Federica La Manna

Der Tanz der Marionette.

»Über das Marionettentheater« Heinrich von Kleists

Am 5. November 1810 erschien in den »Berliner Abendblättern« eine Nachricht über den Tod des Choreographen Noverre:

»Der berühmte Balletmeister Noverre ist zu St. Germain en Laye 82 Jahre alt gestorben.«[1]

Mit Noverres Tod endete eine bedeutende Epoche in der Geschichte des Balletts. In seiner Tätigkeit als Ballettänzer und Choreograph, und vor allem in seiner Arbeit als Theoretiker, die sich in den »Lettres sur la Danse et sur les Ballets« (1760) niederschlug, entwickelte er einen neuen Begriff des Tanzens. Die Choreographie sollte von den Zwängen befreit werden, die sich aus der einseitigen Ausrichtung an Virtuosität und aus den sperrigen Bekleidungen ergaben. Das Ballett sollte zur echten und wahren Kunst erhoben, in einen poetischen Zusammenhang eingegliedert und zu neuem Leben erweckt werden. In seinen »Lettres«, die als das Manifest dieses neuen Balletts angesehen werden können, versuchte Noverre, die Voraussetzungen der neuen Kunst zu erläutern, die jenseits bloßer technischer Virtuosität darauf abzielte, mit den Mittlen der Bewegung, der Gestik und der Ausdrucksweise beim Zuschauer Empfindungen hervorzurufen.

Die neue Richtung fand schnell zahlreiche Anhänger. Sie verband ein geschärftes Interesse für die Entwicklung und die neuen Impulse des zeitgenössischen Theaters. Unter ihnen war auch Rousseau, der in dem Eintrag »ballet« im »Dictionnaire de Musique« von 1768 behauptete:

Les meilleurs Danseurs ne savent vous dire autre chose sinon qu’ils dansent bien, Cette Ordonnance peu théâtrale suffit pour un Bal où chaque Acteur a rempli son objet lorsqu’il s’est amusé lui–même, et où l’intérêt que le Spectateur prend aux personnes le dispense d’en donner à la chose; [...] En général, toute Danse qui ne peint rien qu’elle même, et tout Ballet qui n’est qu’un Bal, doivent être bannis du Théâtre lyrique.[2]

Die Aufgabe, dem Ballett einen höheren künstlerischen Wert zu verschaffen, erlangte in diesem geschichtlichen Augenblick vorrangige Bedeutung. Das Ballett sollte seinen Platz unter den Künsten erhalten, und um dorthin zu gelangen, mußte man sich notwendigerweise auf andere Künste stützen, wie z. B. die Dichtkunst, vor allem aber die Malerei. Von theoretischer Seite wurden die zu sehr aufs Technische ausgerichteten Bewegungen angeprangert, und es wurde gefordert, der Interpretation größeren Raum zu geben: So konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf Mimik und Gestik, auf Gesichtsausdruck und Körperhaltung. Dadurch sollte dem Ballett mehr Inhalt gegeben, und die bewegten Bilder sollten belebt werden.

La danza deve essere una imitazione che per via de’ movimenti musicali del corpo si fa delle qualità e degli affetti dell’animo; ella ha da parlare continuamente agli occhi, ha da dipingere col gesto; e un ballo ha da avere anch’esso la sua esposizione, il suo nodo, il suo discioglimento; ha da essere un compendio sugosissimo di un’azione.[3]

Neben den Bemühungen der Ballettheoretiker und des neuen ballet en action nach Noverre erscheint eine andere Tendenz besonders lebhaft, nämlich die zunehmende Professionalität derausgebildeten Ballettänzer im technischen Bereich. Auf diesem Gebiet gab es zur selben Zeit große Fortschritte zu verzeichnen. Aus dem Zusammmenwirken der beiden Entwicklungstendenzen gingen bis dahin ungekannte tänzerische Leistungen hervor, dargeboten von Persönlichkeiten wie Marie Anne de Cupis de Camargo, Madeléine Lamy sowie von den großen italienischen Tänzern wie z. B. Gaetano Vestris – als »le dieu de la danse« bezeichnet – und seinem Sohn Augusto. Einige dieser Tänzer führten gezielte Studien über die Möglichkeiten zur Optimierung der Bewegungsabläufe durch, die daraufhin zunehmend an Leichtigkeit und Athletik gewannen.

