Willibald
Alexis, Raupach von Außen, oder: Wie Dichter arbeiten,
in: Der Freimüthige, oder: Berliner Conversations-Blatt,
1.-2. 9. 1834, Nr. 173-174, 693f., 698f.;
darin: 1. 9. 1834, Nr. 173, 693f.
- Raupach
von Außen,
oder:
Wie Dichter arbeiten.\1\
Ob aus der Art, wie Dichter arbeiten, ein Physiognom so
gut auf ihren Werth schließen könnte, wie er es aus ihrer
Handschrift auf den Character thut, steht dahin; interessant
ist es aber für den Nichtphysiognomiker, zu wissen, wie
die großen Geister, deren Schöpfungen uns entzücken, dabei
geschwitzt haben.
Geschwitzt
sage ich. Ja mit Angst und Sorge und Verzweiflung haben
die ernsten Geister grade in den Momenten gerungen, die
wir, fernab von ihrer Geburtsstunde, für frische, Kinder der Laune, für Minerven, die geharnischt
aus dem Haupte oder Herzen sprangen, zu halten geneigt
sind. Grade das herrlichste, größte, schönste, freiste,
wo die dichterische Seele zu strömen scheint wie der Fluß,
der aus den Gebirgen kommt, über eine sanfte abgedachte
Ebene, grade das ging oft aus Martern hervor, die Niemand
mit fühlen mag, der nicht Dichter ist.
Der
Schauspieler, wo er ganz Natur ist, Erguß der Leidenschaft,
wie sie nur empfunden wird, ist Studium, freilich überwundenes.
Er verbirgt die Falten von den Todeskrämpfen unter der
Schminke. Die Tänzerin, wo sie am kühnsten, freiesten
in natürlicher Grazie zu schweben scheint, hat schmerzvolle,
verzweiflungsvolle Anstrengungen überwunden. Es ist mit
dem Dichter nicht anders.
Mag
ein Rafael, ein Rafael einmal, eine Madonna,
die Sixtinische, hingeworfen haben, einen Abdruck, einen
vollendeten, der aus hundert Bildern von Himmelsköniginnen,
die er vorhin durch Portraitirung schöner Mädchen, durch
Reflexion zur Anschauung gebracht, in ihm auf- und zusammenwuchs;
einmal geht das auch dem Dichter so glücklich. Die Regel
ist anders. Und wenn das eine glückliche Kind nichts von
den Wehen seiner Geburt an der Stirn trägt, so gingen
die Wehen bei seinen
Geschwistern voraus; sie tragen den Stempel der schmerzhaften
Weihe, und er giebt ihnen wohl einen charakteristischen
Zug, der dem schönen Kinde der Laune abgeht.
Zufällig
sind uns die Wachstäflein, oder Pergamente, auf denen
Homer schrieb, verloren; wir wissen nicht, wie
oft er gestrichen, radirt und wieder unterpunk- <694:>
tirt hat, bis er den ersten Hexameter der Ilias zu Stande
brachte. Aber gewiß, er hat gearbeitet. Noch viel
mehr Aeschylos. Auch seine Brouillons gingen leider
beim Brande von Athen verloren.
Von
Horaz ist es weltbekannt. Neun Jahre und einen
Tag lag jede seiner Oden im Pulte; erst dann trug er sie
in die Druckerei. (prematur.)
Von
Ariost weiß man noch heut, wie er es machte. Er,
der liebenswürdigste, leichte Dichter, der die gaukelnden
Verse hinwarf, wie die Laune sie eingab, er kann nicht
geschwitzt dabei haben meinen die, die nie
in der Werkstatt eines Dichters waren. Ach, er hat einen
ganzen Bogen voll beschrieben, durchstrichen, beklext
und beschmiert, ehe er den einzigen ersten Vers seines
rasenden Roland finden konnte. Grundgelehrte Männer des
Mittelalters haben den Bogen mit Staunen gesehen und lateinisch
erklärt, die erste blendende Phrase eines Schulprogramms
habe ihnen nie so viel Mühe gemacht, obgleich es da doch
etwas ganz Anderes galt, als Poesie, nämlich ciceronianisch
Latein, und was der große Lateiner Muretus
bewundern anschaute, kann jeder noch heute sehen, um sich
zu überzeugen, wie ein Dichter jener freien Zeit arbeitete.
