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Überblickt man die Kontroverse bis zu diesem Punkt, so wird deutlich: die von Adam Müller angegriffene und zugleich zur Diskussion herausgeforderte Reformpartei ist im Staat an der Macht; sie hat aber Aufgaben vor sich, die auf erbitterte Opposition der nach wie vor staatstragenden Schicht stoßen. Am 31. Oktober gibt ein Mitglied der Oppositionspartei sich zu erkennen: Ludwig Achim von Arnim unterzeichnet offen mit »L. A. v. A.« seinen Beitrag »Noch ein Wort der Billigkeit über Christ. Jacob Kraus«.[49] Er stimmt mit dem Urteil Adam Müllers generell überein und macht ebenfalls regionale Differenzen geltend. Kraus sei über Königsberg hinaus nie bekannt gewesen. Das Publikum der »Abendblätter« beschwere sich bereits, daß einem so vergessenen, längst überholten Universitätslehrer solcher Raum gegeben werde. Doch zeuge gerade diese Klage nicht von politischem Bewußtsein; akademische Reputation und praktischer Einfluß lägen oft weit auseinander und gerade »auf die Verwaltung unsres Staats« habe Kraus gegenwärtig einen erheblichen Einfluß das gerade erlassene Finanzedikt über die Tilgung der Kriegsschulden beweise es. Arnim spielt auf sein letztes, posthum veröffentlichtes Gutachten zur Tilgung der französischen Kriegsschuld von 1807 an. Im übrigen seien seine Verdienste um die »Separationen und Dienstaufhebungen« übertrieben dargestellt. Schon Friedrich II. habe sie gefordert. Das ist richtig, doch Arnim vergißt zu sagen, daß alle Reformmaßnahmen, die über die Domänen hinausgingen, im märkischen Sand verliefen, solange für den Adel die Produktion von Getreide auf der Basis von Frondiensten billiger war als unter Einsatz von Lohnarbeitern mit gutseigenem Spannvieh und Inventar.[50] Unter Bezugnahme auf die emphatische Darstellung, die der Eigentumsverleihung in der Erwiderung auf Müllers Artikel im 19. Blatt vom 22. 10. widerfahren war, fährt Arnim fort mit dem Hinweis, daß in »Neuostpreußen« ein Herr v. Knoblauch die Veränderung der Agrarverhältnisse betrieben habe, der mit Kraus in keinerlei Verbindung stand. Der anstehende Streit einer reformsüchtigen Administration mit den herkömmlichen Rechtsverhältnissen sei von der gegnerischen Partei nur durch »Gegenversicherungen« beschwichtigt worden. Arnim exemplifiziert das an dem »Antikritik« betitelten Artikel vom 27. Oktober.[51] Dort hatte der Staatsrat Nicolovius davon gesprochen, daß gerade in dem vom Krieg schwer gezeichneten Ostpreußen eben jetzt viele tausend Familien durch die Gnade des Königs nun »als Eigenthümer [...] ihre Hände bewegen«[52], damit sie schnell wieder zu Wohlstand kämen. Nicolovius bezeichnet diesen Umstand als ein »Durchbrechen der Hindernisse«[53] Arnim kann darin nur die Verletzung alten Rechts und den heraufziehenden Streit zwischen geltendem Recht und Reformadministration erblicken. Wer warnt in dieser Situation vor wem? Wer hat zuerst von der Gefährlichkeit gewisser Schriften gesprochen? Ein paar Tage später, im 34. Blatt vom 8. November, erscheint eine Antwort auf Arnim, unterzeichnet mit »Der Verfasser des zweiten Aufsatzes (s. 19tes Bl.) über den Professor Kraus.« wahrscheinlich also Johann Gottfried Hoffmann.[54] Einige Verhüllungen werden halb gelüftet, denn der Autor deutet an, daß er den Verfasser des ersten Artikels gegen Kraus wohl richtig errate, dessen Talent und tadellosen Willen er sehr wohl anerkenne. Dieser, der immer noch nicht öffentlich genannte Adam Müller, habe zuerst von der Gefährlichkeit der Krausschen Schriften für die »Jugend« [Herv. v. mir, H. K.] gesprochen. Seine Antwort sei nur eine Replik gewesen, und im übrigen wende ja nicht die Jugend, sondern die »Regierung« [Herv. v. mir, H. K.] die Grundsätze des verstorbenen Königsberger Professors an. Hingegen sei der Artikel des Herrn v. Arnim von keiner Sachkunde getrübt. »Herr von Knobloch (nicht Knoblauch)«, dessen »Verdienste um NeuOstPreußen« außer Zweifel stünden, sei bei der Umwälzung der damaligen Verhältnisse auf den Domänen gar nicht mehr dabeigewesen, da »er schon eine andere Bestimmung erhalten hatte«.