III. Über den Patriotismus des Adels und die Luxussteuern

Wenn Steuern gezahlt werden sollen, ist Patriotismus gefragt – von Regierungsseite war darauf schon angespielt worden. Mit dem 67. Blatt, am 17. Dezember 1810, meldet sich Adam Müller in den »Abendblättern« zurück. Unterzeichnet ist das »Schreiben aus Berlin« mit »l. v. p.«[104] aus einem Brief Kleists an Friedrich von Raumer vom 15. Dezember geht aber hervor, daß es von Müller stammt.[105] Das fiktive Schreiben verrät im übrigen seinen Autoren von selbst: Es ist noch einmal der Müllersche Versuch, ein Oppositions– und Regierungsblatt zugleich zu schreiben. Allerdings hat dieser Versuch Schlagseite; eine Asymmetrie der Argumentation zugunsten der Adelsopposition inmitten vordergründiger Zustimmung ist nicht zu übersehen – sie macht aber auch den durchtriebenen Reiz dieses Artikels aus. Was ist die erste Wirkung des Reformedikts vom 27. Oktober? Daß das politische Interesse der Untertanen wächst – und zwar in gegenstrebiger Fügung: »Wie könnte sich ein solches Interesse anders äußern als im Streit und in der Lebhaftigkeit des pro und contra[106] Der Betonung des Streits folgt eine auf den ersten Blick plumpe Schmeichelei in Richtung Hardenberg. Hatte es am 16. November noch geheißen: »Keine Verschlagenheit irgend eines noch so genialischen Administrators [...]«, so lautet der Refrain nun: die »Persönlichkeit des Staatsmanns«, den der König an die Spitze gestellt hat, genieße das »Vertrauen der Nation«, die bereit sei, »Privatopfer« zu bringen – also neue Steuern zu zahlen –, nur um diesen Staatsmann erhalten zu sehen.[107] Die nächste Wendung ist schon wesentlich geschickter. Der Meinungsstreit hinsichtlich des Oktoberedikts werde sicherlich weitergehen; daß aber die Verwaltung in dieser Hand vereinigt sei, dafür gebe es »nur *eine* Stimme des Beifalls und des Seegens«.[108] Der offenkundigen Schmeichelei folgt eine subtilere: Auch weiterhin wird man von den Klagen eines Standes hören, »der zunächst herbeigerufen werden muß, wenn das Vaterland große Opfer verlangt«.[109] Auf diese Mahnung, eine altständische Vertretung zu den Staatsgeschäften hinzuzuziehen, folgt die Erklärung, warum denn der Adel solche Opfer erbringen müsse: weil Hardenberg ein Teil und eine »besondre Zierde« dieses Standes sei und daher glaube, hier »zu weit gehn [zu] könne[n]«,[110] indem er die größte Strenge gegen sich selbst zugleich gegen seine Standesgenossen richte. An diesem Punkt kippt die Argumentation um und behauptet innerhalb der beschworenen Übereinstimmung die Interessen der Adelspartei. Müller benutzt nun, nachdem er die Uneigennützigkeit Hardenbergs als allgemeine Standespolitik ausgegeben hat, den Vorrang des »Allgemeinen« für eine Genealogie des Adels – wo doch jeder zeitgenössische Leser wissen mußte, daß die ständische Opposition gerade nicht mit der Reformgesetzgebung übereinstimmt: »Wer sich zuerst dem Allgemeinen aufopferte, war der erste Adliche: die Gesetze haben einen der Stände des Staats besonders mit Mitteln ausgerüstet, und für alle kommenden Geschlechter ausgerüstet, um zu den großen Opfern, die das Gemeinwesen in alle Zukunft verlangen wird fähig, nahe und bereit zu seyn. Die Gesetze haben ganze Gütermassen über allen Wechsel menschlicher Sinnesart erhoben, an die Erbfolge geknüpft – damit der Staat in der Stunde der Noth besonders hülfreiche Freunde hat. Wird der Mann, der dieses erkennt und empfindet, wie wenige, vergessen, daß auch die Zukunft solcher Opfer bedarf?«[111] Im Klartext heißt das: Hier wird die altpreußische Regierungsmaxime den Reformanstrengungen entgegengesetzt. Der Adel, als besonderer Stand für den Schutz des Staates zuständig, bedarf besonderer Maßnahmen zur Erhaltung seiner Existenzgrundlage in der sozialen und rechtlichen Agrarverfassung, um auch in Zukunft dem Allgemeinen dienen zu können. Der Artikel schließt mit dem die gute Absicht bekräftigenden Satz: »Lange lebe der König!«[112]