Wie
Göthe in Rom Hexameter machte, ist der Deutschen
Welt in den lieblichsten Hexametern bekannt worden. Eros
schmiedete mit, aber Arbeit fehlte nicht; er schwitzte
dabei, wie man in Rom schwitzt. Anderen Ortes und zu anderer
Zeit hat zwar der Dichterfürst auch liegend, aber allein
und auf dem Sopha gedichtet, jedoch gemächlich dictirend,
und es giebt, die da meinen, er habe das aus dem Aermel
geschüttelt. Wenn seine Vertrauten reden werden, wird
man erfahren, welche ungeheure innere Studien dem vorangingen,
wobei ihm freilich mehr, als Andern, seine große, schöne
Natur hülfreich war. Im Kampfe mit dem Meere, in der schmerzvollen
Koje scandirte er die wohlklingendsten Verse, die seine,
ja die deutsche, vielleicht die dramatische Muse der ganzen
Welt hervorgebracht hat.
Von
Schiller weiß man, wie der edle Geist mit der schönen,
stolzen Form, in die er seine kühnen Gedanken goß, rang.
Das Sternenlicht, angehaucht vom Morgenroth, der Duft
der Rebe, selbst die Hefe, die nicht mehr duftet, half
ihm und sah seine Qualen. Er selbst besingt, wie eine
große Wäsche (auf dem Körnerschen Weinberge bei Dresden)
ihn in der Begeisterung, der wir den Don Carlos verdanken,
störte. Schiller hatte nicht Göthes gewaltige Natur;
er erlag in diesen Kämpfen.
Von Heinrich
Kleist ist es weniger bekannt, daß er schmerzhaft
mit der Form kämpfte; aber man sieht es schon seiner Sprache
seinen Versen an, wie gewaltsam das Ringen war mit den
Worten, ehe sie sich ihm fügsam zeigten. Ganz dienstbar
wurden sie ihm niemals! auch darin die ernste Disharmonie,
welche sein Leben zerriß und es so gewaltsam düster enden
ließ. Schroff, hart der Ausdruck; Bild und Sentenz fast
nie zum harmonischen Schmelz durchgedrungen. Die ihn kannten, erzählen, daß kein Dichter es sich
so mühevoll gemacht. Der erste Gedanke wurde, sobald er
sich in das Embryo eines Verses hüllte, niedergeschrieben.
Das ist aber nur ein Ausdruck, weil unsere Sprache keinen
andern hat für krumme Linien, die zwischen Hieroglyphen
und orientalischen und deutschen Buchstaben die Mitte
halten. Es waren weniger Worte, als Zeichen für ihn, die
das Flüchtige fesseln sollten. Bewährten sie sich bei
ihm als ächt, brauchbar, so ging er ans Dechifferiren und schrieb sie um. Diese zweite
Arbeit war aber eben nur das, was wir Andern ein erstes
Brouillon nennen würden. Selbst die einzelnen Verse, von
denen selten mehr als sechs doch in der Regel
auch nicht unter zwei aufnotirt wurden, blieben
nicht so und erlitten vielfältige Veränderungen, ehe sie
in die ganze Arbeit übergingen. Bei dieser Schwierigkeit
ist es merkwürdig genug, daß er so viel in der kurzen
Lebensfrist, die noch durch so viel andere Umstände für
ganz andere Sorgen absorbirt wurde, geschaffen hat. Nur
ein junger Dichter, der bedeutend auftrat und um so ängstlicher
feilt, verwirft, zweifelt und verzweifelt, ehe er mit
einem Drama vortritt, scheint auch hierin in Kleists
Fußstapfen zu treten, wie seine Sprache und Verse auch
sehr viel Aehnliches mit jenen haben. Sonst ist dies kein
Fehler unserer Dichter.
- (Schluß
folgt.)
\1\ Diesem Aufsatze
wird von anderer Feder ein Aufsatz Raupach von
innen folgen. Beide begegneten sich zufällig.
Eine so merkwürdige Erscheinung verdient aber auch vielseitig
aufgefaßt zu werden. Bei dem Grundsatze der Redaction,
auch Ansichten, die nicht die ihrigen, insofern sich nur
gewisse Schranken nicht überschreiten, Aufnahme zu gestatten,
wird man sich nicht wundern, wenn die Schätzungen in beiden
Aufsätzen sich sehr widersprechen.
Emendationen
frische]
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seinen]
seiner D
ans]
aus D
Die Informationen zu Kleists Arbeitsweise hat Alexis vermutlich
von Ludwig Tieck erhalten (SLs 253).
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