[55] Kurzum: Arnim sei zur Kritik »unberufen« [Herv. v. mir, H. K.]. Schließlich zeichnet sich auch eine gewisse Ermüdung der Debatte ab. Denn der Autor deutet an, daß es mit der Zwecksetzung der »Abendblätter« wohl nicht zu vereinen sei, sich weitläufiger auszulassen. Dies sei sein »letztes Wort über diesen Gegenstand«.[56] Arnim antwortet mit einer kurzen, aber bissigen Replik, die deutlich macht, daß der Streit keineswegs beigelegt ist:[57]In seinem ersten Beitrag hatte Hoffmann die Zuschrift Adam Müllers einen »echten Feuerbrand«[58]genannt. Da der so angegriffene Freund sich nicht selbst habe verteidigen können, so hätte er, Arnim, es für ihn getan und insofern sei er »berufen«. Im 46. Blatt vom 22. November 1810 ergreift Kleist zum ersten Mal selbst das Wort. Wieder ist eine Verteidigung des Christian Jacob Kraus an ihn geschickt worden mit der Bitte um Abdruck. Verfasser ist der alte Johann George Scheffner, Kriegsrat aus Königsberg, in dessen Haus Kleist 1805 verkehrt hatte. Kleist stellt dem Artikel eine »Erklärung« voran, die wiederum ein Plädoyer für den freien Austausch gegensätzlicher Standpunkte beinhaltet.[59] Kleist ergreift, wenn auch etwas verklausuliert, Partei für Adam Müller, gegen Kraus. Er will aber die Diskussion über den Gegenstand auch wenn, wie in diesem Artikel, sein Freund Müller nicht ohne Witz von dem alten, immer noch einflußreichen Herrn angegriffen wird. Dieser Artikel nimmt fast die ganze Nummer des Blattes ein.[60] Wäre nicht auf der Rückseite noch die Anekdote von den beiden englischen Faustkämpfern zu lesen, die sich wechselseitig zu Tode boxen, dazu noch ein paar »Polizeiliche TagesMittheilungen«, so hätte das Publikum schon wieder einzig und allein etwas über den Nachruhm des Christian Jacob Kraus erfahren. Es war offensichtlich hohe Zeit, die Kontroverse zu beenden. Adam Müller gibt sich im 48. Blatt vom 24. November versöhnlich und ist seinerseits bereit, den Streit beizulegen.[61] Seine Argumentation ist nicht uninteressant, weil sie der historischen Schule der deutschen Nationalökonomie im 19. Jahrhundert vorgreift. Die allgemeinen Prinzipien, die Adam Smith aufgestellt hat, könnten für Preußen nicht gelten, weil England eine Insel sei, Preußen aber eine Landmacht, umgeben von anderen rivalisierenden Landmächten. Hier fehle die »Eine, große, natürliche Schranke [...], unter deren tausendjährigem Schutz« sich in England »verführerische Systeme der Freiheit«[62] entwickelt haben, die auf den Kontinent nicht übertragbar seien. Mehr noch: England sei sich dieser Grundlage seiner Freiheit gar nicht bewußt; Preußen hingegen müsse künstliche Schranken aufrichten also mit Bewußtsein erwerben, was den Briten gleichsam von der Natur geschenkt worden sei. Um dieser höheren Rücksichten willen habe er, Müller, es für notwendig gehalten, »der deutschen Seite des Adam Smith in den Weg zu treten«.[63] In der gleichen Nummer erscheint zur Bekräftigung seiner Position eine Abfertigung von »Recensenten der Elemente der Staatskunst« in Distichen, vermutlich aus der Feder von Friedrich Gottlob Wetzel.[64] Damit hat sich die Debatte um Kraus totgelaufen. Im 52. Blatt erscheint noch eine nicht besonders glückliche »Berichtigung« von Hoffmann in seinem Streit mit Arnim, wie das nun einmal gefallene Wort vom »Feuerbrand« auszulegen sei. Die Redaktion druckt die Erklärung aber nicht in ihrer ganzen Länge ab, da sie, so wird erklärt, nur neue Mißverständnisse hervorzurufen, aber nicht alte beizulegen geeignet sei.