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Ist das ein Buch? Ein Antiquar vor neuen Aufgaben Ein Geburtstagsgeschenk sollte es sein, dieses kleine Lexikon der antiken Mythen und Gestalten, aktuell als Taschenbuch im List-Verlag für nunmehr 13,50 statt früher bei dtv für 13,90 lieferbar, aber das Gespräch lief am Beschenkten vorbei zwischen dem Antiquar, der für seinen Stammkunden auch als Buchhändler tätig ist, und dem Herrn Professor, der gerade sagt, dass die Abbildungen kaum zu erkennen seien, grobkörnig anmuteten und die Linien und Flächen zuliefen wie auf einer Fotokopie. Recht hat er, das sieht der Antiquar sofort und nicht zum ersten Mal, auch der Text wirkt leicht verschwommen auf der eng beschnittenen Seite, das Papier ist etwas gräulich und leicht gewellt, und sagt: Das ist gar kein Buch! Das sieht nur aus wie ein Buch. Ein unglücklicher Versuch, eine Fotokopie zu einem Buch zu formen, sparen um jeden Preis. Dieser sichtbaren Anstrengung haben sich mittlerweile einige auch namhafte Verlage wie z. B. Suhrkamp oder Klett-Cotta verschrieben, wo es doch jahrhundertelang, bei manchem Rückschritt, das Bestreben der Verlage war, die Anstrengung bei der Verfertigung eines Buches nicht sichtbar werden zu lassen. Das Ergebnis waren immer wieder wunderbar anzuschauende angenehm lesbare Orte der geistigen Versenkung und Konzentration, eben Bücher. Angereichert um Besitzvermerke oder Kommentare und mit den Spuren kleiner alltäglicher Unglücke versehen, wurde das Buch zu einer dauerhaften Erinnerung an die Zeit seiner Entstehung und Lektüren und darüber hinaus für den aufmerksamen Leser selbst zu einem Erzähler von Geschichte und Geschichten. Nun greifen gerade Fachverlage vermehrt auf die Produktion eines Textes auf Print-on-demand-Basis zurück, zum einen, um bereits bewährte Titel parat zu halten, zum anderen, um neue Titel kostengünstig und schnell anbieten zu können. Was aber kostengünstig und schnell angeboten werden soll, gehört in eine Zeitschrift oder in eine Textbuch-Reihe, wo es sich bewähren wird oder nicht. Ein in Druck und Satz vernachlässigtes Produkt verlegerischer Arbeit teilt sich seinem Leser unmittelbar sinnlich mit. Er spürt auch das mangelnde Vertrauen der Verleger in ihr Werk. Bald will Hanser unter seinem Dach einen Verlag präsentieren, der ausschließlich digital jede Woche einen Text (sic!) publiziert, nicht zu lang, nicht zu kurz. Schnell soll es gehen. Ist das dann ein Buch, will es das noch sein? Muss ich meine Kunden bald fragen: Wollen Sie nur den Text oder doch lieber ein Buch (meistens ist es das Buch!)? Und wenn ich dann, da ich den Band nicht vorrätig habe, im Internet suche, kämpfe ich mich durch Seiten von Print-on-demand-Angeboten mit noch recht unbekannten Verlagsnamen, immerhin, aber da sind ja jetzt auch die Reprints oder Print-on-demand-Angebote bekannter Verlage, und wie wird da die Qualität sein in Hinblick auf Druck, Papier, Seiteneinrichtung und Bindung? Ist das dann ein Buch oder wieder ein unglücklicher Versuch, eine Fotokopie zu einem Buch zu formen. Die Entscheidung liegt beim Verlag. Sofern er nicht gleich den in jeder Hinsicht billigen Digitaldruck vorsieht, hat er auch beim großen Druckhaus durchaus die Wahl zwischen allen Qualitäten, es sind nur Cent-Unterschiede pro Buch. Es wird immer schwieriger. Ein Kunde bringt ein weiteres Beispiel ins Haus. Das Taschenbuch von Hegels Die Philosophie des Rechts. Vorlesungen von 1821/22 aus Suhrkamps Wissenschaftsreihe stw sieht auf den ersten Blick aus wie ein vertrautes Suhrkamp-Taschenbuch (nur dass der Deckel glänzt wie abwaschbar). Beim Öffnen aber fällt auf, dass sich der Band eben nicht mehr ganz öffnen lässt. Eine dickere Klebebindung versteift den Rücken des Buches dergestalt, dass innen in der Mitte der Bundsteg praktisch verschwindet und der Leser Sorge hat, den Band beim Aufschlagen nicht doch auseinander zu brechen. Es ist durchaus kein Zufall, dass ein Buch so aussieht wie es in seinem glücklichsten Zustand heute aussehen kann, und die immer verzweifelteren Versuche von Geschäftemachern, das Buch in seiner vermeintlichen Essenz, dem Text, immer günstiger und schneller verfügbar zu halten, sind den Versuchungen elektronischer Verarbeitungsmöglichkeiten geschuldet und untergraben sofort die Würde des Buches. Würde, werden Sie jetzt denken, ist ein großes Wort, aber Würde kann auch einem Produkt menschlicher Schöpfung zugesprochen werden. Damit aus einem Text ein Buch wird, bedarf es seiner Auswahl durch ein Gremium, welches über die Qualität, den Wert eines Textes entscheidet: das Lektorat, den Verleger. Sie urteilen und treffen die mutige Entscheidung, ob ein Text das Überdauern wert ist, ob er auch sein Geld wert ist und übernehmen das unternehmerische Risiko. Die Qualitäten des Textes werden durch die Gestaltung des Buches versinnbildlicht und nach den Bedürfnissen der Leserschaft ausgerichtet. Dann ist ein Buch ein Dokument, ein Gegenstand, der nicht einfach auf Tastendruck gelöscht werden kann, ein in jeder Hinsicht begreifbarer Gegenstand und gleichzeitig ein sinnlicher, geistig begehbarer Ort, zu dem man gerne zurückkehrt. Hunderte Jahre wird sich das Buch nun bewähren müssen, physisch, vor dem Urteil der Leser, den Dekreten der Mächtigen, im Bibliotheksregal seiner Entfaltung harrend und dabei inhaltlich unverrückbar bleiben. Das macht seine Würde aus. Ein e-book jedenfalls ist kein Buch, sollte vielmehr e-text heißen und daran erinnern, dass man im Bedarfsfall den Text aus einem Buch auch elektronisch lesen kann. Die Recherche ergab dann, dass die erste deutsche Ausgabe des Lexikons ebenfalls bei List 1976 in Leinen, in größerem Format und mit einer Fadenheftung versehen erschien, danach gab es elf im Textteil ungekürzte Auflagen als dtv-Taschenbuch in einer Auflage von insgesamt 83.000 Exemplaren, ein Standardwerk. Vielleicht sollte man besser die dtv-Ausgabe antiquarisch bestellen, überlegt der Professor laut und während die Finger des Antiquars bereits über den Tasten schweben, sagt sein Sohn vermittelnd: Es ist ja nur zum Nachschlagen! 27. August 2014
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