Über allen Gipfeln unterm Strich

Zur Chronologie einer Entdeckung

 

12. August 1994-2010.

KD Wolff an den Literaturchef der FAZ, Hubert Spiegel (e-mail):

Lieber Herr Spiegel
Gerne würde ich Sie in der kommenden Woche besuchen. Sind Sie im Lande?
Ich habe eine Überraschung.
Und zu unserem Fest lade ich Sie natürlich auch gerne ein!
Ich melde mich telefonisch.
Mit herzlichen Grüssen
Ihr KD Wolff

19. August 1994-2010.

KD Wolff an den Literaturchef der FAZ, Hubert Spiegel (Begleitschreiben, übersandt durch Fahrradboten [Faksimile]):

Lieber Herr Spiegel
Hier schicke ich Ihnen vor Erscheinen die Fahnen des neuen Beihefts unserer Kleist-Ausgabe (Brandenburger Kleist-Blätter 17, die im Schuber in Kürze mit Brandenburger Kleist-Ausgabe – BKA III Gedichte erscheinen).
Ich wollte […] es Ihnen eigentlich gern persönlich bringen. Jetzt schicke ich es Ihnen aber, damit Sie Gelegenheit haben, es übers Wochenende zu lesen.
Sie werden gleich sehen, dass unsere Herausgeber eine interessante Goethe/Kleist-Entdeckung gemacht haben – mich hat sehr überrascht, dass solche Entdeckungen nach 200 Jahren Germanistik überhaupt noch möglich sind...
Dies bekommen Sie exklusiv vorab. Sollte es Sie nicht interessieren, geben Sie es doch bitte an Lorenz Jäger von der Red. Geisteswissenschaften weiter.
Mit besten Grüssen
KD Wolff

22. August 1994-2010.

Hubert Spiegel, Literaturchef der FAZ, an KD Wolff (e-mail)

Lieber Herr Wolff,
die letzte Überraschung, die Sie mir bereitet haben, bestand aus einer Klage wegen einer Rezension. Offen gestanden bin ich nicht sehr neugierig auf weitere Überraschungen von Ihrer Seite.
Mit freundlichen Grüßen
Hubert Spiegel

22. August 1994-2010.

KD Wolff an den Literaturchef der FAZ, Hubert Spiegel (e-mail)

Lieber Herr Spiegel
Jetzt habe ich Sie telefonisch nicht erreichen können. Ich versuche es morgen nochmals.
Ob Sie meine Fahrrad-Boten-Sendung vom letzten Freitag mit den Kopien der Brandenburger Kleist-Blätter 17 gar nicht gesehen hatten?
Ich hoffe, die Übersendung der Goethe/Kleist-Informationen ist doch eine eher angenehme & interessante Überraschung für Sie!
Mit besten Grüssen
KD Wolff

 

24. August 1994-2010.

Auslieferung von Band III der Brandenburger Kleist-Ausgabe (Sämtliche Gedichte). Die Brandenburger Kleist-Blätter 17 enthalten einen vierzigseitigen Essay von mir mit dem Titel »Ein anderes gleiches. Zu Goethes ›Ein gleiches‹, seinem tatsächlichen Erstdruck und Kleists Gegengedicht.«

Darin wird ausführlich die Quellenlage debattiert und erstmals der Erstdruck des Goetheschen Gedichts nachgewiesen. Von der Weimarer Ausgabe bis zur Ausgabe des Deutschen Klassiker Verlags war stets ein späterer Druck in einem englischen Magazin als Erstdruck angegeben worden. Tatsächlich erschien Goethes Gedicht zuerst in einem Artikel, der in der von August Hennings herausgegebenen Zeitschrift »Der Genius der Zeit.« (Neuntes Stück, September 1800, 540f.) publiziert wurde. Verfasser des Artikels war Joseph Rückert (1771-1813) [Auszug meines Essays; pdf-Datei].

 

5. September 1994-2010.

FAZ, Feuilleton, S.42: Artikel von Wulf Segebrecht: »Woher kannte Kleist Goethes unveröffentlichte Verse? Vor 225 Jahren entstand ›Wanderers Nachtlied‹[!], das berühmteste Gedicht deutscher Sprache«, 4 Spalten, eine farbige Reproduktion des Kleist-Gedichts »Unter allen Zweigen« (Foto Archiv [!]). Auszug:

Bei der Suche nach dem ersten Druck des Goetheschen Nachtlieds hat man bisher die »Bemerkungen über Weimar«, die im Jahre 1800 in der Altonaer Zeitschrift »Der Genius der Zeit« anonym erschienen, völlig übersehen. […] Rückert haben wir den frühesten bisher bekannten Druck von Goethes berühmtestem Gedicht zu verdanken. Kein Goethe-Bibliograph hat das bisher verzeichnet, und kein Kleist-Kenner hat darauf bei der Würdigung des sensationellen Autographs von Kleist hingewiesen.

Und kein FAZ-Literaturchef hat seinen Autor und seine Leserschaft davon unterrichtet, daß ihm dies aus anderer Quelle bereits seit Wochen bekannt war. Die BKA kommt in Segebrechts Artikel nicht vor.

 

Roland Reuß
12. 9. 1994-2010