Beide Bewegungen, die theoretisch–ästhetische hin zu mehr Ausdruck und die technisch–virtuose, die die physischen Möglichkeiten der Tänzer erweiterte, verliefern parallel. Die technische Entwicklung wurde aber während der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts durch die übermächtige Noverre–Bewegung gehemmt und nahezu verdrängt. In der theoretisch–literarischen Produktion der Epoche findet sich tatsächlich nur sehr wenig Material, das sich direkt mit dem technischen Gebrauch des Körpers beschäftigt, während die Zahl der Anhandlungen, die sich mit der Ausdrucksweise des Tanzes beschäftigen, extrem hoch ist. Erst im Jahre 1820 setzt mit dem »Traité élémentaire, théorique et pratique de l’art de la danse« von Carlo Blasis die Produktion einer choreographischen Literatur ein, die ihr Augenmerk auf die Didaktik des Tanzes richtet und dem Körper größere Aufmerksamkeit entgegenbringt. Dabei werden die technischen Qualitäten des Tänzers aufgewertet und in Zusammenhang gesehen mit seinen Ausdrucksmöglichkeiten, die ihrerseits in einen theatralischen Kontext gestellt werden. Von diesem Augenblick an unterlag das Ballett einer strengen Disziplin. Die Harmonisierung des Körpers erfordert kontinuierlich harte Arbeit.

L’art de la danse a été porté par Douberval, Gardel, Vestris, et quelqu’autre grand artiste, à un si haut dégré de perfection, qu’elle a dû surprendre Noverre lui–même. Les artistes du siècle passé sont inférieurs à ceux des dernières années de la même èpoque, et à tous ceux du commencement de celui–ci. On ne peut s’empêcher d’admirer la rapidité des progrès qu’a fait l’art moderne.[4]

Der Körper ist ein Gegenstand, der in Harmonie gebracht werden muß; er muß verbessert, gebeugt und geformt werden[5] und sollte deshalb einer anstrengenden und schweren Disziplin unterzogen werden. Der Tänzer soll Leichtigkeit ohne Anstrengung zeigen, élévation ohne Mühe. Er soll also aus dem eigenen Körper eine Maschine machen.

Soyez vigoureux, mais sans roideur; que votre entrechat soit croisé, et passé avec franchise et netteté. Travaillez pour acquérir une élévation facile; c’est une belle qualité chez le danseur, et qui lui est nécessaire pour l’exécution des temps de force et de vigueur.[6]

Um diese Behauptungen zu bekräftigen, wird die Marionette zum positiven Symbol der Körperbeherrschung erklärt. Sie symbolisiert höchste Perfektion an Leichtigkeit, Schwerelosigkeit und technischem Können.

Der kurze und rätselhafte Aufsatz Kleists, »Über das Marionettentheater«, erschienen vom 12. bis 15. Dezember 1810 in den »Berliner Abendblättern«,[7] stellt gängigen Behauptungen paradoxe Symbole und Definitionen gegenüber: Der Erzähler ist gleichzeitig auch der Sprecher des Ballettänzers C., der an einer Marionettenaufführung teilnimmt. Der Aufsatz ist ein »Schmuckstück« an Rätselhaftigkeit, weil er neben Symbolen und Persönlichkeiten, die einen kohärenten Lauf entwickeln, wie z. B. die Figur des »Dornausziehers«, Bilder stellt, die einzig und allein einen paradoxen Wert haben, wie der vorgebliche Tänzer mit künstlichen Beinen.

Die Marionette, ein Symbol der Leichtigkeit und des Gleichgewichts, kann offensichtlich als Gegensatz betrachtet werden, vor allem im Sinne einer figürlichen und symbolischen Tradition, die sie an den Fatalismus bindet.

Puppen sind wir von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst![8]

Das ist das wohlbekannte Bild Büchners, der die Marionette oder die Puppe an den historischen Determinismus bindet und sie damit als einen passiven Gegenstand in die Hände des Schicksals legt. Auch in den Briefen Kleists erscheint ein ähnliches Bild:

Ja, es ist mir so unbegreiflich, wie ein Mensch ohne Lebensplan leben könne, u. ich fühle, an der Sicherheit, mit welcher ich die Gegenwart benutze, an der Ruhe, mit welcher ich in die Zukunft blicke, so innig, welch’ ein unschätzbares Glück mir mein Lebensplan gewährt, u. der Zustand, ohne Lebensplan, ohne feste Bestimmung, immer schwankend zwischen unsichern Wünschen, immer im Widerspruch mit meinen Pflichten, ein Spiel des Zufalls, eine Puppe am Drathe des Schicksaals – dieser unwürdige Zustand scheint mir so verächtlich, und würde mich so unglücklich machen, daß mir der Tod bei weitem wünschenswerther wäre.[9]

Und doch wird die Marionette in der kurzen Schrift Kleists in den »Berliner Abendblättern« als Modell genommen, um einem absolut antithetischen Begriff Leben zu verleihen, nämlich dem Begriff der Leichtigkeit und der Harmonie des Tanzes. Der Tänzer nimmt die Marionette als Beispiel für die Möglichkeit, den menschlichen Körper zu verbessern.