[65] Dennoch war dieser Abschluß der Kontroverse nur eine Finte. Adam Müller, in den »Berliner Abendblättern« weiterhin präsent, hatte lediglich das Terrain des Streits gewechselt. II. Die zweite Phase: Über den Nationalkredit. Denn der Feldzug war noch längst nicht beendet, vielmehr überlappen sich die Stufen der Auseinandersetzung. Der Streit um die wissenschaftliche Bedeutung von Kraus ist noch nicht ganz beigelegt, da geht es schon um seinen praktischen Einfluß auf die Verwaltung. In seinem Beitrag vom 31. Oktober hatte Arnim auf Kraus’ Rolle bei den Vorschlägen zur Tilgung der Kriegsschuld angespielt. Sein Artikel ist die erste Reaktion der »Abendblätter« auf die neuen Maßnahmen, denn am 27. Oktober 1810 war das Hardenbergsche Finanzedikt publiziert worden. Hardenberg wollte aus der gescheiterten Finanzpolitik seiner Vorgänger Altenstein/Dohna Konsequenzen ziehen. Ihr Ministerium war abgelöst worden, weil sie zur Bezahlung der französischen Kontributionen nichts anderes vorzuschlagen wußten, als die Abtretung der Provinz Schlesien. Hardenberg setzte ganz auf die Belebung von Gewerbe und Landwirtschaft durch eine liberale Wirtschaftspolitik, auf eine generelle Mobilisierung von Grund und Boden. Diesem Zweck sollte die Umgestaltung des Steuerwesens dienen; das Edikt enthielt darüber hinaus ein Verfassungsversprechen und zeigte so, daß die Finanzierung der Kriegskontributionen zum Hebel der ganzen Reformpolitk geworden war. Neue Steuern sind nicht zu umgehen; die vereinfachte Erhebung der Akzise, Grund, Gewerbe und Luxussteuern wird angekündigt und tags darauf, am 28. 10., publiziert. Das Edikt sieht aber auch Ersparnisse, äußere und innere Anleihen, einen sukzessiven Verkauf der Domänen und der säkularisierten geistlichen Güter vor.[66] Das Kraussche Gutachten »Über die Mittel, das zur Bezahlung der französischen Kriegsschuld erforderliche Geld aufzubringen« hatte bei diesem Konzept Pate gestanden, wenngleich seine steuerpolitische Tendenz eher verwässert wurde. Seinerzeit war es auf allerhöchstes Wohlwollen gestoßen. Am 26. August 1807 schrieb das Mitglied der ImmediatCommission Schrötter an Auerswald: »Seine Majestaet der König haben in der gestern Abend eingegangenen Cabinets Resolution vom 23. d. Mts. mir befohlen, dem Professor Kraus für sein gründliches Gutachten über die Mittel, das Geld zur Bezahlung der Kriegs Contribution aufzubringen, im Namen Sr. Majestaet zu danken. Die Erfüllung dieser angenehmen Pflicht ist mir durch den gestern früh erfolgten Tod dieses vortrefflichen Mannes, dessen frühzeitiges Absterben ein wahrer National Verlust ist, unmöglich gemacht worden.«[67] Kraus diskutiert eine Reihe von Möglichkeiten: erstens eine auswärtige Anleihe, zweitens eine inländische Anleihe, drittens eine Beschatzung des Einkommens und viertens eine Beschatzung des Vermögens. Für eine auswärtige Anleihe spricht der Zeitgewinn für die Nation und der Umstand, daß sie so ihre Kraft auf »die Wiederherstellung ihrer Wirthschaft wenden kann«. Wenn es ans Zurückzahlen nicht nur der Zinsen, sondern auch der Schuld selbst gehe, könne man dieses Geld zum Teil durch neue, direkte Steuern aufbringen, »insonderheit auf Gegenstände des höhern Wohllebens«. Er zieht einen Vergleich mit England: dort seien die »gemeinen Eßwaaren« von indirekten Abgaben frei. In Preußen hingegen, sagt er mit Blick auf das friderizianische Akzisesystem, seien sie allesamt impostiert »und während dort alle Gegenstände des Luxus in steigender Proportion mit Steuern belegt sind, sind viele derselben bei uns von aller Steuer frei«. Außerdem sollten die »überflüssigen Pensionen« überprüft werden. Daß all dies keine großen Summen erbrächte, sei nur eine Ausrede der interessierten Kreise. Bauern und Handwerker hätten unter den Kriegseinwirkungen zu sehr gelitten, als daß bei ihnen viel zu holen sei; außerdem brauche die Nation ihre Barschaft zur Wiederherstellung ihrer Lebensgrundlage. Als geeigneten Ort für die Anleihe schlägt Kraus den Finanzplatz Amsterdam vor. Preußen habe dort Kredit wegen der pünktlichen Zurückzahlung voriger Anleihen, vor allem aber deswegen, weil diese neue Anleihe nicht wie das sonst meistens der Fall sei für einen Krieg verschwendet werde, sondern dem Aufbau und dem künftigen Wohlstand dienen solle. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß die auswärtige Anleihe nicht in erforderlicher Höhe zustande käme, diskutiert er die inländische Anleihe. Bei der jetzigen Stockung des Verkehrs angesichts der Kontinentalsperre seien anlagesuchende Kapitalien vorhanden. Ebenso sei durch das Moratorium vom 19. Mai 1810 die Geldanlage in den sonst üblichen Landschaftlichen Pfandbriefen unattraktiv geworden. Dennoch habe die inländische Anleihe zwei Nachteile: sie entziehe der Nation die Gelder, die überall gebraucht würden, und, da die Zinsen schon etwas höher gesetzt werden müßten als sonst üblich, würden wiederum die Pfandbriefe der Landschaften in Mitleidenschaft gezogen und wohl was rechtlich möglich war von Aufkündigungen der Geldgeber bedroht. Die Besteuerung von Einkommen und Vermögen wird umständlich erörtert ihr Tenor ist aber nicht zu überhören: die reicheren Klassen sollen zahlen, darauf müsse man achten, »wenn nicht Bedrückungen, Verarmungen und Elend, zumal unter den für die Nationalwirtschaft so wichtigen Klassen der Gewerbeleute und Arbeiter, eintreten sollen«. Die meisten der beigefügten Erläuterungen betreffen die Probleme der Luxussteuer. Das Gutachten schließt mit einer Warnung: »Es wird wohl Niemand den Einfall haben, eine Besteuerung der landschaftlichen Zinscoupons vorzuschlagen, um auf diesem Wege desto gewisser allen auf Pfandbriefen angelegten Kapitalien zu bekommen. Sollte dies doch Jemandem einfallen; so ist zu bemerken, daß eine solche Besteurung, erstens, so fern sie zuerst den Gläubiger angriffe, gewaltige Aufkündigungen von Kapitalien bei der Landschaft zur Folge haben, und sonach par contrecoup den Zinssatz steigern würde; zweitens, daß sie sehr ungleichmäßig, und sonach unbillig wäre, so fern sie den Armen (vielleicht eine arme Witwe oder einen Dienstboten) der einen Pfandbrief von 100 Rthl. besäße, eben dem Steuersatz unterwürfe, den ein reicher Eigner von vielleicht 10,000 Rthl. in Pfandbriefen, bestehend vielleicht auch meist aus Briefen von 100 Rthl., trüge.«[68] Deutlich wird bei Kraus ein gesellschaftlicher Konflikt: Wer soll den verlorenen Krieg vorrangig bezahlen? Welche Klasse der Nation wird zur Kasse gebeten? Seine Antwort ist eindeutig: Nicht die geldbesitzenden Bürger, schon gar nicht die unteren Schichten. Der eigentliche Kampf der »Berliner Abendblätter« gegen diesen bei Hardenberg bereits abgeschwächten Reformakt beginnt wiederum mit einem Artikel von Adam Müller. Im 40. Blatt, in dem Kleist ihm zum »Taufangebinde« für seine just am 27. Oktober 1810 geborene Tochter Cäcilie die Erzählung »Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik« abzudrucken beginnt, veröffentlicht Müller nicht näher bezeichnete »Fragmente«.[69] Sie betreffen das Verhältnis von Generalhypotheken und Spezialhypotheken, auf diesem Umweg aber einen Grundsatz der »aufklärende[n] Freiheitsapostel aus der Schule Adam Smiths«.[70] Der polemische Ton verrät, daß die Beilegung des Streites um die Person von Kraus wirklich nur vordergründig war und daß es nun tatsächlich um die Frage geht, welcher Stand zur Zahlung der Kriegskontributionen vorrangig herangezogen werden soll. »Privilegien und Rechte einzelner Menschen werden mit höchster Gewissenhaftigkeit geschont, während man die Rechte ganzer Stände und Corporationen mit Flüchtigkeit bei Seite wirft«. Da möge man sich nicht wundern, »daß die Spezialhypotheken beim Publikum mehr Credit haben, als die Generalhypotheken. Das Hauptproblem für den Finanzier unsrer Zeit ist, die Generalhypotheken wieder zu Ehren zu bringen; mit andern Worten: es dahin zu bringen, daß der Staat und der einzelne Stand wie es die Natur der Sache will mehr Credit habe, als der Privatmann«.