Aus der Sicht der Reformer sieht die Sache allerdings anders aus. Ein im Felde 1806/07 geschlagener Stand versucht aus Eigennutz seine Privilegien zu retten, ohne daß er dafür die herkömmliche Leistung – den Schutz der Krone – erbracht hätte. Was aus der Sicht der Adelsopposition als ein Versuch erscheinen mag, zu retten, was zu retten ist, ist aus der Perspektive der Reformer der Widerstand eines zur Unzeit frondierenden Adels. Auf längere Sicht schließt das nicht aus, daß im Ergebnis die Hardenbergschen Reformen dem Adel weit weniger nachträglich waren, als es bei den ersten Ankündigungen den Anschein hatte. Insofern ist der Schluß des Schreibens geradezu prophetisch: Man solle die Vollendung des großen Werkes im Vertrauen auf den Staatskanzler zuversichtlich abwarten. Denn gerade was die Einkommenssteuer betraf – von Stein in Ostpreußen eingeführt – scheiterte ihre Ausdehnung auf die übrigen Provinzen am Widerstand des Adels, so daß Hardenberg schließlich von ihrer Durchsetzung absah.[113]

Steuern zahlen? Das »Edikt über die neuen Konsumtions– und Luxussteuern« vom 28. Oktober sah – wie Kraus es angeregt hatte – Abgaben auf männliche und weibliche Dienerschaft, Wagen, Pferde und Hunde vor. Im 70. Blatt vom 20. Dezember erscheint ein fingierter Brief, der so gut geschrieben ist, daß er eigentlich das Gelächter der Berliner hervorrufen mußte.[114] Sembdner hält Kleist für den Verfasser unter Hinweis auf seinen Brief vom 15. Dezember an Friedrich v. Raumer.[115] Steig unterstellt ein kompliziertes Szenario: der Brief sei zwar ein Werk der »Adelspartei«, das die neuen Steuern verspotten wolle, Raumer habe ihm aber eine Rahmenerklärung seitens der Regierung mit auf den Weg gegeben, um keine Unklarheit über die Tendenz zu lassen.[116] Ein Gutsherr schreibt an seinen Bruder: »Es ist wahr, ich halte 2 Kammerdiener und 5 Bediente; Haushofmeister, Kutscher, Koch und Kunstgärtner mit eingerechnet, beläuft sich meine Livree auf 12 Köpfe. Aber meinst du deshalb (denn der Satz im Edict pro Mann beträgt 20 Thl.) daß ich 240 Thl. an die Luxus–Steuer–Casse entrichten würde? Mit nichten! Mein Gärtner ist, wie du weißt, eigentlich mein Vice–Verwalter, der Koch, den ich bei mir habe, ursprünglich der Bäcker des Orts; beide sind nur nebenher Gärtner und Koch; der Kutscher, der Jäger auch, der Friseur nebst Kammerdiener, und zwei Bediente sind, sowahr ich lebe, bloße Knechte; Menschen, die zu meinem Hofgesinde gehören, und die ich, wenn es Noth thut, auf dem Feld oder im Wald brauche. Da nun das Edict (§. II. 10. a) sagt, daß Leute, die nur nebenher dienen, mehr nicht, als die Hälfte des Satzes und Knechte gar nichts zahlen: so bleibt für mich nur der Haushofmeister und zwei Bedienten als steuerpflichtig übrig: macht (à 10 Thl.) 30 Reichsthaler, oder drunter.«[117] So geht es fort. Die aufwendigen Hundekoppeln gehören eigentlich dem Jäger, die Pferde sind im Grunde Nutzpferde und mit den eleganten Wagen, mit denen die Frau vierspännig in die Stadt fährt, wird auch schon einmal die Ernte eingefahren. Sicherlich, wer die Verhältnisse auf märkischen Gütern einigermaßen kennt, der weiß auch, daß es solche Gelegenheitsarbeiter mit vielerlei sich überschneidenden Funktionen gab, so daß man zur Not diesen Brief als eine Selbstverspottung der bescheidenen adligen Hof– und Haushaltung auffassen könnte. Hier verrät aber der Stil des Schreibens eindeutig, daß es dem fiktiven Adligen nur um eines geht – sich vor der Steuer zu drücken. Dem fingierten Schreiben folgt eine fingierte Antwort: Wenn die Landesbehörde streng sein wollte, so ließe sie den Namen dieses Adligen »da, wo er wahrscheinlich früh oder spät noch einmal zu lesen sein wird, anschlagen, und setzte darunter: dieser ist von der Steuer frei«.[118] Das ist eine Anspielung auf das Gericht, wenn nicht gar auf den Galgen, an dem dieser adlige Gauner einmal enden wird. In Bezug auf den Stand insgesamt, auf die ganze »Genossenschaft«, wird die Sache aber so ausgehen: Wenn dieser Unterschleif sich durchsetzt, wird die Folge sein, daß man die Beamtenschaft zur Kontrolle des Adels vergrößern muß. Das wiederum kostet Geld, so daß die Luxussteuern sich erhöhen würden, und man also pro Bedienten, Pferd oder Hund dann nicht mehr 10 sondern 15 Reichstaler zahlen werde.[119] Zuvor hatte es jedoch beschwichtigend geheißen: »Denn ob ein Staat, der aus solchen Bürgern zusammengesetzt ist, besteht, oder ob er, von den Stürmen der Zeit, in alle Lüfte verweht wird: das gilt völlig gleichviel. Glücklicherweise aber fehlt es an wackern, der Aufopferung fähigen Leuten, die den Drang des Augenblicks und die Zweckmäßigkeit der Luxussteuer begreifen, im Lande nicht«[120] – und daher sei der obige Brief wohl nur die isolierte Schlechtigkeit eines einzelnen.