Er versicherte mir, daß ihm die Pantomimik dieser Puppen viel Vergnügen machte, und ließ nicht undeutlich merken, daß ein Tänzer, der sich ausbilden wolle, mancherlei von ihnen lernen könne.[10]

Die beiden Hauptdarsteller treffen sich auf einem Platz, einem Ort, der traditionsgemäß für die Aufführung von Marionettenspielen genutzt wurde, die während des ganzen 18. Jahrhunderts einen Höhepunkt ihrer Verbreitung erlebten. Die Marionetten, wie Kardinal Enrico De Noris 1684 einmal sagte, kosteten weniger als die Schauspieler und verursachten viel weniger Probleme. Während die Puppenspiele vor allem für das Volk geschaffen waren und die ärmeren Volksklassen unterhalten sollten, waren die Marionetten im 18. Jahrhundert ein Zeitvertreib des Adels.[11] Bei den Aufführungen dieser beweglichen Puppen, die mit ihrer mechanischen Funktionsweise den Geschmack der Zeit trafen, wurden sowohl bereits vorhandene und für die große Bühne geschriebene Stücke verwendet als auch neue Werke, die eigens für Marionettentheater bestimmt waren, geschaffen wie z. B. Pier Jacopo Martellis »Lo Starnuto d’Ercole« dem Jahr 1723.

Bambocciata è una parola che non si legge nel vocabolario, ma che appresso li Dipintori è in Commercio, e a maraviglia la natura di queste Favole esprime. Vi ha dunque di certi Bambocci di legno congegnati in guisa torcentesi, e divincolantesi così, che gesteggiano, qual volta, o superiormente da fili o inferiormente da molle van maneggiati, passeggiando un piccolo Palco di varie, e volubili Scene abbellito, e questa si è un’invenzione de’ nostr’ingegni italiani.[12]

Die Marionetten, die durch einen Draht von oben gelenkt werden, haben die Fähigkeit, sich zu bewegen und zu verrenken, und dank dieser mechanischen Möglichkeit können sie die Menschen auf der Bühne ersetzen.

Er fragte mich, ob ich nicht, in der That, einige Bewegungen der Puppen, besonders der kleineren, im Tanz sehr gratiös gefunden hätte.[13]

Die Bewegungen der Marionette haben eine solche Anmut und Perfektion angenommen, daß sie an die des Menschen erinnern. Zu dieser Belebung des leblosen Gegenstandes hatten auch einige Erfindungen auf dem Gebiet der Mechanik beigetragen, wie z. B. die Automaten von Vaucanson. Dieser hatte von 1735 bis 1750 künstliche Apparate hergestellt, die durch für ihre Zeit sehr raffinierte Mechanismen in der Lage waren, Bewegungen auszzuführen, die bis dahin nur dem menschlichen Körper möglich gewesen waren.

Der Automat, der homo artifex, erlangte im 18. Jahrhundert eine Bedeutung, die Konsequenzen für das Verhältnis des Menschen und der Maschine hatte. Die mechanische Puppe wurde als Reproduktion des Menschen gesehen. Demgegenüber erschien der Mensch als überaus raffinierte Maschine.

Je me ne trompe point, le corps humain est un horloge, mais immense, et construite avec tant d’artifice et d’habilité, qui se la roue qui sert à marquer les secondes vient à s’arretêr, celle des minutes tourne et va toujours son train.[14]

Der Mechanismus der Marionette ist also das, was an Perfektion grenzt Zwar ahmt sie menschliche Bewegungen nach, vollführt sie aber in einem solchen Grad von Reinheit, daß der Drahtpuppe ein höherer Perfektionsgrad zuerkannt wird als dem menschlichen Mechanismus . Der mechanische Begriff des Tanzes wird – in jener parllel zu dem Noverreschen ballet en action entstandenen Schule – sogar dahingehend entwickelt, daß der menschliche Körper als Maschine angesehen wird, die perfektioniert werden muß. Kleists »Marionettentheater« scheint sich in diese Tradition einzugliedern. Auch dort wird die Auffassung geäußert, daß ein Körper um so mehr an Beweglichkeit und Ausdrucksmöglichkeiten gewinnt, je mehr er sich der Maschine nähert.