[71] Bei Lichte besehen ist dieser kurze Artikel der überdies zivilisationskritisch rügt, die Aufklärung steigere die »idealischen Bedürfnisse der Nationen«[72] ins Unendliche, basiere aber auf einer Staatswirtschaft, die nur rohe, zahlbare Bedürfnisse kenne eine ziemliche Unverfrorenheit. Denn was sind »Generalhypotheken«, warum müssen sie wieder »zu Ehren« gebracht werden? Waren sie denn in Unehre gefallen? Wie aus der Erwähnung des Zahlungsmoratoriums für Pfandbriefe der Landschaften im Gutachten von Kraus schon ersichtlich, war das tatsächlich der Fall. Wenn Müller sagt, der »Stand« solle mehr Kredit haben als ein »Privatmann«, dann ist deutlich, was er damit meint. Es geht um das in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts entwickelte landschaftliche Kreditsystem in Preußen, eine Geldaufnahme des gutsherrlichen Adels am Kapitalmarkt durch verzinsbare Pfandbriefe, die nicht von dem einzelnen Adligen gedeckt werden mußten, sondern für die der Adelsstand als solcher, organisiert in der »Landschaft«, aufkam.[73] Die Auswirkungen dieses Kreditsystems auf die Landwirtschaft war umstritten, denn die Adligen, die nun relativ leicht an Gelder gelangen konnten, verwendeten die Summen nicht produktiv, etwa für Meliorationen, sondern für den eigenen Konsum und für die beliebten Güterspekulationen vor dem Hintergrund der seit 1770 durch ausländische, vor allem englische, Nachfrage kontinuierlich steigenden Getreidepreise. »Was die Vernunft voraussieht«, hatte Christian Jacob Kraus notiert, »das hat die Erfahrung bestätigt, und zwar am auffallendsten da, wo das System am längsten gedauert hat, in Schlesien. Gutsbesitzer sind daselbst zu schwindelhaften und gewagten Unternehmungen (Spekulationen), oder zur Verschwendung und zum Luxus, veranlaßt und unterstützt worden; sie haben sich auf Güterhandel, auf Ankauf zum Wiederverkauf gelegt, wobei sie die Güter, statt zu meliorieren, vielmehr durch Aushau der Wälder, oder durch Schwindeleien, verschlechtert, und wobei die unterthänigen Einsassen, von den immer wechselnden Herren durch Vermehrung an Frohnen u.d.g. gedrückt wurden.«[74] Für die Anleger warben die Landschaften mit der rechtlich gesicherten Garantie des gesamten Adels einer Provinz. Doch diese Sicherheit war im Jahre 1807 nichts wert, weil sie durch die politische Entscheidung, dem Adel ein Zahlungsmoratorium zu gewähren, außer Kraft gesetzt wurde. Mit der Napoleonischen Kontinentalsperre war die lukrative Getreideausfuhr über die Ostseehäfen zusammengebrochen ebenso wie der spekulativ aufgeblähte Immobilienmarkt. Da die Regierung den Adel als Stand schützte und es den Gläubigern auf »gesetzlichem Wege unmöglich machte, ihre Forderungen an die Schuldner geltend zu machen« es handelte sich um Moratorien, die sich bis in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts hineinzogen , fielen die Pfandbriefkurse von etwas über 103% im Jahre 1805 auf 36% im Jahre 1812.[75] Eine gewisse Verunsicherung der Geldanleger war also durchaus verständlich. Doch das ist nur ein Vorgeplänkel. Der eigentliche Angriff auf die Hardenbergsche Finanzreform der dann die »Abendblätter« in ernsthafte Schwierigkeiten bringen wird erscheint in der darauffolgenden Nummer (41. Blatt vom 16. 11.).[76] Der Artikel »Vom Nationalcredit« ist wieder mit »Ps.« gezeichnet. Anfangssatz wie Schlußsatz sind unmittelbar auf Hardenberg gemünzt. Die Gesetzgebung eines Staates könne nicht Sache eines »einzelnen guten Kopfes« sein, die »interessirten Stände« müßten an ihr beteiligt werden.[77] Was sie fordern würden, ist leicht zu erraten. Der Schlußsatz wird beleidigend: »Keine Verschlagenheit irgend eines noch so genialischen Administrators kann ein Surrogat vorfinden für den Credit, der durch Treue gegen die Verfassung erworben und aufrecht erhalten ist. Ein Administrator kann Geld, aber ewig keinen Nationalcredit machen.