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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Wilhelm Amann und Tobias Wangermann in Zusammenarbeit mit Roland Reuß und Peter Staengle (Hrsg.), Kleist-Material. Katalog und Dokumentation des Georg Minde-Pouet Nachlasses in der Amerika-Gedenkbibliothek Berlin (Basel, Frankfurt am Main: Stroemfeld/Roter Stern 1997), 124

Auguste v. Pannwitz: Reisetagebuch, Mailand, 25. 4. 1835 (Abschrift Minde-Pouet)

Mailand, 26. Mai 1835, muß aber 25. April heißen [Fehler im Datum, neuer Fund]: „Nach dem Dom besuchte Tante eine alte Freundin, die Frau des Malers Loose, einem geboren. Frl. von Schliben, die sie früher in Dresden gekannt hat. Dieser Besuch hat auf mich einen wahrhaft betrübten Eindruck gemacht, womit mir diese Madame Loose das traurigste Bild aller irdischen Frauen war. Ihr Vater ist Appelationsrath in Dresden gewesen, der dort im Verhältniß zu seinem Renomme so glänzend gelebt hat, daß er seinen Kindern nichts übrig gelassen hat nur das nackte Leben ein wenig auszuschmücken. Nach dem Tode des Vaters haben die Töchter in Kupfer gestochen und sich mit dem Ernst dieser Arbeit erhalten. Tante hatte ihre Freundin das letzte Mal in Dresden als fröhliches, blühendes bildhübsches Mädchen gesehen, heute war sie todtenblaß, entsetzlich mager glich mehr einer Leiche, die es nur durch scharfe Athemzüge kund gab, daß sie noch zu den Lebenden gezählt sein wollte. Sie war dann erst von einer sehr bedeutenden Brustkrankheit so weit genesen, daß sie ein kleines Weilchen mit Tanten sprechen konnte, und was hatte sie Tanten mitzuteilen was Tanten interessierte und nach dem sie sich erkundigte? Ihr Mann, ein guter Freund des Onkel Heinrich, ist vor zwei Jahren gestorben und zwar auf die allertraurigste Art für ihn und für seine Familie. Seine Krankheit hat damit begonnen, daß er stets mürrisch und verdrießlich war, dies hat immer mehr und mehr zugenommen und zuletzt hat er seine Frau und seine Kinder so maltretiert, daß ihn die Frau hat ins Irrenhaus bringen müssen und nun von dem Ertrag der Arbeit ihrer Hände, nicht nur ihre fünf Kinder sondern auch den verrückten Mann hat erhalten müssen, bis dieser dann ruhig nach mehreren Jahren auf die aller bejammernswerteste Art in der Anstalt gestorben ist. –
Es zeugte alles was die Madame Loose umgab von großer Armuth; das Quartier war sehr schlecht, die Einrichtung war sehr schlecht, kurz alles deutete den Mangel und die Noth an.“

Tante] Ulrike v. Kleist
Loose] Friedrich Lose
Schliben] Karoline v. Schlieben

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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