Wilhelm
Amann, Gute Noten. Der Schüler Kleist in den Aufzeichnungen des Carl Eduard
Albanus, in: BKB 7 (1994), 47-52; darin: 49-52
Carl Eduard Albanus an Ludwig Tieck, Chemnitz, 12. 4. 1832
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Hochgeehrtester Herr Hofrath!
Das große Interesse, welches ich stets an den classischen
Erzeugnißen ihrer Muse, andern Theils aber auch an den Werken der Autoren, durch deren
erneuerte Herausgabe Sie sich ein bleibendes Verdienst erworben, insbesondere an denen Heinrichs
von Kleist, genommen habe, so wie vornämlich die Hoffnung, daß Ihnen ein kleiner
Beitrag zur Biographie des eben genannten Dichters nicht unwillkommen
sein wird, mögen mich u. meine Dreistigkeit, Ew. Wohlgeboren mit einer Zuschrift zu
behelligen, entschuldigen.
Im Anfuge finden Sie die Copie
zweier Original=Briefe von Kleist, welche ich behufs der Einsendung an Ew. Wohlgeboren
habe nehmen lassen u. die ich Ihnen sonach zuständig mache.
Ich glaube annehmen zu dürfen, daß Ihnen Reliquien eines
Schriftstellers, wie Kleist, u. besonders eines Mannes, der in so naher
literarischer Beziehung zu Ihnen stand, nicht ganz unangenehm, vielleicht sogar interessant
sein dürften, zu mal da die angefügten briefl. Mittheilungen in eine Periode
fallen, welche, indem der Dichter seinen Stand änderte u. die Gelehrten=Laufbahn betrat,
vielleicht die Folie zu Kleists späterem lit. Ruhme war, Mittheilungen,
welche einen tiefen Blick in die Fühl= u. Denkweise des Dichters gewähren u. die Ihnen
wenigstens als eine Privat= Ergänzung zu den biographischen Umrißen, welche Sie den Schriften Kleists
vorangeschickt haben, dienen können.
Die Mittheilung dieser Briefe (verdank deren Orginalia
mir vor kurzem, beim Durchsehen unterschiedlicher Manuscripte, wieder aufstießen u. bei
welcher Gelegenheit mir der Gedanke einkam, Ihnen Abschrift davon einzusenden) verdanke
ich einem Preußischen Geistlichen (:jetzt
Consistorial=Rath:), der drei Jahre lang auch mein Erzieher war. Derselbe hatte in der
letzten Hälfte der 80er Jahre vor. Jahrhunderts in Frankf. a/O. studirt, war der Familie
Kleists befreundet u. wurde, nach beendeten Studien (:er erhielt eine interimistische
Anstellung alldort:), von derselben zum Hauslehrer Heinrichs u. eines Vetters desselben, eines von P.annwitz,
bestimmt.
Der Lehrer genoß der Liebe u. des Vertrauens seiner Zöglinge in
hohem Grade, die ihm auch von Seiten Kleists, wie aus beifolgenden Briefen erhellet,
für spätere Zeit verblieben.
Da Sie Kleist nahe befreundet waren u. mit den früheren
Verhältnissen desselben eben so wol
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eben so wol, wie mit den späteren, gewißlich genau bekannt sind u. genauer, als
ich nach den obgleich sehr ausführlichen mündlichen
Mittheilungen des vorgedachten Geistlichen: so enthalte ich mich zwar des Weitern, bitte
Sie jedoch bescheidentlichst, nachfolgender Notiz welche ich einfließen
lasse, da Ihnen deren Inhalt vielleicht nicht bekannt sein dürfte
einige Aufmerksamkeit zu schenken.