«[78] Im Mittelstück des Artikels zeigt sich, warum Adam Müller die Ökonomie auf das Recht gründen will und zwar auf das überkommene Recht. Denn der zentrale Satz lautet: »Wahren Credit haben Deine Versprechungen und Schuldverschreibungen nur, in wiefern du selbst die Versprechungen und Einrichtungen deiner Vorfahren aufrecht erhältst.«[79] Müller beruft sich auf England als positives Beispiel. Wer dem britischen Staat auf »ewige Annuitäten (perpetual annuities)« borge, müsse sicher sein, daß der Staat den Enkeln und Urenkeln den gleichen landesüblichen Zins zahle wie den Großvätern. Wer bedenke, daß jährlich gegen 10 bis 15 Mio. Pfund Sterling in dieser Weise angelegt würden, der bekomme ein Gefühl von der Treue der Engländer gegen ihre hergebrachten Institutionen. »Hierauf und nicht auf unermeßlichen Waarenvorräthen, Hypotheken und Pfändern beruht der brittische *Nationalcredit*.«[80] Zwar wird eingeräumt, daß der »Privatcredit« auf der »Masse der handgreiflichen Reichthümer oder [Herv. v. mir, H. K ] der Production«[81] beruhe, Müller ist aber der Ansicht, daß auch solche Kapitalanlagen längerfristig in ein anderes, konservatives System überführt werden müßten. Befriedigt schließt er diesen Passus: »*Hört es: die Hypothek aller Hypotheken ist das wahre, durch Jahrhunderte bestandene Gesetz,* und es ist ein Kinderspiel zu zeigen, wie diese Erzhypothek allen andern Hypotheken erst den lebendigen Odem einhaucht.«[82] Was sich hinter diesen Ankündigungen verbirgt, wird in der im Winter 1810 gehaltenen öffentlichen Vorlesung »Über König Friedrich II. und die Natur, Würde und Bestimmung der Preussischen Monarchie« erst deutlich oder vielmehr undeutlich. Gegen das »Fortschreiten«, gegen die »Beschleunigung aller Kräfte« fordert Müller eine enge Anbindung des Grund und Bodens an die Familien, sowohl der adligen »feldbauenden« Familien, die wiederum in die »größere dörfliche Familie« eingebunden bleiben sollen. Die göttlichen Eigenschaften des Bodens übrigens parallel dazu auch die der Frauen kämen erst zum Tragen »durch langen Umgang desselben Besitzers«. Eine verhaltene Kritik am Pfandbriefsystem kann indes nicht verdecken, daß diese Verwurzelung einer Familie mit einem bestimmten Gut schon längst durchbrochen war. Und schließlich mußte auch Müller zu dem Zahlungsmoratorium für die Landschaftlichen Pfandbriefe Stellung nehmen. Seine Antwort: die jetzige Lage der Dinge war zu erwarten, denn die Kreditaufnahme auf Grund und Boden verletzt dessen »Natur«.[83] Zur Begründung des »Nationalcredits« fordert Müller die Einführung von »echtem Papiergeld«. Darunter versteht er »persönliche, auf den Credit der Person des ewigen Souveräns, ausgestellte, unverzinsliche Wechsel«. Allerdings gibt es bei diesem Papiergeld mit Zwangskurs ein Problem: es kann nur binnenwirtschaftlich gelten. Bestünde die ganze Welt nur aus einem preußischen Staat, so gäbe es keinerlei Schwierigkeiten mit dem Papiergeld. So aber gelte zwischen den Staaten nach wie vor Metallgeld. Müller weiß, daß der Welthandel hors de la loi ist und sich nicht einzelstaatlich dirigieren läßt. Wie aber das Papiergeld in nach außen konvertible Währung umgesetzt werden soll, wird aus seinen Ausführungen nicht recht deutlich.[84] Offenbar setzt er darauf, mit Hilfe des auf dem »Credit« der Institution des Königtums beruhenden Papiergeldes die Binnenkonjunktur zu beleben, die dann mit der Zeit zu einem ökonomischen, schließlich auch militärischen Wiedererstarken der Nation führen soll. Voraussetzung dafür ist der unbedingteste patriotische Glaube an die Gültigkeit des neuen Geldes im circulus vitiosus: der Glaube trägt das Papier und das Papier trägt den Glauben. Der wahre Patriot verschreibt sich auf Gedeih und Verderb dem Vaterland und akzeptiert Papiergeld, während derjenige, der auf Bezahlung in Metallgeld beharren würde, nur seine unpatriotische, weltbürgerliche Gesinnung enthüllte: »Aber in dem Maße wie der Nationalgeist die wahre und reine Papiercirculation (welche ich hier beschrieben habe, und welche die Natur verlangt, weil das Metallgeld für den Verkehr nicht hinreicht) tragen hilft, wird er selbst wieder durch die Papiercirculation getragen: der Bürger wird durch das Papier fester an die bestehende Ordnung gebunden, während das bloße Metallgeld auch nur die bloße weltbürgerliche Stimmung begünstigt.