Ludmilla
Assing-Grimelli (Hrsg.), Briefwechsel
zwischen Varnhagen und Rahel. Aus dem Nachlaß Varnhagens
von Ense, 6 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1874/75), Bd. 2
(1874), 74-77
Rahel Levin-Robert an Karl August Varnhagen v. Ense,
Berlin, 6. 6. 1810
- Mittwoch
thu mir doch den Gefallen,
auch die Tage der Woche beim Datum zu
setzen den 6. Juni 1810.
- In meinem
Leben habe ich noch nicht ein so langes Herzpochen gehabt,
als bei Deinen Briefen vom 27. Mai und 1. Juni
aus Prag. Vor Aerger, Unmuth, Verzweiflung, Erwartung,
Schwäche. (Es gehen hier Bräunen herum, ich hab
einen heftigen, stickigen Husten ohne Fieber; und geh
dabei aus.) Ich dachte, beim Allmächtigen! es höre nicht
wieder auf. Bekommst Du denn meine Briefe nicht? Zwei
hab ich seit Schedens hier sind, geschrieben. Im
letzten Dich gebeten, um Gottes willen mit Mad. Bethmann,
und, ist das zu spät, mit der Post für meine Rechnung
mich holen zu kommen. Du mußt hierher. Auch nach Kassel
hatte ich Dir die Ehre zu schreiben, wie Du befahlst.
Aber Du warst ja schon weg, wie Dus immer machst.
Nun höre bündig meine Meinung! Aber nur noch vorher
diesen Fluch, denn ich möchte vergehen!! Was ist
das, daß Du meine Briefe nicht kriegst? Mein letzter vom
27. Mai, hab ich ausgerechnet, muß grade am
1. Juni angekommen sein: denn fünf Tage gehen die
Sakramenter, das sehe ich an denen, die ich bekomme. Aber
warum hast Du meinen ersten nicht bekommen? Weil Du bei
Kinsky warst. Nun höre! Nach der Türkei gehst Du
nicht. Eine Wunde ist genug. Soldat bist Du
nicht. Du nimmst also den Abschied. Für den Sommer
hab ich zu leben: für länger rath ich es uns
auch nicht wonicht in einem wohlfeilen Ort
von meinem Wenigen zu leben. Knapp leben ist und
muß gemein machen. Leidenschaften können nur dazu
bringen es zu ertragen. Warum aber wolltest Du den Sommer
nicht an meiner Seite leben? und vielleicht den Winter?
Zu Hrn. Dehn nach Altona ist es dann noch Zeit.
Mit Deinem derangirten Grafen rath ich Dir nicht
Dich zu verketten. Geld, Mittel muß ein Held haben,
ein Großer. Keine Schwindelgeschäfte wie Prinz Louis!
sonst sind seine Genossen unglücklich, wenn sie ihn nicht
bestehlen. Dies <75:> geht bei den zerrüttetsten
Vornehmen noch immer an. Du aber, wärst immer nur sein
leidiger Vertrauter, Freund, Adjutant, Bedienter, Attaché,
wovon er viel, nämlich einen Freund wie Unsereiner, und
Du nichts hättest. Da gefällt mir eine Anstellung
hier bei Humboldt besser. Also Du nimmst Deinen Abschied,
und holst mich auf der Stelle. Denn denke Dir
nur meine Wuth, die in keinen Brief mehr hinein geht!
Seit Monaten will ich schon in Teplitz sein, und weiß
noch nicht wie ich wegkommen soll. Habe keinen Wagen,
denn, kommst Du, will ich keinen kaufen, und auch keinen
Bedienten nehmen, und mit Dir und einer Jungfer einen
Miethskutscher Schedens nehmen;
und das Bedienten- und Wagengeld für uns sparen. Kömmst
Du nicht, muß ich eine andere Gesellschaft die
mir keine ist bezahlen, eine Demoiselle etwa, solch
Biest, und einen Bedienten nehmen, um einen Mann
zu haben. Wir aber, reisten ganz kompakt und klug. Schreib
also nicht mehr, Abscheulicher! und komm! Halte Dich auch
wegen Deinem Abschied nicht auf; nimm den, wenn ich in
Teplitz bin. Nostitz, Marwitz, der Herr in Altona,
Humboldt hier, nichts ist ja auch nachher verloren. Schwimmen
Narr! kindischer! lernst Du nachher. Daß ich
nun hier wieder sitzen muß, ist zum rasend werden. Bist
Du doch sonst so eilig! Eine Reise hierher hättest Du
doch wahrhaftig endlich für mich schon wagen können. Vielleicht
bist Du unterwegs. Mach nur die Sottise nicht, und geh
mit nach der Türkei! Ein Kerl, der Beute macht, und Bataillen
gewinnt, bist Du doch nicht. Die Pest kannst Du kriegen,
und einen Stelzenfuß. Und was machst Du Dir aus einem
Tagebuch aus der Türkei! Ich bin sie überdrüssig. Gute
Tage will ich; für Dich, für mich. Wenn Du mich nicht
zum Narren hättest, ich könnte schon einen anderen Liebhaber
kriegen, der mich begleitet! Liebes Varnhägchen, komm
gleich! Du findest auch wohl Gelegenheit. Du warst bindetoll,
nicht mit Mad. Bethmann zu kommen, Dich bei Kinsky herum
zu treiben, und Deinen Brief vier Tage liegen zu lassen;
über solches Herumdahlen hast Du auch wohl meine Briefe
nicht erhalten. Poste restante à Cassel an Hrn.