La Danza ha de’ gradi di sensibilità più vicini alla Musica della Pittura, perché, come s’è detto parlando di questa, nel vedere i Danzatori si fa de’ tremiti nelle parti, corrispondenti a quelli che si vedono brillare nel Danzatore medesimo; onde nella Danza, come nella Musica, v’è qualcosa di machinale e che sveglia le passioni indipendentemente dall’idea.[15]

Der Tanz, höchster Ausdruck der Anmut und der Leichtigkeit, ist perfekt, wenn der Tänzer oder die Tänzerin die Bewegung auf automatische Art ausführt und Leichtigkeit und Anmut ohne Anstrengung zeigt. Wenn die Bewegung richtig ausgeführt wird, erinnert der Tänzer an die mechanische Funktionsweise einer Uhr. Dieser Vergleich tritt z. B. in der Beschreibung von Mignons Tanz im »Wilhelm Meister« auf:

[S]ie verband sich die Augen, gab das Zeichen und fing zugleich mit der Musik, wie ein aufgezogenes Räderwerk, ihre Bewegungen an, indem sie Takt und Melodie mit dem Schlage der Kastagnetten begleitete. Behende, leicht, rasch, genau führte sie den Tanz. [...] Unaufhaltsam wie ein Uhrwerk lief sie ihren Weg, und die sonderbare Musik gab dem immer wieder von vorne anfangenden und losrauschenden Tanz bei jeder Wiederholung einen neuen Stoß.[16]

Die Aufmerksamkeit für die neuen körperlichen Fähigkeiten des Menschen setzt die Beobachtung und Betrachtung des Körpers in seiner Gesamtheit und seiner Schönheit voraus. Der Körper wird Gegenstand einer Studie – »[dein Körper] könnte wirklich einem Künstler zur Studie dienen«,[17] schreibt Kleist an Ernst von Pfuel und hebt dessen Schönheit hervor –, er soll in allen seinen Teilen betrachtet und analysiert werden. Damit wird die Tradition Winckelmanns fortgesetzt; der Körper wird betrachtet, wird seziert und behält doch weiterhin seine Einzigartigkeit und Harmonie. Wilhelm Meister entdeckt in den »Wanderjahren«, welch unendliche Schönheit ein Körper ohne Hüllen hat, weil er von unendlicher Präzision ist: »[D]er Mensch ohne Hülle ist eigentlich der Mensch«.[18]

Haben Sie, fragte er, da ich den Blick schweigend zur Erde schlug: haben Sie von jenen mechanischen Beinen gehört, welche englische Künstler für Unglückliche verfertigen, die ihre Schenkel verloren haben? [...] Es thut mir leid, erwiederte er; denn wenn ich Ihnen sage, daß diese Unglücklichen damit tanzen, so fürchte ich fast, Sie werden es mir nicht glauben. – Was sag ich, tanzen? Der Kreis ihrer Bewegungen ist zwar beschränkt; doch diejenigen, die ihnen zu Gebote stehen, vollziehen sich mit einer Ruhe, Leichtigkeit und Anmuth, die jedes denkende Gemüth in Erstaunen setzen.[19]

Der Bildhauer, der in »Wilhelm Meisters Wanderjahren« menschliche Körperteile aus Wachs formt, die zu Studienzwecken dienen, wird hier der Hersteller mechanischer Glieder, die die wirklichen ersetzen sollen. Die Bewegungen sind begrenzt, weil die Perfektion paradoxerweise nur dort erreicht wird, wo das mechanische Glied angebracht wurde; während der Teil, der die Bewegung überwacht und der natürlich menschlich ist, noch als unvollkommen erscheint. Das neue Bein imitiert nicht das biologische Glied; es besitzt neue Funktionen und spezifische Fähigkeiten. Unter dem gebot einer kontinuierlichen Ausweitung der physischen Möglichkeiten des Menschen wird die Anwendung mechanischer Elemente das Mittel dazu, die menschlichen Fähigkeiten zu übertreffen, um jene natürlichen Grenzen zu überschreiten, die ohne sie nicht überwunden werden könnten.

Jede Bewegung, sagte er, hätte einen Schwerpunct; es wäre genug, diesen, in dem Innern der Figur, zu regieren; die Glieder, welche nichts als Pendel wären, folgten, ohne irgend ein Zuthun, auf eine mechanische Weise von selbst.[20]

Die Marionette, die die Übung ausführt, reagiert nur auf mechanische Impulse, folglich erscheint der ausgeführte Schritt perfekt, da er von keiner anderen unfreiwilligen Bewegung beeinträchtigt wird. Die ausgeführte Bewegung kann also keinerlei Hindernissen begegnen: Weder die Schwerkraft, noch die Angst vor der Ausführung, und nicht einmal das Nachdenken über die gerade ausgeführte Bewegung behindern sie. Der Ballettänzer kann sich einem solchen Perfektionsgrad nur nähern; er sollte dabei das Bewußtsein seines Menschseins möglichst ausschalten und das Denken aufgeben. Er soll sich leicht und sicher bewegen und nie durch Gesichtsausdruck oder Körperhaltung die physische Anstrengung ahnen lassen. Um an diesen Punkt zu gelangen und um seine menschlichen Eigenschaften zu verbergen, bedarf er der ständigen Übung.