«[85] Indes, die steuerpolitische Tendenz ist auch hier klar: nichts von auswärtigen Anleihen, nichts von inländischen Anleihen und vor allem nichts von Steuern, schon gar nicht für den Adel. Verglichen mit dem handfesten Kraus’schen Gutachten von 1807 bietet die Müllersche Vorlesung ein PapiergeldProjekt aus einer »Vorlesungsgondel«, wie der Kriegsrat Scheffner es ausgedrückt hatte. Wogegen Müller grundsätzlich kämpft, ist die Dynamisierung des Begriffs vom Nationalreichtum bei Adam Smith. Für Smith ist Reichtum nichts Statisches mehr; insofern geht es auch nicht, wie Müller meint, um »Waarenvorräthe«, sondern um eine wachsende Wirtschaft, innerhalb derer dann der Reichtum der Nation sich tatsächlich durch alle Schichten der Bevölkerung ausbreiten kann. Smiths Einsicht läßt sich in einem Satz ausdrücken: Nur Wachstum ist Reichtum.[86] Da die Steuereinnahmen des Staates letztlich aus den Einkommensarten seiner Bürger gezahlt werden müssen, also aus Rente, Profit und Arbeitslohn ist eine gerechte Beteiligung der Untertanen nach ihren Vermögensverhältnissen anzustreben. Ist der Staat gezwungen, in Notfällen Geld aufzunehmen, so ist selbstverständlich Vertrauen in das Rechtswesen vonnöten davon kann er aber das Geld nicht zurückzahlen, sondern nur aus seinen Steuereinnahmen. So ist letztlich wieder die florierende Wirtschaft die Basis allen Staatskredits.[87] Hardenberg und sein Kreis waren durch den Artikel Müllers offensichtlich alarmiert. Man hatte sofort Friedrich Wilhelm III. eingeschaltet, der in einer Kabinettsorder an den Geheimen Staatsrat Sack den Vorgesetzten des für die Überwachung der »Abendblätter« zuständigen Polizeichefs Gruner sich für »strengste Censur« ausspricht.[88] Der von Hardenberg verfaßte Text der Order gibt sich königlichindigniert hinsichtlich des Artikels: »Er enthält, wie es mir scheint, einen Ausfall gegen das neue Finanz Edict; es ist vom Heilighalten alter Einrichtungen und vormaliger Zusicherung die Rede, und dieses wird als die Basis des NationalCredits nach dem Beispiele Englands aufgestellt. Außerdem spricht man in den ersten Zeilen nicht undeutlich den Wunsch nach einer allgemeinen Versammlung von Ständen aus, der in erhitzten Köpfen vorherrschend sein soll und der auf jeden Fall einer großen Modifikation bedarf.« Die Regierung ging in ihrer Entgegnung nun spiegelverkehrt vor. Zuerst erschienen wiederum »Fragmente«, die die Müllerschen Fragmente vom 15. November plagiiert karikieren.[89] Hatte Müller von den »aufklärende[n] Freiheitsapostel[n] aus der Schule Adam Smiths« gesprochen, so ist nun von dem »verfinsternden Apostel der Knechtschaft und des Feudalismus aus der Schule Burkes«[90] die Rede. Zentrum der Entgegnung ist ein Appell an den Patriotismus des Adels, denn diejenigen Stände, die in glücklicheren Zeiten bei der Besteuerung begünstigt waren, sollten nun Gemeinsinn und Vaterlandsliebe zeigen. Unterzeichnet ist der Artikel mit den griechischen Buchstaben »a w«, was wohl, wie Steig annimmt, verdruckt ist und eigentlich »a m« heißen sollte. Denn Müller hatte seine »Fragmente« erstmals offen mit »A. M.« unterzeichnet.[91] Die erste längere Replik auf Müllers »Fragmente«, der Artikel »Vom Nationalcredit. (Antwort auf Bl. 41.)« im 45. Blatt vom 21. 11.,[92] geht ebenso vor. Müllers Formulierungen werden aufgegriffen und umgekehrt. Die Sicherheiten, die auch noch den Enkeln Vertrauen in die Kreditwürdigkeit des Staates versprechen, seien mitnichten die historischen Traditionen, hinter denen sich der Eigennutz verschanzt, sondern »die ewigen Gesetze der Natur«.