, geliebte Rahel, Du hast meinen letzten ausführlichen Brief richtig erhalten, ich wäre untröstlich, wenn er verloren wäre! Ich habe mich darin gerechtfertigt, wenn nicht durch den Inhalt, doch durch die Art und Weise, gegen viel Bitterkeit, die Du gegen mich ausgestoßen hast: mir ist Deinetwegen lieb es gethan zu haben, ich für meinen Theil könnte jede Beschuldigung von Dir ertragen, so lange ich mich der Schuld frei wüßte; meine Ergebenheit zu Dir hat keine Gränzen in mir, wenn schon der Umgang, und das Leben der Welt mich oft erscheinen läßt als forderte ich sie vielmehr von Dir gegen mich: auch jetzt flogen mich bisweilen Aufwallungen an, Dir <114:> recht zornig zu schreiben, und ich mußte lachen mir gleich recht boshafte Ausdrücke unter der Zunge bereit zu finden, wie damals, da ich Dir sagte, ich möchte Dir alles Fleisch in ganz dünne Scheibchen schneiden, worüber Du mich gleich küßtest. Nun weiß ich noch gar nicht, wie Du meinen Brief aufgenommen hast, ob wild oder gütig, ob Deine Antwort schmerzlich ist oder munter, sie liegt wahrscheinlich in Lich – und ich schreibe Dir gleichwohl unbefangen weiter, wie sie auch ausgefallen sei, wir bleiben uns ewig, ich wüßte nichts, was mich und Dich entzweien könnte, an Deine Wahrheit, an Deine Rechtschaffenheit und Güte bin ich mit demantenen Ketten des innigsten Glaubens auf ewig gefesselt, wie ein frommer Christ es nur an den Erlöser sein kann, in welchem sich ihm das Beste des Himmels und der Erde offenbart hat! Es könnten mich viele der Abgötterei beschuldigen, aber es hat ja jede Kirche Heroen oder Heilige! – Was sprichst Du denn jetzt, meine liebe Rahel, von den neuen Gewitterwolken, die über die Staaten herziehen? glaubst Du, daß sie ohne Donner und Blitz vorübergehen werden? Vor etwa sechs Monaten riefst Du aus, was ich von einem neuen Kriege spräche, das sei einmal wieder ein deutscher Traum! Du siehst, nicht alle Träume sind leer, und war was ich sagte ein Traum, so war es ein wahrhaftiger von Zeus. Und schon früher, schon den vergangenen Sommer wär’ er in Erfüllung gegangen, ohne die Tapferkeit der Spanier und Engländer. Wie es in dem bunten Wesen dann mir ergehen wird, weiß der Himmel, ich wage nicht das Geringste zu bestimmen, ich bin ganz ein Spiel des Zufalls, nur das weiß ich, daß ich nichts thun werde, was mich falls ich achtzig Jahr alt würde und ganz andere Zeiten erlebte, reuen könnte; aber gewiß ist mir auch verhängt, daß es mir nach Wunsch und Lust nicht ergehen wird, denn so geht es jetzt noch jedem deutschen Jüngling, daß er, will er thätig sein, manches schlimme in seine Thätigkeit aufnehmen muß, und will er ruhen, seine Ruhe vielem, was er befördern möchte, entsagen muß. Was macht denn Marwitz? hast Du Briefe von ihm? ich grüße ihn herzlich! – Diesem Briefe leg’ ich einige Blätter bei, die Du Neumann mittheilen sollst und dieser Fouqué, ich will sie aber alle wiederhaben. Ich sehe auf einigen steht Dein Name: das kann mich aber weder abhalten, noch auffordern, sie Dir zu schicken. Oft rauscht unter vielem trüben Gewässer ein hellklarer, frischer Quell aus <115:> meiner Feder, aber es ist eine Gabe, und ich bin ihrer nicht Meister. Manche allerliebste Anekdote hab’ ich in meinen Papieren: aber in einen Brief will sich nicht gut alles fügen. – Von Büchern hat mich lange nichts so sehr erfreut als Arnim’s „Gräfin Dolores“, die Du nothwendig lesen mußt, ich binde es Dir auf die Seele! Willst Du mir nun, liebe Rahel, noch hieher schreiben? dann thue es gleich! Ich überlasse es Deinem Ermessen, wie mir ein Brief von Dir Licht und Freude bringen würde: aber Du bist vielleicht müde mir zu schreiben, und verdrießlich über die Irre, und daß ich Deine Briefe in Lich nun noch nicht gelesen habe; drum will ich jetzt kein Schreiben von Dir fordern. Im Fall Du mir aber hierher schreibst, und ich wäre schon abgereist vor Ankunft des Briefs, so bringt mir ihn der Erbgraf Alexis, der auf jeden Fall später reist, nach Lich mit, verloren kann nichts gehen. Leb wohl, meine innig geliebte, theure Rahel! Leb wohl, und behalte mich lieb! Ewig Dein treuer
Varnhagen.
Viele Grüße an die Gute, an Neumann, Kleist, Schede’s.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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