Jener Geistliche versicherte mich, daß ihm nichts
interessanter gewesen wäre, als seinen Scholaren, Kleist u. P.annwitz,
Unterricht zu ertheilen u. sie zu beaufsichtigen, indem sie einander ganz entgegengesetzte
Charactere waren: K. ein nicht zu dämpfender Feuergeist, der Exaltation
selbst bei Geringfügigkeiten anheim fallend, unstät, aber nur dann, wenn es auf
Bereicherung seines Schatzes von Kenntnissen ankam, mit einer <50:>
bewunderswerthen Auffassung=Gabe ausgerüstet, von Liebe u. warmem Eifer für das Lernen
beseelt; kurz der offenste u. fleißigste Kopf von der Welt, dabei aber auch
anspruchslos. P.annwitz war ein stiller, gemüthlicher
Mensch, sehr zum Tiefsinn geneigt. Er stand zwar dem genialen Vetter Heinrich an
Lust und Liebe zum Lernen, an ausdauerndem Fleiße nicht im Geringsten nach; aber ihn
hatte die Natur in geistiger Hinsicht stiefmütterl. behandelt; er vermochte, so sehr er
sich auch Mühe gab, nur schwer zu fassen, während K. spielend lernte u. zur Fortstellung
der Gegenstände beim Unterrichte eifrigst trieb.
Daß der Stand des Lehrers, bei der großen Verschiedenheit der
geistigen Anlagen seiner Zöglinge, deren verschiedenen Temperamenten, ein fast
mißlicher war, läßt sich denken. Was K. in seiner Lection loskriegte (um
mich eines acad., aber passenden Ausdrucks zu bedienen), dazu bedurfte P. deren mehre,
weshalb sich auch der Lehrer des letztern um so mehr annehmen u. den Eifer des erstern zu
zügeln suchen mußte. Er enthielt sich daher auch jeder Austheilung von noch so
verdienten Lobsprüchen zu K.s Gunsten u. zwar auf eine Weise, welche der Eitelkeit
desselben nicht zu nahe trat u. dessen Lehr^Lern^begierde nicht
schwächte, u. ließ dem wackern Streben P.s (:wenn gleich nicht mit dem von
beiden Seiten gewünschten Erfolge nur einigermaßen gekrönt:) stets gerechte Anerkennung
widerfahren u. lobte P. in K.s Gegenwart, statt daß es eigentl. der umgekehrte Fall
hätte sein sollen. Doch gaben die ungewöhnl. Fortschritte, welche K. machte,
die tagtägl. Beweise s. ausgezeichneten Geistesfähigkeiten, der Schwermuth des sich
überaus unglücklich fühlenden u. mit sich schon fast zerfallenden P.s
Nahrung. Nach beendeter Lection u. auch außerdem warf sich P. oft,
bitterlich weinend, an die Brust des Lehrers u. schluchzte: Ach, warum hat mich gerade,
der ich es mir so angelegen sein lasse, etwas zu lernen, die Natur so stiefmütterl.
behandelt? Warum wird mir Alles so schwer, während dem Vetter Heinrich das Schwierigste
so leicht? u. so klagte er fortwährend. Der Lehrer that alles
Mögliche, den Unmuth des geliebten Zöglings zu scheuchen u. ließ es an Zuspruch, Rath
u. Anerkennung der äußerst=mögl. Anstrengungen P.s nicht fehlen.
Die Schwermuth hat P. indeß nie verlassen, sondern schlug noch festre
Wurzel u. durch sie fand er auch später einen freiwilligen Tod. Das Glück ist ihm auch
späterhin, als Zögling der Milit. Acad. u. als Officier, nie hold gewesen.
Irre ich nicht, so hörte ich auch, daß K. u. P. in der Folge auch
einmal schriftl. (persönl. sind beide nie wieder zusammen getroffen) die
Verabredung getroffen hatten, beide eines
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freiwilligen Todes zu sterben. Verbürgen läßt sich dieß freilich nicht.
In dem ersten d. beiliegenden Briefe wendet sich
K. (er that es späterhin, schriftl. u. mündl., wiederholentl. u. führte einen langen
Briefwechsel darüber) an s. ehemaligen Lehrer, um dessen Meinung über eine
Standesänderung, unter obwaltenden Umständen, einzuholen. Der Geistliche, an
den sich K. dabei inniger schloß, als an seine Verwandten u. Freunde, that natürlich
sein Möglichstes (gleich diesen), um den exaltirten Jünglinge von seinem Vorhaben
abzubringen.