[93] Indes ein richtiger Smithianer spricht hier nicht. Wer der Auffassung ist, daß der Reichtum Englands sich nicht auf den Landbau stützt, »sondern auf [der] weniger solide[n] [Basis] der Fabrikation und des Handels beruhet«, der argumentiert bestenfalls physiokratisch.[94] Wer immer dies geschrieben haben mag Botzenhart vermutet Friedrich von Raumer als Autor , die umfassende Antwort auf Adam Müller kommt erst mit dem 51. Blatt. und der Abhandlung »Über den Geist der neueren preussischen Gesetzgebung.«.[95] Hier ist nun alles beieinander, was Selbstverständnis und Mythos der preußischen Reformen ausmacht. Der Beitrag beginnt mit einer Bemerkung zum relativen Veralten der Statistik unter den besonderen historischen Bedingungen. Der Reichtum der Nationen wurde ehemals ermittelt nach Flächenmaß und Anzahl der Bevölkerung. Doch dieser Reichtum ist ins Wanken geraten, ein neue Kraft ist an seine Stelle getreten: auch hier ist es die Vaterlandsliebe. Sie wird aber ökonomisch ganz anders eingesetzt als bei Adam Müller. Der preußische Staat habe durch den Frieden von Tilsit die Hälfte seiner extensiven Macht verloren. Die verlorenen Quadratmeilen und Bevölkerungsanteile könne die Regierung nicht ersetzen, wohl aber durch Wegräumung der bisherigen Hindernisse die intensive Macht der Gesellschaft erhöhen. Dieses Ziel sei angestrebt worden »durch das GeneralEdict vom 27ten Oct. 1810 welches das Edict vom 9ten Oct. 1808 [gemeint ist wohl der 9. Okt. 1807, H. K.] über die Aufhebung der Erbunterthänigkeit, so wie die Militairverfassung, und die neue StädteOrdnung, ergänzt«; dadurch sei »dem Preussischen Staat die frohe Aussicht geworden, das, was er an äußerer Macht verlor, in seinem Inneren wiederzufinden«.[96] In der Schlußwendung gibt der Schreiber der Hoffnung Ausdruck, daß schon bald in den »Abendblättern« die noch unvollkommene und unverstandene Gesetzgebung näher erläutert werden könnte.[97] Es ist nach dieser Ankündigung nicht weiter verwunderlich, daß der offiziöse Autor, der sich hinter dem Kürzel »lh« verbirgt, nun noch einen Artikel über »Gewerbfreiheit« nachlegt, und zwar im 55. Blatt.[98] Unter Berufung auf Smith und Kraus nennt er die Freisetzung der Gewerbe eine »restitutio in integrum«, »besonders wenn die reicheren Classen anfangen werden, sich mehr auf bürgerliche Gewerbe zu legen, und sie fabrikmäßiger zu betreiben«[99] anstatt, so möchte man den Satz vollenden, ihr Geld in den Landschaftspfandbriefen anzulegen, die vom Adel wiederum unproduktiv und spekulativ verwendet wurden.[100] Weg mit den alten Zunftschranken, weg mit der unsinnigen Aufsplitterung der Spezialisierung in den Handwerken, die zu eigensinnig gehüteten Absurditäten geführt hatten. Ein solcher Staat mit einer solchen Gesetzgebung und nun kommt das patriotische Reformcredo wird seine Nachbarn »an Wohlstand und Kraft überragen«.[101] Ein sprachlicher Lapsus in diesem Artikel führt zu einer boshaften kleinen Korrektur seitens der Redaktion. lh hatte geschrieben: »So wie im 15ten Jahrhundert der Durst nach Gold den Höfen von ganz Europa und alles was Neigung oder Dürftigkeit zu kühnen Abendtheuern anregte, nach dem neuentdeckten Westindien hinlockte«,[102] so würden auch rechtlich denkende und wohlhabende Bürger aus schlecht regierten Staaten dem Prinzip der Gewerbefreiheit folgen und in die Reformstaaten einströmen. »Den Höfen von ganz Europa«? Im 57. Blatt wird dieser »Druckfehler« korrigiert, statt »Höfen« soll es heißen »Hefen«.[103] Die Sache wird durch die Korrektur nicht besser, denn der grammatische Fehler (ein Berliner Dativ?) ist nicht behoben. Dafür ist nun der Vergleich der »Hefen« des Volkes mit den wohlhabenden Bürgern mehr als schief. |
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