Noch ein letztes Mal erscheint in den »Abendblättern« im Rahmen der Kraus–Kontroverse ein gewichtigerer politischer Artikel, der, will man Sembdner folgen, aus Kleists Feder stammt.[121] Es geht um die »Aufhebung des laßbäuerlichen Verhältnisses.«, also um die Aufhebung der Erbuntertänigkeit. Hatte es 1807 geheißen, mit dem Martinitage 1810 gebe es in Preußen nur noch freie Leute, so betraf das, wie oben schon erwähnt, nur die persönliche Freiheit der erbuntertänigen Bauern und des Gesindes. Die eigentliche Ablösung der auf dem Bauernlande liegenden Lasten – also der Hand– und Spanndienste – zog sich noch lange hin. Die Weichen der künftigen Entwicklung wurden erst gestellt durch das Regulierungsedikt vom 14. September 1811 und die Deklaration vom 29. Mai 1816. Hier hat in der neueren Literatur aufgrund der Forschungen von Hartmut Harnisch ein Umdenken eingesetzt, die das alte, unter dem Eindruck der Darstellung von G. F. Knapp überkommene Bild von der schrittweisen Verschlechterung der Lage für die regulierten Bauern erheblich modifiziert hat. Gerade was die früher häufig kritisierten Landabtretungen zur Ablösung der Lasten betrifft, aber auch hinsichtlich des Umfangs der regulierungsfähigen Stellen. Zwar sicherte sich der Adel die Handdienste der nicht regulierungsfähigen Kossäten; die spannfähigen Stellen aber blieben ablösbar, zumal die Landabtretungen den Bauern oft leichter fielen als etwa Geldzahlungen. Trotz heftiger Opposition ist es dem Adel danach nicht gelungen, die »kapitalistische Bauernbefreiung« in ihrem Kernbestand zu treffen, die insgesamt sich nicht so verheerend auf die Landbevölkerung ausgewirkt hat, wie man früher annahm.[122] Dieser sozusagen dinglichen Seite der Aufhebung der spätfeudalen Agrarverfassung entspricht eine Diskussion um die Mentalität der in Freiheit zu setzenden Landbevölkerung. Werden sie mit ihrer »Freiheit« überhaupt etwas anfangen können?