L’art chez eux a suppléé à la nature, parce qu’ils ont eu le bonheur de rencontrer d’excellent maîtres, qui leur ont démontré que lorsqu’on abandonne les reins, il est impossible de se soutenir dans une ligne droite et perpendiculaire; que l’on se dessine de mauvais goût, que la vacillation et l’instabilité de cette partie s’opposent à l’aplomb et à la fermeté.[21]

Die Marionette bietet vollkommene Perfektion , weil sie keine andere Bewegung kennt als die, die vom Maschinisten auf sie übertragen wird.

Dagegen wäre diese Linie wieder, von einer andern Seite, etwas sehr Geheimnißvolles. Denn sie wäre nichts anders, als der *Weg der Seele des Tänzers*; und er zweifle, daß sie anders gefunden werden könne, als dadurch, daß sich der Maschinist in den Schwerpunct der Marionette versetzt, d. h. mit andern Worten, *tanzt.*[22]

Dieses sehr geheimnisvolle Etwas ist der Bewegungsimpuls, der auf die Drahtpuppe übertragen wird. Die Marionette ist in der Lage, absolut vollkommene Bewegungen auszuführen, weil der Maschinist ihr eigene Geistigkeit verleiht, indem er sich in den mechanischen Schwerpunkt versetzt , der einzigartig und unverfälscht ist. Die ideale Marionette wäre daher ein Automat mit raffiniertesten mechanischen Eigenschaften, in dessen Innerem der Weg der Seele des Tänzers ist (??? Übers.?) und die »vis motrix« überliefert, welche die Bewegung mit einem sehr hohen Perfektionsgrad ausführt.

Die mechanischen Glieder, die bei versehrten Personen die biologischen ersetzen, führen, C.s Ausführungen zufolge, graziösere und leichtere Bewegungen aus; denn der Impuls, der einem künstlichen Glied gegeben wird, scheint formell reiner, da er nicht durch körperliche Anspannung beeinträchtigt wird.

Der Vortheil? Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund, nähmlich dieser, daß sie sich niemals *zierte.* – Denn Ziererei erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele (vis motrix) in irgend einem andern Puncte befindet, als in dem Schwerpunct der Bewegung.[23]

Die Marionette, die nach den Erfordernissen des Tanzes gebaut ist, würde einen Höchstgrad an Harmonie, Beweglichkeit und Leichtigkeit erhalten, weil sie technisch perfekt ist. Sie könnte nie durch Ziererei in ihrer Perfektion beeinträchtigt werden, d. h. durch das, was heute als Muskelanstrengung bezeichnet wird . In der Bewegung sollte Anspannung nur da sein, wo sich der Schwerpunkt befindet gemäß einer idealen Linie der Schwerkraft. Die anderen Körperteile sollten in einem Entspannungszustand verbleiben. Z. B. sollten die Hände eines Tänzers nie seine Anstrengung verraten, sondern so weit wie möglich entspannt sein. Was von Kleist als Ziererei definiert wird, ist nichts anderes als eine Gesamtheit von Störelementen, die in der Haltung des Tänzers ein Ungleichgewicht schaffen und die völlige Entspannung derjenigen Körperteile verhindern, die von der »vis motrix« überhaupt nicht beeinflußt werden sollten. Ein Zustand des Ungleichgewichts sowohl im Schwerpunkt als auch in der Verteilung der Energien kann menschliche Fehler verursachen wie die, die vom Tänzer C. in Betrachtung gezogen werden.

Sehen Sie die P...an, fuhr er fort, wenn sie die Daphne spielt, und sich, verfolgt vom Apoll, nach ihm umsieht; die Seele sitzt ihr in den Wirbeln des Kreuzes; sie beugt sich, als ob sie brechen wollte, wie eine Najade aus der Schule Bernins. Sehen Sie den jungen F... an, wenn er, als Paris, unter den drei Göttinen steht, und der Venus den Apfel überreicht: die Seele sitzt ihm gar (es ist ein Schrecken, es zu sehen) im Ellenbogen.[24]

Beim jungen F. ist die Energie im Ungleichgewicht, wenn er Venus den Apfel reicht, er zeigt eine zu offensichtliche Spannung im Ellenbogen. Die angenommene Haltung kann offensichtlich nichts anderes sein als das Resultat einer falschen Verteilung der Energien und hat eine falsche Anordnung der Schwerpunktzentren zur Folge.