Doktor Varnhagen liegt auch einer. Ich schrieb auf die
nach Prag: bei dem Oberst Grafen von Bentheim zu
erfragen; erkundige Dich. Sonntag vor vierzehn Tagen
hat mir der geliebte Marwitz geschrieben; nämlich den
Tag, wo Minna Schede kam, ich antwortete ihm gleich, auch
von ihm bleibt die <76:> Antwort aus! Hat die
Prager Post den Teufel im Leibe? Ich kann auf kein Gedicht,
auf keinen Steffens, auf nichts antworten. Ich bin zu
gehetzt von guignon. Heute Abend kommt Mad. Bethmann,
und um 6 bekomme ich Deinen fatalen Brief, der mir Hoffnung
und Leben auf Wochen abschneidet. Komme nur, ich habe
an vierhundert Thaler bis zum Oktober; wie findest Du
das? Davon will ich aber wo möglich zum Winter etwas hin-ameisen.
Gott! wie verdrießlich! Sie rinnt, die Zeit! Marwitz,
Gentz, Goethe, Fichte, und wir, im Teplitzer Thal! Adieu!
Du denkst vierhundert Thaler ist viel? Gott bewahre; zu
einer Reise, zu Bädern?! ordentlich knapp. Aber für uns
anständig; sei ruhig. Nur mit Sprechen kann ichs
diesmal mit Dir abmachen. Hätte ich eine Gesellschaft,
nun, da ich Alle rebütirt habe, ich käme auf der Stelle
zu Dir. Adieu.
Ich
lese Deinen Zettel noch mal, und möchte vergehen.
Warum ist es mit dem Abschiede so, so!
was heißt das? muß man ihn Dir nicht geben? bist Du nicht
ein Fremder? fordere ihn nur vor dem Manifeste! Dein
Oberst fühlt, Du wärst ihm in Paris in aller Art sehr
nöthig. Wohl bekomme es! ich glaub es: und
auch kommts nicht aus ihm, sondern von Dir, wenn
auch etwas veraltet herüber. Ein Großer, ohne großes Vermögen,
ist keiner. Prinz Louis war größer, als er, und war nichts,
weil er derangirt war. Das war halb wenigstens
sein Tod. Die Geschichte mit Nostitz, seiner Erbschaft
und Schuldnern, ist auch trübe: wie alle seine rauschenden
Pläne. Auf eine Heirath ohne Liebe, und ohne Geld, und
ohne den umfassendsten Geist, wie Mlle. Wucherer ihre
ist, kann ich nichts sagen, als was hier steht. Schedens
kommen heute Abend zu mir. Hr. von Kleist hats
auch gesagt (zu kommen). Theremin ist gestern von Sanders
gezogen; die Liebe ist verflogen. Ich beklage
immer die Frau, die ist wenn auch nur stuhl-
treuer. Minna Schede ist über so etwas unbiegsam,
hart ist schöner: dabei ist Bewußtsein ; sie
denkt, weil sie noch gar nicht ging, sie könne nicht fallen.
Es kommt niemand, und schwingt einen auf goldene Sessel!
Und dabei ist sie nicht jung und unbewußt genug, als daß
mans ihr als Knospe verzeihen sollte. Sie hat ihre
Bildung von Männern überkommen, und wie die sprechen hat
sie sich zu denken gelernt, ohne es ins Blut aufzunehmen,
und ohne die Wuth, die die Sicherheit, und Dreistigkeit
giebt. <77:> Weich muß ein Weib sein, und Männern
Lehren geben. Oder eine Knospe ohne Duft, und ohne Tadel.
Die ist noch vor die rechte Schmiede nicht gekommen: vor
die Sonne nämlich. Ich spreche sehr unzeitig, auf Dein
Lob, gegen Minna! Aber gestern war sie unwissend und unbiegsam
gegen die Sander; und neulich, empörter gegen Angeführte,
als gegen Anführer; und sprach Leuten das Wort, die da
meinen, sie können Bastarde haben; es gäbe welche. Und
bei einem Mädchen ergrimmt mich das. Was weiß die, was
ist die, wenn sie das nicht weiß! Und dann grad,
denken sie, sie sind weiblich; und einen Mann wohl werth.
Adieu. Indeß!
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