Im Jahre 1793 hatte Kant sich zu diesem Problem geäußert. Es sei ihm ein unverständlicher Ausdruck, wenn gewisse Leute sagten, dieses Volk sei zur Freiheit nicht reif, oder »die Leibeigenen eines Gutseigenthümers sind zur Freiheit nicht reif«.[123] Wie sollen sie es denn lernen, wenn man ihnen den – zunächst rohen und beschwerlichen – Gebrauch der Freiheit verweigert? Alle mit der Landaufklärung befaßten Schriftsteller haben etwa in dieser Weise geurteilt: Der mentale Zustand der Bauern ist bedenklich, schuld sind aber die Bedingungen, die die Landbevölkerung so haben werden lassen. »Der gedankenlose Bauer ist faul, weil er keine Verbesserung seines Zustandes wünscht, und sich nach keinen Mitteln, sich solche zu verschaffen umsieht«, schreibt Christian Garve. »Er kömmt in den Bettlersinn: sein armseliger Zustand behagt ihm, wofern er nur weiß, daß sein Herr ihm Brot geben muß, wenn er keines hat.«[124] Das gegenwärtige Unvermögen zur Freiheit darf dennoch nicht zum Vorwand genommen werden, sie grundsätzlich zu verweigern. Kleists Artikel vom 29. Dezember argumentiert ähnlich und doch anders, indem er die Schwierigkeiten betont: »Vielmehr durch die lange Dauer einer solchen Beschränkung kann der Mensch so zurückkommen, daß er gänzlich die Fähigkeit dazu einbüßt, und sich durch Aufhebung des Zwanges weit unglücklicher fühlt, als durch den Zwang selbst. Auch der Leibeigene wird ohne Zweifel anfangs stutzen, wenn er nicht, wie bisher, zur Zeit der Noth, bei seinem Herrn Unterstützung findet, und, wenn er dienstfrei wird, die Zeit, welche er bisher im Frohndienst beschäftigt war, nun zur Erwerbung seines eignen Unterhalts anwenden soll. Kurz, wird ein Mensch, dem so lange der Gebrauch gewisser Kräfte untersagt war, in deren freien Gebrauch wieder eingesetzt, so muß er erst lernen, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen, so wie ein Blindgebohrner, der durch die wohlthätige Hand des Arztes sein Gesicht wieder erhielt, allmählich sehen lernen muß.«[125] Mit leichtem Hohn schließt der Artikel: »Diese Betrachtungen sind ohne Zweifel von der Regierung in Erwägung gezogen worden und wir führen sie hier nur an, um der Ungeduld derjenigen zu begegnen, welche die Publication der Edicte über diesen Gegenstand nicht erwarten können.«[126] Nimmt man die von Kleist übersetzten Berichte »Über den Zustand der Schwarzen in Amerika«[127] hinzu, so muß man nur das Wort »Neger« durch »Kossät« ersetzen, um zu sehen, daß Kleist diese Schwierigkeiten beim Übergang in die Freiheit offensichtlich anders einschätzte als die Administration – und daß er zugleich im Sinne der Opposition sprach, sich wenigstens die Handdienste der nicht–spannfähigen Kleinbauern oder »Gärtner« zu erhalten. Denn das war, sieht man von völlig konservativen Positionen ab, die keinerlei Veränderung wollten, eine der wesentlichen Forderungen des Adels: »Jeder Neger bekommt einen Quadratstrich Erdreichs, den er, nach seiner Laune und seinem Gutdünken, bewirthschaften kann. [...] Alle Produkte, die sie auf ihren Feldern erzielen, haben sie das Recht, zu verkaufen; ein Erwerb, der bei weitem beträchtlicher ist, als der Erwerb auch des thätigsten Tagelöhners in Europa. Niemals sieht man, unter diesen Negern Bettler, oder Gestalten so elender und jämmerlicher Art, wie sie Einem in Großbrittannien und Irrland begegnen.«[128]

Machen wir im Januar 1811 einen Halt und überblicken die in den »Berliner Abendblättern« geführte Kontroverse bis zu diesem Punkt. Sie gliedert sich in drei Abteilungen. Sie beginnt mit dem Streit um die wissenschaftliche Bedeutung des Christian Jacob Kraus und wird im wesentlichen geführt zwischen den Kontrahenten Adam Müller und dem auf die Professur an der Berliner Universität berufenen Johann Gottfried Hoffmann. In etwas tieferer Bedeutung schwingt mit, daß es um diese Berufung selbst geht und daß der abgeschlagene Aspirant die Kontroverse ausgelöst hat. Seitens der Reformpartei im weitesten Sinne – nicht nur der Hardenbergschen Administration – springen aber so viele Beiträge dem Angegriffenen bei, daß der Schuß nach hinten losgeht und die Redaktion sich schließlich bemüht, die Sache beizulegen.