Die Ziererei, die eine Folge der Vertreibung aus dem Paradies ist, ist nichts anderes als die Fähigkeit des Menschen, über sich selbst nachzudenken; die ständige Einmischung des Verstandes in jeder menschlichen Haltung, die jede Bewegung verzögert, verändert und unnütz macht. Der gleiche Gedanke wurde von Kleist in einem Artikel erfaßt, der wenige Tage vor dem Marionettentheater–Aufsatz in den »Berliner Abendblättern« erschienen ist.[25]

Die Überlegung, wisse, findet ihren Zeitpunkt weit schicklicher *nach,* als *vor* der That. Wenn sie vorher, oder in dem Augenblick der Entscheidung selbst, ins Spiel tritt: so scheint sie nur die zum Handeln nöthige Kraft, die aus dem herrlichen Gefühl quillt, zu verwirren, zu hemmen und zu unterdrücken. [...] Der Athlet kann, in dem Augenblick, da er seinen Gegner umfaßt hält, schlechthin nach keiner anderen Rücksicht, als nach bloßen augenblicklichen Eingebungen verfahren; und derjenige, der berechnen wollte, welche Muskeln er anstrengen, und welche Glieder er in Bewegung setzen soll, um zu überwinden, würde unfehlbar den Kürzeren ziehen, und unterliegen.[26]

Die Überlegung ist daher zuvörderst verantwortlich für die Veränderung der Bewegung und Umwandlung jeder menschlichen Handlung.

Jede erste Bewegung, alles Unwillkürliche, ist schön; und schief und verschroben alles, sobald es sich selbst begreift. O der Verstand! Der unglückselige Verstand![27]

Die Überlegung steht zwischen dem von der Seele gegebenen Impuls, oder der »vis motrix«, und der Bewegung selbst; sie ist das Störelement und keilt sich in die Ausführung der Geste ein.[28] Die Einmischung der Überlegung hat dem Menschen Selbstbewußtsein gegeben und ihn zugleich unglücklich gemacht; ja, sie hat ihm nicht einmal erlaubt, die Vorteile, die er anderen Lebewesen gegenüber hatte, aufrechtzuerhalten. In der angedeuteten Kette Mensch – Marionette – Gott steht der Mensch an letzter Stelle, weil gerade die Fähigkeit des Gedankens, des Denkens und des Überlegens – »[La réflexion] c’est le poison de la vie«, wie La Mettrie in seinem »Anti–Seneque« sagt[29]– ihm den unmittelbaren Übregang von der Seele zum Körper verschlossen hat, der stets ein vermittelter ist.

Auch im Vergleich mit den Tieren scheint der Mensch, was die Instinkte angeht, benachteiligt zu sein, denn er war nicht in der Lage, irgendeinen artspezifisches Instinkt zu auszubilden.

Quel est l’animal qui mourrait de faim au milieu d’une rivière de lait? L’homme seul. [...] Mettez–le encore avec un animal sur le bord d’un précipice: lui seul y tombera; il se noie, où l’autre se sauve à la nage.[30]

Die Unvollkommenheiten des menschlichen Wesens sind daher auf verschiedenen Ebenen sichtbar: auf der Ebene der Anmut und des Gleichgewichts sowie auf der Ebene der Instikte. In beiden Fällen erscheint die vernünftige Überlegung, oder allgemeiner das Bewußtsein, als das störende Element, das das Erreichen der perfekten Wirklichkeit verhindert. Der Bär macht in dem Augenblick, in dem er die Schläge abwehrt, in keiner Weise von der Reflexion Gebrauch, weil er das Vermögen dazu nicht besitzt. Folglich verläuft der Bewegungsimpuls direkt vom Hirn zu den Gliedmaßen, ohne Vermittlung und ohne Störungen. Dem Menschen wird dieser Zustand der Gnade verweigert, weil das Bewußtsein, das Nachdenken über das eigene Dasein, einen ebenso unmittelbaren Übergang verhindert. Einen Ausweg aus dieser Situation scheint der Artikel »Von der Überlegung« nahezulegen mit der Forderung, die Überlegung auf die Zeit nach der Handlung zu verschieben, d. h. so zu handeln, als ob der Verstand nicht vorhanden sei. Diese Forderung kommt demVersuch gleich, nach dem Instinkt zu handeln, sich in einem schlafwandlerischen Zustand zu bewegen – wie im »Prinz von Homburg« –, indem man versucht, den Verstand auszuschalten, die Überlegung beiseitezulassen und so zu handeln, als ob man nur dem Instinkt folgte. Aber dieser Vorschlag ist illusorisch, denn was als Ausschalten des Verstandes ausgegeben wird, als Imitation des instinktgeleiteten Handelns der Tiere, verlangt praktisch noch weit größere Anstrengungen des Verstandes. Der Mensch befindet sich auf einer Mittelposition zwischen Materie und reinem Geist, da er weder ganz das eine noch ganz das andere ist, aber beide besitzt.

