Objektiver Humor

Der Zustand der Bewußtlosigkeit, was den Umgang mit Schrift und Sprache anlangt, hat in Deutschland mittlerweile groteske Züge von Analphabetismus angenommen. Es entsteht durch Designer, Lektoren, Wortkünstler, die ihre Kenntnisse offenbar zunehmend nur noch aus dem Netz ›gezogen‹ (›gesaugt‹) haben, eine illiterate Unkultur, die allerdings erstaunliche Produkte objektiven, unfreiwilligen Humors hervorbringen kann. Man kann dann trotzdem irgendwie noch lachen – obwohl die textuelle Verschmutzung der Ökosphäre einen eigentlich das Grausen lehren müßte.

Nehmen wir als erstes Beispiel die neue Kampagne eines bekannten Heimwerkermarktes:

 

Bauhausreklame

 

 

Es ist ganz klar, daß das noch besser werden würde, wenn, ja wenn man eine Designagentur beschäftigt hätte, die den Unterschied zwischen einem Minutenzeichen und einem Apostroph kennen würde.

 

Bauhausreklame 2

 

 

Ich will gar nicht wissen, wieviel für diese Art von Dilettantismus an eine Riege von ihr Metier nicht beherrschenden Designern bezahlt worden ist. Man kann ihre Produkte dann auch schon einmal auf Großwerbeflächen bestaunen.

Dort (20 auf 50 m) ist mir auch die folgende durchschlagende Werbung das erste Mal begegnet, von der ich im ›Netz‹ leider nur noch ein kleines Überbleibsel finde. Hier ist alles nur noch objektiv komisch. Die Überblendung von Mineralwasserflasche und Penis (und dahinter die Verwechslung von Teinacher mit Viagra, oder haben Sie schon einmal tatsächlich einen Genuß – vergrößert?); der klippschul-pädagogische Aufbau, der mit dem denkbar blödesten Betrachter rechnet; die Wahl der spießigsten Schrift, die sich auftreiben ließ, und …

 

Teinacher Werbung 1

 

 

… und, wie könnte es anders sein, die völlige Unkenntnis dessen, was ein menschenwürdiger Apostroph, gesetzt an der richtigen Stelle, wäre. Ach, wie groß, wie lang, wie andauernd wäre mein Genuß, wenn hier kein einfaches Abführungszeichen stünde.

 

Teinacher Werbung 2

 

 

Alles kann aber noch getoppt werden von Lektoraten wissenschaftlicher Verlage. Mir flattert ein Prospekt des Akronym-Verlags UVK auf die Festplatte (so richtig aufgelöst wird das Akronym im Prospekt nicht, aber ich kombiniere mir das so als Universitätsverlag Konstanz zusammen). Die unglaublich dynamische Titelseite spricht von DRUCKreif.

 

UVK 1

 

 

Es ist bei dem, was noch kommen wird, kurios, daß die Vorschau in zweiter Auflage auch ein Buch anpreist, das sich explizit dem Thema …

 

UVK 2

 

 

… »Die Kundenzeitschrift« widmet. Das ist an sich noch nicht auffällig, nur formale Vorzeichnung von Selbstreflexivität. Umgehauen hat mich erst der Aufmacher der Soziologieabteilung des Verlags:

 

UVK 3

 

 

»Karl Krauss, österreichischer Schriftsteller und Publizist« – so steht’s da, und was von Bildung, jawoll! Apart: Ihr könnt froh sein, daß der gute Korle nicht mehr lebt, ihr wärt das Gespött Europas. Er hätte euch wahrscheinlich auch die Seite um die Ohren geschlagen, mit deren Abbildung ich schließe. Das ist nur noch das objektive Zurschaustellen, daß man nicht versteht, was man schreibt. Mir fällt dazu nix mehr ein?

 

uvk 4

 

rr, 14. Oktober 2010