Inzwischen ist aber die zweite Stufe der Auseinandersetzung mit dem Artikel Ludwig Achim von Arnims losgetreten; sie bezieht sich auf das Hardenbergsche Finanzedikt vom 27. Oktober 1810. Auch jetzt steht die Figur des Königsberger Smith–Übersetzers wegen seiner praktischen Einflußnahme im Hintergrund, der mit seinem Gutachten von 1807 zur Tilgung der französischen Kontributionen auf die Reformgesetzgebung eingewirkt hatte. Der unmittelbare Angriff auf Hardenberg bringt die Zensur auf den Plan. Im Verlauf der Auseinandersetzungen um den Erhalt der »Abendblätter«, die Kleist nun zur Verwunderung Hardenbergs als ein »halboffizielles Blatt« bezeichnet, nicht zuletzt, um daraus Geldforderungen ableiten zu können, wird noch einmal deutlich, daß dieser Artikel Müllers die Geduld der Administration überstrapaziert hatte: »Das Abendblatt« – so schreibt Hardenberg an Kleist – »hat nicht bloß meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sondern die Sr. Majestät des Königs Höchstselbst, weil Sie in eben dem Augenblicke, wo die neuen FinantzGesetze erschienen, Artickel darin aufnahmen, die geradezu dahin abzielten, jene Gesetze anzugreifen. Es wäre genug gewesen die Censur zu schärfen, oder Ihr Blatt ganz zu verbiehten, da es bey aller Freyheit die man unpartheyischen Discussionen über Gegenstände der StaatsVerwaltung bewilligt, doch durchaus nicht gestattet werden kann, daß in Tagesblättern Unzufriedenheit mit den Maasregeln der Regierung aufgeregt werde. Aus wahrer Wohlmeinung gegen Sie, sprach ich aber mit Ihnen, und versprach Ihnen Unterstützung, wenn Sie ein zweckmässiges Blatt schrieben.«[129] Die Schreiben Hardenbergs zeigen zum einen die Grenzen der »öffentlichen Meinung« in Preußen, sie werfen rückblickend auch Licht auf die nachfolgenden Artikel, die man als die letzte Gruppierung innerhalb dieser Kontroverse betrachten kann.

Der Streit wird sowohl von Adam Müller mit dem »Schreiben aus Berlin« vom 17. Dezember als auch von Kleist mit dem Artikel über die »Luxussteuern« abgebogen, aber so, daß – zumindest bei Müller – innerhalb der vordergründigen Wende die alten Positionen noch durchscheinen. Inhaltlich desavouiert sich Adam Müller in den Ausführungen zu seinem Artikel »Vom Nationalcredit« in den Wintervorlesungen 1810 über Friedrich II mit seinem Papiergeldprojekt von selbst. Kleist löst im Artikel über die steuerzahlungsunwilligen Adligen den Konflikt halb ironisch auf und begibt sich fast auf das Terrain der Gegenpartei. Im letzten Beitrag, »Über die Aufhebung des laßbäuerlichen Verhältnisses«, macht er aber wieder ein Argument der Adelsopposition stark, auch wenn er ihm letztlich nicht zustimmt. Bezeichnend für die gesamte Auseinandersetzung ist es, daß die Positionen Kleists sehr viel undeutlicher bleiben und schwerer zu bestimmen sind als die seines Mitarbeiters Adam Müller. Es mag daher nützlich sein, noch einen Blick auf das Geschichtsbild Kleists zu werfen, soweit es aus seinen Beiträgen in den »Berliner Abendblättern« erkennbar wird.