Die Marionette, die die Besonderheit der Perfektion in sich hat, besitzt den geistigen Teil nicht, den Weg der Seele des Tänzers, die jedoch in sie eingeführt werden kann. Das menschliche Dasein dagegen ist, da es beide besitzt, ein ständiges Schwanken zwischen einem rein materiellen und instinktiven Zustand, der auf Eliminierung der Verstandestätigkeit aus ist wie z. B. in der Hypnose, und einem geistigen, der das Fleischliche zu vernichten versucht.

In der »Penthesilea« sind beide Richtungen dargestellt. Das ganze Drama ist von einem Netz von Symbolen durchzogen, die Hoch– und Tiefpunkte angeben, Aufstieg und Fall, Leidenschaft und Geist. Der Höhepunkt wird erreicht in der Ermordung Achills, die in einem halbhypnotischen Zustand geschieht. Am Ende sagt Penthesilea: »Ganz reif zum Tod’ o Diana, fühl’ ich mich!«[31] und sie wählt den Weg, der sie in die Höhe führt, zu einer völligen Leugnung des Körpers zugunsten eines Triebes , der zur Buße führt und deshalb zu reiner Geistigkeit.

Die Linie, die der Schwerpunct zu beschreiben hat, wäre zwar sehr einfach, und, wie er glaube, in den meisten Fällen, gerad. In Fällen, wo sie krumm sei, scheine das Gesetz ihrer Krümmung wenigstens von der ersten oder höchstens zweiten Ordnung; und auch in diesem letzten Fall nur elyptisch, welche Form der Bewegung den Spitzen des menschlichen Körpers (wegen der Gelenke) überhaupt die natürliche sei, und also dem Maschinisten keine große Kunst koste, zu verzeichnen.[32]

Im ersten Teil des Aufsatzes wird die Bewegung der Marionette beschrieben und zwar nach einem horizontalen Plan; man spricht von geraden Linien oder Kurven, von Übergängen und Bewegungen terre à terre, und man versteht unter diesem Terminus die Gesamtheit der Schritte; es waren fast die einzigen bis Ende des 18. Jahrhunderts, die ohne Erhebung ausgeführt wurden. Man spricht über eine Bewegung von einem Punkt A bis zu einem Punkt B, die eine Entfernung des Körpers mit sich bringt, vom Schwerpunkt auf einer horizontalen Gerade. Im Bereich des Tanzes taucht erst am Ende des 18. Jahrhunderts die Tendenz zu einer vertikalen Entwicklung auf, zu einer neuen Art des Tanzes, die sich in idealer Weise über die menschlichen Grenzen hinausschiebt; das wird von der Schwerkraft verursacht, um zu springen, emporzusteigen und die Eigenschaft der Leichtheit zu verherrlichen.

Bezeichnend war in diesem Sinne die Erfindung eines berühmten Choreographen, Charles–Louis Didelot, der als der Gründer des Balletts der russischen Schule betrachtet wird. In seinem Meisterwerk, »Flore et Zephire«, 1796 in Lyon uraufgeführt, fügt er zum ersten Mal Kunstgriffe ein, die dem sog. »style volant« zugeordnet werden: Am Körper der Tänzerinnen wurden Metalldrähte angebracht, durch die sie zu fliegen schienen. Diese Erneuerungen sind nur ein Beispiel des neuen romantischen Tanzbegriffs, der ganz darauf abzielte, der Tänzerin einen anmutiges und schwebenden Ausdruck zu verleihen.

Soyez léger le plus que vous pourrez; le spectateur veut trouver dans un danseur quelque chose d’aérion.[33]

Erst in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts erreichten die technischen Neuerungen des romantischen Balletts ihren Höhepunkt. Das geschah mit der Einführung desjenigen Elementes, das am wirkungsvollsten den Eindruck der Leichtigkeit und des Schwebens befördern konnte: die Spitzenschuhe von Maria Taglioni. Der Spitzentanz führt neben einer Veränderung im Sinne einer vertikalen Technik ein Element von bemerkenswerter szenischer Wirkung ein. Die Tänzerin, die auf Spitzenschuhen tanzt, berührt nur leicht den Boden, und die Fläche des mit den Extremitäten berührten Raumes wird auf ein Minimum reduziert. Der Tanz gewinnt so an Leichtigkeit, Anmut und Grazie, und die Tänzerin wird zum Symbol dessen, was an Leichtigkeit und Schwerelosigkeit existiert, der Harmonie und der Sehnsucht nach dem Unendlichen.