K. hatte weiterhin, unter des Conrectors
Bauer in Potsdam Leitung, die Maturität zur Univ. erlangt u. war, nach
mannichfachem Mühsal, so glücklich gewesen, den so ersehnten Abschied zu
erhalten.
Das Concert in F a/O. war zu Ende, der
mehrberegte Geistliche, der es auch besucht hatte, schickte sich an, zu gehen, als er
plötzlich hinterrücks einen traulichen Schlag auf die Schulter erhält. Er erschrickt,
sieht sich um u. gewahrt Kleists, der in einem großem Reitermantel gehüllt ist.
Dieser ist in großer Aufregung u. theilt ihm (dem Geistl.) Holter di polter mit, daß er
nun endlich seinen Abschied erhalten habe u. in Frankf. studiren wolle.
K. war, seinen Abschied in der Tasche, wie im Fluge von Berlin
geritten, hatte den ehemal. Lehrer in dessen Behausung aufgesucht, aber gehört, daß
derselbe im Concert sei, u. war nun stande pede, wie er war, in dasselbe
geeilt, um den Freund sofort von dem Gelingen des Plans in Kenntniß zu setzen. Der
Referent verschwand eben so hastig, wie er gekommen. <51:>
So weit meine Mittheilungen. Ob die Schwester u. bekannte
Reisegefährtin Kleists, Ulrike, die früherhin Directrice eines
Erziehung=Instituts für adelige Fräulein in Frankf. a/O war, noch lebt, ist mir nicht
bewußt.
Wenn ich mir nun schmeicheln darf, Ew. Wohlgeboren eben so wenig durch die
Einsendung der Beilagen, als durch vorstehende Mittheilungen, lästig gefallen zu sein: so
glaube ich mich wol zugleich nicht der Bemerkung enthalten zu dürfen, daß es mir höchst
schmeichelhaft sein würde, wenn Ew. Wohlgeboren Veranlassung nähmen, mich durch
einige gelegentliche Antwortzeilen zu erfreuen.
Mit ausgezeichneter Hochschätzung hat die Ehre zu beharren
Ew. Wohlgeboren
Chemnitz
d. 12. April 1832. |
ganz ergebenster
C. Eduard Albanus |
H: Amerika-Gedenkbibliothek Berlin,
Kleist-Sammlung, Nachlaß Georg Minde-Pouet, [Signatur:] b100416. Bleistiftvermerke: 1r
oben links: von Tieck III.; linker Rand unten: Pannwitz; unten links Albanus
C. E.; unten Mitte: interessant weg. H v Kleist; 2r unten rechts: Kleists
Lehrer Christ Martini; 2v unten rechts Stempelaufdruck: Amerika-Gedenk-Bibliothek,
Berliner Zentralbibliothek. Nachträgliche Streichung des Namens Pannwitz und
Auflösung der abbreviativen Ortsangabe in Frankf. a/O vmtl. im selben
Redaktionsgang durch Eduard v. Bülow (Varnhagen v. Ense an Bülow, 20. 2. 1847,
abgedruckt bei Julius Petersen, Varnhagen v. Ense über Kleist, in:
JbKG (1923/24), 138
Copie zweier Original=Briefe] Albanus behandelt
Kleists Brief an Martini vom 18./19. 3. 1799 als zwei getrennte Briefe.
biographischen Umrißen] Bereits in seiner ersten
Kleist-Ausgabe hatte Tieck gleich zu Beginn seiner Vorrede eingestanden, daß
er über Kleists Person nur wenige Nachrichten mittheilen könne, da es
mir nicht hat gelingen wollen, etwas Genaueres von den Umständen seines Lebens zu
erfahren (Heinrich von Kleists hinterlassene Schriften [Berlin 1821], III).
Preußischen Geistlichen] Christian Ernst
Martini; hierzu Paul Hoffmann: Martini ist niemals Geistlicher, geschweige
Konsistorialrat gewesen (Zu den Briefen Heinrich von Kleists, in:
Euphorion 22 [1915], 71).
eines Vetters] Carl Otto Philipp v. Pannwitz
Conrectors Bauer] Johann Heinrich Ludwig
Bauer
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