IV. Die romantische Rettung der Welt

Die eigentlich auf Friedrich Schlegel gemünzte Bemerkung bei Carl Schmitt über den okkasionalistischen Umgang der Romantiker mit der Welt: »Alles Reale ist nur ein Anlaß. Das Objekt ist substanzlos, wesenlos, funktionslos, ein konkreter Punkt, um den das romantische Phantasiespiel schwebt«[130] beschreibt auch ganz gut, wie für Kleist ein Satz von Adam Smith zum Anlaß für die Strukturierung einer Theaterkritik wird. Kleist erwähnt, wenn ich recht sehe, Adam Smith nur dieses einzige Mal, in den »Berliner Abendblättern« vom 17. Oktober 1810.[131] Es geht um die Funktion der Theaterkritik und den schlechten Geschmack des breiten Publikums. Dort heißt es beziehungsreich über Adam Smith: »Denn so wie, nach Adam Smith, der Bäcker, ohne weitere chemische Einsicht in die Ursachen, schließen kann, daß seine Semel gut sei, wenn sie fleißig gekauft wird: so kann die Direction, ohne sich im Mindesten mit der Kritik zu befassen, auf ganz unfehlbare Weise, schließen, daß sie gute Stücke auf die Bühne bringt, wenn Logen und Bänke immer, bei ihren Darstellungen, von Menschen wacker erfüllt sind. Aber dieser Grundsatz ist nur wahr, wo das Gewerbe frei, und eine uneingeschränkte Concurrenz der Bühnen eröffnet ist.«[132] Es gibt nur eine Stelle bei Adam Smith, an der ein Bäcker in hervorgehobener Weise erwähnt wird und in der er, gemeinsam mit einem Schlachter und einem Bierproduzenten, als homo oeconomicus sprichwörtlich geworden ist. Das ist im zweiten Kapitel des ersten Buches des »Wealth of Nations«. »Nicht vom Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse. Wir wenden uns nicht an ihre Humanität, sondern an ihre Eigenliebe, und sprechen ihnen nie von unseren Bedürfnissen, sondern von ihren Vorteilen.«[133] Dirk Grathoff will nicht ausschließen, daß Kleist Adam Smith zumindest von ferne kannte, als er 1805 in Königsberg jene – oben bereits erwähnte – »finanzwissenschaftliche Vorlesung« bei Christian Jacob Kraus hörte; wahrscheinlich sei es auch, daß er mit Adam Müller sich über Smith unterhalten habe, dessen Vorlesungen über die »Elemente der Staatskunst« ihm aus Dresden vertraut waren.[134]

In assoziativer Zitierweise versucht Kleist von dem Smith’schen Argument zu profitieren, indem er es auf das Gebiet der Kunst überträgt. Allerdings ist bei Smith nicht davon die Rede, daß ein Bäcker von der chemischen Zusammensetzung seiner Brötchen nichts verstehen müsse; das ist eine freie Zutat von Kleist, die ihren Sinn erst in Relation mit der Kunstkritik erhält. Freie Konkurrenz unter mehreren Theatern vorausgesetzt, wäre keine Kritik vonnöten. Hält der eine Direktor sich an den Geschmack der Menge, sucht vielleicht ein anderer die Unterstützung und den Zulauf durch den »Kunstsinn des besseren Theils der Nation«.[135] Die konkurrierenden Theater kritisierten sich dann in antizipierter »Gewerbefreiheit« gegenseitig. Wo aber das Theater privilegiert ist, also keine »Concurrenz« herrscht, da muß die »Kritik« sie ersetzen – und diesen Verweis auf die Rolle der Kritik setzt Kleist in Analogie zum Wissen über die chemische Zusammensetzung des Backwerks. Denn wird unter solchen Voraussetzungen die Kritik mißachtet und »die Füllung der Casse« an die erste Stelle gesetzt, »so wäre die Scene unmittelbar, den spanischen Reutern, Taschenspielern und Faxenmachern einzuräumen: ein Specktakel, bei welchem die Casse, ohne Zweifel, bei weitem erwünschtere Rechnung finden wird, als bei den göthischen Stücken«.[136] Der ganze Artikel steht im Zusammenhang mit Kleists Kritik an dem von Iffland dominierten, dem Geschmack Friedrich Wilhelms III. huldigenden Hoftheater. Die Anspielung auf die erotischen Neigungen Ifflands zum Schluß des Beitrags ist hinreichend deutlich: Käme die Direktion auf den Einfall, »die göthischen Stücke so zu geben, daß die Männer die Weiber– und die Weiber die Männerrollen spielten«[137] – ja, das wäre ein Ereignis, bei dem das Publikum sich um die Karten reißen würde. Kleist hatte im August 1810 Iffland sein »Käthchen von Heilbronn« zur Prüfung vorgelegt und es mit der Bemerkung zurückerhalten, es gefiele ihm nicht. Daraufhin schrieb er am 12. August: »Es tut mir leid, die Wahrheit zu sagen, daß es ein Mädchen ist; wenn es ein Junge gewesen wäre, so würde es Ew. Wohlgeboren wahrscheinlich besser gefallen haben.«[138] Doch unabhängig davon stellt sich die Frage, ob Kleist hier als jemand argumentiert, der »Gewerbefreiheit« auf dem Gebiet der Kunst fordert? Will er wirklich den Kunstbetrieb der feien Konkurrenz ausliefern? Mitnichten. »Eine Direction, die einer solchen Anstalt vorsteht, hat eine Verpflichtung sich mit der Kritik zu befassen, und bedarf wegen ihres natürlichen Hanges, der Menge zu schmeicheln, schlechthin einer höhern Aufsicht des Staats.«[139] Der Artikel über das Theater bekommt noch einen Nachschlag in einer – sicherlich ironisch–fingierten – Stimme aus den Tiefen des Ancien Régime, die zur Wiedereinführung des Hofamtes eines Maitre de spectacle rät.[140]