Der Schlüsselbegriff heißt élévation. Dieser Terminus bezieht sich sowohl auf eine neue choreographische Technik, die auf einer vertikalen Ausführung beruht, durch Hochhebung oder durch Schweben , als auch auf eine neue Konzeption des Tanzes, die auf eine ideale Überwindung der Grenzen abzielt, die durch die Schwerkraft gezogen sind.

Zudem, sprach er, haben diese Puppen den Vortheil, daß sie *antigrav* sind. Von der Trägheit der Materie, dieser dem Tanze entgegenstrebendsten aller Eigenschaften, wissen sie nichts: weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt, größer ist, als jene, die sie an der Erde fesselt.[34]

Die zweite grundlegende Eigenschaft, die die Marionette demMenschen überlegen macht und ihr den Sieg über die Schwerkraft verschafft, besteht in der Tatsache, daß sie »antigrav« ist, d. h. daß sie jene besondere physikalische Kraft nicht kennt, die alle Körper zur Erde zieht . Im Gegenteil, diejenige Kraft, die die Bewegungen der Marionette hauptsächlich verursacht, ist jene, die sie in die Lüfte erhebt. Der Mensch dagegen ist ständig an die Erde gefesselt, und um dieses physische Gesetz zu umgehen, muß er seine ganze Kraft und Schläue aufwenden. Er muß versuchen, sich soweit wie möglich vom Zwang der Schwerkraft zu befreien, auch wenn er dann immer wieder feststellen muß, daß eine dauerhafte Überwindung unmöglich ist. Insbesondere dann, wenn die Fähigkeit zur Reflexion ihn in dieselbe Richtung zieht wie die Schwerkraft und seinen Bewegungsspielraum in vertikaler Richtung beschränkt.

Aber während die Grenze der Marionette die Erde ist, ist die Grenze des Menschen der Himmel. Während ihn also äußerlich die Sschwerkraft nach unten zieht, sammelt der innere Druck alle Energien zu einer vertikalen Bewegung, um den schwebenden Teil, der in ihm ist, wiederzugewinnen.

Derselbe Begriff wird einige Jahre später von Christian Gottfried Körner in den Seiten des »Phöbus« wieder aufgegeriffen:

Das freie Spiel des lebenden Wesens in seiner Welt wird durch den Sieg der Form über die Masse in der Bewegung bezeichnet. Die Gestalt schwebt im Raume ohne Anstrengung und ohne Widerstand. Sie wird nicht durch Schwere an den Boden gefesselt; sie haftet an ihm aus Neigung. Jede Muskel behält ihre eigne Reizbarkeit und Elasticität, aber alle stehen unter der milden Herrschaft einer innern Kraft, der sie freiwillig zu gehorchen scheinen.[35]

Ähnliches war in den »Horen« erschienen:

In dem freien Schweben des Körpers, ohne vom Druck der Schwere beschränkt zu werden, fühlt auch der Geist sich gleichsam seiner Bande entledigt. Die irdische Masse, die ihn stets an die Abhängigkeit von der Außenwelt erinnerte, scheint sich zu veredeln und es erweitern sich die Gränzen seines Daseyns.[36]

Die von Körner genannte »innere Kraft« ist nichts anderes als das menschliche Streben nach Höherem, die Neigung zu etwas, das im menschlichen Wesen angelegt ist, aber vollständig erst noch wiedergewommen werden muß . Im »Marionettentheater« kämpft der Mensch zwischen zwei Polen des Seins, und er muß er sich sehr bemühen, um wenigstens einen ganz zu erreichen. Der Mensch fühlt sich gebunden, und er möchte die Fesseln lösen, die ihn an die Erde festketten. Er möchte sich vom eigenen menschlichen und irdischen Zustand befreien.

O wie schmerzhaft ist es, in dem Äußern ganz stark u. frei zu sein, indessen man im Innern ganz schwach ist, wie ein Kind, ganz gelähmt, als wären uns alle Glieder gebunden[37]

Es scheint, als ob zwei entgegengesetzte Kräfte im Menschen wirken, eine materielle, die ihn nach unten zieht, und eine, die sich als das »moralische Bedürfnis«[38] bezeichnen läßt, das die gleiche romantische Sehnsucht nach dem Schweben ausdrückt, ein Verlangen nach etwas, das erobert oder wiedergewonnen werden muß.