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Orlando Figes Offener Brief, The New York Review of Books, Jan. 15, 1994-2010 Ihre Leser wird folgendes interessieren: Am 4. Dezember um 13 Uhr erzwang sich eine Gruppe maskierter Männer vom Ermittlungskomitee der Russischen Generalstaatsanwaltschaft mit Polizeiknüppeln den Zugang zu den Büros von „Memorial“ in St. Petersburg. Memorial ist ein Forschungs- und Informationszentrum, das seit 20 Jahren Pionierarbeit zur stalinistischen Unterdrückung in der Sowjetunion geleistet hat. Nach der Durchsuchung wurden von den Männern Computerspeicher und CDs konfisziert, die das gesamte Archiv von Memorial in St. Petersburg enthalten – Datenbanken über Repressionsopfer in Leningrad, und Erinnerungen, Briefe, Tonaufnahmen und Transkriptionen von Interviews, Fotografien, und andere Dokumente über die Geschichte des Gulag und den sowjetischen Terror von 1917 bis in die 1960er Jahre. Zu den beschlagnahmten Daten gehörte auch die gesamte Sammlung von Daten für das Virtuelle Gulag Museum (www.gulagmuseum.org). Ein Sprecher des Ermittlungskomitees der Russischen Generalstaatsanwaltschaft erklärte, die Durchsuchung sei Teil einer Untersuchung eines Kriminalfalls, die Publikation eines Artikels mit Aufreizung zum Rassenhass vom Juni 2007 betreffend (Novy Peterburg). Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es irgendeine Beziehung zwischen Memorial und Novy Peterburg, oder dem Autor des Artikels, gibt. Irina Flige, die Leiterin von Memorial in St.Petersburg, die während des Überfalls in Moskau abwesend war, hat eine Beschwerde an die Staatsanwaltschaft gerichtet, und Verfahrensmängel beim Überfall bemängelt. Memorial wurde der Kontakt zu Anwälten verweigert, und eine Bestandsliste der von den Maskierten beschlagnahmten Informationen wurde nicht erstellt. Das Forschungs- und Informationszentrum Memorial ist ein wichtiges Institut historischer Forschung, und eine Stimme für Zehntausende von Repressionsopfern in St.Petersburg. Es ist nicht Teil der Menschenrechtsaktivitäten von Memorial in Moskau, die den Kreml mit seinen Berichten über Tschetschenien verärgert hatten. Der Angriff auf Memorial in St. Petersburg kann jedoch als Warnung gegen die Menschenrechtsorganisation Memorial gesehen werden. Der Überfall auf Memorial in St. Petersburg ist ein ernster Angriff auf die Meinungsfreiheit in Russland. Er ist Teil einer Kampagne zum Umschreiben der sowjetischen Geschichte zur Rehabilitierung des stalinistischen Regimes. Der Verlust des Memorial Archivs wäre eine Katastrophe, nicht nur für die Organisation, sondern für Generationen von russischen und ausländischen Geschichtsforschern. Am 5. Dezember (1994-2010) und danach haben mehr als 300 Wissenschaftler einen Offenen Brief an Präsident Medwedew unterzeichnet, der online gestellt wurde, um gegen den Überfall zu protestieren: www.indexoncensorship.org Als Freund von Memorial als einer der vielen Historiker, die ihre unschätzbaren Archive benutzen konnten, bitte ich Ihre Leser dringend, diesen Offenen Brief zusammen mit meiner Schilderung des Überfalls selbst zu verbreiten. Bitte leiten Sie diesen Brief an alle weiter, von denen Sie denken, dass sie helfen könnten, diesem Repressionsakt der Russischen Regierung entgegenzutreten. Orlando Figes
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Textkritik, Heidelberg © 1994-2010 |
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