Kleist will die Umwandlung des Hoftheaters in ein Nationaltheater. Das Mittel dazu ist aber keine freie Konkurrenz, sondern »Kritik«, die sich durch »Aufsicht des Staates« Gehör verschafft. Die Anleihe bei Adam Smith bleibt jedoch insofern interessant, als sie ein Licht auf die geschichtsphilosophischen Ansichten Kleists wirft. Die Frage, unter der wir die nun folgenden Artikel betrachten müssen, lautet daher: Vertraut sich Kleist dem Lauf der Geschichte an, wagt er den Durchgang durch ein Zeitalter der freien Konkurrenz, der materiellen Bedürfnisse, des Geschmacks der Masse, konterkariert nur durch das Vertrauen auf die kunstsinnigeren Schichten – oder sucht er dieser Entwicklung von vornherein zu begegnen?

Ein erster, explizit geschichtsphilosophischer Text findet sich im 8. Blatt vom 9. Oktober 1810 – also relativ früh.[141] »Es giebt Leute,« so beginnt Kleist seine »Betrachtungen über den Weltlauf«, »die sich die Epochen, in welcher die Bildung einer Nation fortschreitet, in einer gar wunderlichen Ordnung vorstellen.«[142] Diese Ordnung beginnt als eine Karikatur der aufklärerischen Fortschrittsvorstellungen, schlägt dann aber in die zeitgenössische Debatte über das Verhältnis von Geschichtsphilosophie und Ästhetik um.[143] Die Geschichtsphilosophie des 18. Jahrhunderts hatte bewußte dem Abfall aus der Vollkommenheit des Paradieses den Aufstieg von der ursprünglichen Roheit zur Zivilisation und Sittenverbesserung entgegengestellt. Das greift Kleist auf, nicht ohne die Ästhetik ins Spiel zu bringen: Man habe, um den Lehren der Tugend »Eingang zu verschaffen«, sie an schönen Beispielen versinnlicht. Man hoffte, daß Ästhetik und Kunst nun auf die höchsten Stufen der Kultur hinaufführen würden. Diesem vermeintlich schon in Sichtweite gekommenen Telos der Geschichte setzt Kleist entgegen: »Diesen Leuten dient zur Nachricht, daß Alles, wenigstens bei den Griechen und Römern, in ganz umgekehrter Ordnung erfolgt ist. Diese Völker machten mit der *heroischen* Epoche, welches ohne Zweifel die höchste ist, die erschwungen werden kann, den Anfang; als sie in keiner menschlichen und bürgerlichen Tugend mehr Helden hatten, *dichteten* sie welche; als sie keine mehr dichten konnten, erfanden sie dafür die *Regeln*; als sie sich in den Regeln verwirrten, abstrahirten sie die *Weltweisheit* selbst; und als sie damit fertig waren, wurden sie *schlecht.*«[144]