Roland Reuß
Wenn man die ad personam meam gerichtete Replik des DFG-Präsidenten (FAZ vom 15.9.2010) liest, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier einem schlimmen Sohn der Familie die Leviten gelesen werden sollen. Warum der Familienvorstand sich zu einer Antwort hinreißen läßt, wo mein Beitrag »in Argumentationsqualität und Argumentationsintegrität das Mindestniveau [unterschreitet], welches einen wissenschaftlichen Austausch erst ermöglicht«, muß dem unbefangenen Leser ein Rätsel bleiben. Der Generalbaß ist der Vorwurf der Undankbarkeit, der Ignoranz, der Kenntnislosigkeit, mangelnden Vertrauens etc., kurz all das, was Papa beim Abendessen dem mißratenen Zögling an den Kopf wirft, wenn dieser über die Stränge geschlagen hat. Mir fällt dazu ein, was Menippos einst Jupiter nach einer seiner Entladungen entgegnete: »Du greifst nach deinem Donner, anstatt zu antworten, du hast also wohl unrecht.« Zu den ernsten und unbeantworteten Fragen, die mein Artikel aufgeworfen hat, gesellt sich nun durch die Art der Äußerungen des DFG-Präsidenten eine weitere. Ist es nicht Symptom einer strukturellen Schwäche, wenn eine Institution sich gegenüber Kritik, die allseits bekannte Schwächen benennt, durch Personalisierung immunisiert? Diese im Sinne eines funktionierenden Wissenschaftssystems fatale Immunisierung wird durch einen Doppelbann bewirkt: Wer von der DFG Geld bekommt, darf und kann sich nicht kritisch äußern, denn er läuft Gefahr, daß bei einem Fortsetzungsantrag und dem erwartbaren Grollen des Apparats seine Mitarbeiter auf der Straße sitzen; und wer von der DFG kein Geld bekommt, darf sich erst recht nicht äußern. Seine Kritik kann nur die eines Zukurzgekommenen, eines unqualifizierten Querulanten sein, auf die man nicht eingehen muß. Nach dieser Logik hätte ich mich zweimal nicht äußern dürfen: Für unsere Kleist-Ausgabe haben wir von 1992 bis 2006 Geld bekommen (allerdings nicht in Höhe der Summe, die der DFG-Präsident nennt, und wir haben auch nicht unterschlagen, daß wir gefördert wurden, sondern in jedem Band der Ausgabe, der von der DFG mitgefördert wurde, prominent auf die Unterstützung hingewiesen). Und erst recht hätte ich mich nicht äußern dürfen, bedenkt man, daß meine Anträge zur Förderung der Historisch-Kritischen Kafka-Ausgabe und zur Edition von Brechts Notizbüchern von der DFG abgelehnt worden sind. Ich habe mir gleichwohl oder vielleicht gerade darum die Freiheit genommen, mich zu äußern. Sowenig wie das Finanzamt zum einzelnen Steuerzahler eine persönliche Beziehung aufbauen sollte, sowenig sollte das die DFG zu einem Antragsteller tun. Und sie sollte auf Kritik nicht reagieren wie Anhänger des FC Bayern, wenn ihre Mannschaft doch einmal ein Spiel verliert – eingeschnappt. Offenheit und Kritikfähigkeit sind Tugenden, die von der größten forschungsfördernden Einrichtung der Bundesrepublik gerade mit Blick auf den wissenschaftlichen Anspruch zu erwarten sind. Meine unbeantwortete Kritik reicht von eher speziellen Punkten wie der Frage nach einem vernünftigen Konzept für Mitarbeiter an Editionen, die länger als zehn Jahre abhängig beschäftigt sind und denen das Schicksal eines überalterten Langzeitarbeitslosen droht, bis hin zu strukturellen Problemen der Forschungsförderung. Der unethische Umgang mit dem wissenschaftlichen Personal in den Geisteswissenschaften (halbe Stellen als Standard, Bereitschaft zu kontinuierlicher Selbstausbeutung als Einstellungsvoraussetzung) ist allerdings ein Thema, das nicht nur die DFG betrifft. Der Präsident des Akademiedachverbandes, der meine Kritik ebenfalls zum Anlaß einer Erwiderung genommen hat (FAZ vom 22.9.2010), hätte hierzu vielleicht auch etwas Konkreteres sagen können. Ich möchte mich aber in meiner Duplik auf die strukturellen Schwächen konzentrieren und greife drei Aspekte heraus, die die DFG im Sinne wissenschaftlicher Selbstverwaltung reformieren sollte. * I. Wer mit der DFG zu tun hatte oder noch hat, weiß, daß der zentrale Schwachpunkt eines Antragsverfahrens die Begutachtung ist. Sie ist bei Projekten, die von einzelnen Forschern eingereicht werden, jedenfalls in meinem Fachbereich, grundsätzlich anonym. Durch diese Konstruktion erlangt der DFG-Sachbearbeiter eine nahezu allmächtige Position gegenüber den Projekten. Indem er für Projekt A die Gutachter X und Y (und nicht W und Z) bestellt, fällt er eine Vorentscheidung über das Schicksal eines Antrags. Daß er mit dieser Position tatsächlich glücklich ist, ist unwahrscheinlich. Um ihn zu entlasten, sollte man – nach dem Vorbild von Fördereinrichtungen in anderen deutschsprachigen Ländern – erwägen, Vorschläge des Antragsstellers für Gutachter (positiv und negativ) zuzulassen. Natürlich muß man diesen dann nicht folgen, aber es kommt in die Antragsbearbeitung von Anfang an das Prinzip der Kollegialität zur Geltung, das unser Wissenschaftssystem großgemacht hat. Zur Schwäche des Begutachtungsverfahrens zählt außerdem, daß es für den Antragsteller keinerlei Appellationsinstanz gibt, wenn sein Antrag abgelehnt wird. Die wissenschaftlichen Fachkommissionen, die es noch in den neunziger Jahren gab und die als eine Art Schiedsstelle bei kontroversen Anträgen fungierten, sind von der DFG abgeschafft worden. Es gibt auch nicht wie beim vorbildlichen Schweizerischen Nationalfonds einen Instanzenzug, der dem Antragsteller erlaubt, bei ablehnenden Gutachten noch einmal vor einem größeren Gremium und vor allem in einem nicht-anonymen Raum persönlich seine Sache zu verfechten. Viel ist in der Antwort des DFG-Präsidenten von Vertrauen und verläßlichem Peer-Review die Rede, aber es stellt sich doch die Frage, ob hier nicht schöngeredet werden soll. Daß die Sprüche der Gutachter aus dem Dunkel der Anonymität ergehen, ist ein systemischer Fehler, der der Willkür Tür und Tor öffnet. Es geht hier um Wissenschaft und Argumentationsgänge, nicht um willkürliche Geschmacksurteile – wenn ich stichhaltige Gründe für einen wissenschaftlichen Standpunkt zu einem Projektantrag habe, kann ich für sie als Wissenschaftler auch mit meinem Namen geradestehen. Das Fallenlassen der Anonymität wäre ein erster Schritt hin zu einem wirklichen Peer-Review – Peers, die anonym bleiben wollen, sind eine einigermaßen befremdliche Erscheinung und per se unglaubwürdig, weil sie für ihre wissenschaftliche Meinung nicht mit ihrem ›guten Namen‹ einstehen wollen. Das manchmal vorgetragene Argument, man fände bei Preisgabe der Anonymität keine Leute mehr, die gutachterlich tätig werden, wäre, träfe es zu, die Bankrotterklärung unseres wissenschaftlichen Systems. Mein Vertrauen zu namenlosen Gutachtern hält sich in engen Grenzen. Vielleicht ist dem DFG-Präsidenten auch die Aktenlage des Vorgangs bei meinem Brecht-Antrag nicht richtig referiert worden. Tatsache ist, daß mir knapp ein Jahr nach meinem Antrag während der Begutachtungsphase nur die eine und einzige Frage nach der Datenbankkompatibilität unseres Projekts mitgeteilt wurde, sonst nichts – und fast wieder ein Jahr später nur die Ablehnung, die nicht etwa die Gutachten enthielt, sondern, wie üblich, ein anonymes Florilegium der Monita, auf das hin keine Replik mehr möglich war. Bei einem transparenten Prozeß wäre ein solches Vorgehen undenkbar. Die Förderung unserer Kafka-Ausgabe wurde andererseits mit der Begründung abgelehnt, es läge schon eine kritische Ausgabe vor, die von der DFG gefördert worden sei (welch Argument: Wieso sollte ein Teilchenbeschleuniger subventioniert werden, wo wir das Periodensystem der Elemente bereits kennen!), und die beantragte Förderung (eine Stelle BAT IIa und zwei Hilfskräfte, zunächst für drei Jahre) sei »millionenschwer« (!). Die von uns ohne jede öffentliche Förderung vorgelegten Editionen von »Der Process«, der »Beschreibung eines Kampfes«, der ersten Oxforder Quart- und Oktavhefte (insgesamt fünf Bände, fast 2000 Seiten, die ich eingereicht und nach Abschluß des Verfahrens, immer noch in Plastikfolie eingeschweißt, wieder zurückgeschickt bekam) hätten dankenswerterweise »exemplarisch« den »Schreibraum« Kafkas illustriert, »auch in anderen Handschriften zeigten sich vergleichbare Schreibsituationen, so dass die Frage erlaubt sein müsse, ob der Aufwand, den eine Komplettfaksimilierung aller Manuskripte und Typoskripte in der beantragten Form mit sich bringe, zu rechtfertigen sei«. Jemand, der mit seinem Namen für sein Votum einsteht, wird sich hüten, zynisch zu werden. * II. Die Bevorzugung von big science gegenüber den Anträgen Einzelner, gegenüber little und smart scholarship war ein weiterer Kritikpunkt meines Artikels. Auch hierzu schweigt sich der Präsident der DFG aus. Die Basis jeder Forschung – nicht nur in den Geisteswissenschaften – ist das Denken des einzelnen, individuell die Initiative ergreifenden Wissenschaftlers. Ihn zu ermutigen, zu beraten und zu unterstützen ist der primäre Zweck von Forschungsförderung. Schließen sich an dieser Basis mehrere Individuen zu einer Forschergruppe zusammen, umso besser; aber daß die Mehrzahl der Gelder, die die DFG in unseren Fachgebieten ausgibt, sehr unspezifisch und gießkannenmäßig ausgegeben werden und »Vernetzung« (auch noch des größten Nonsens) als summum bonum und Wert an sich angesehen wird, steht doch wohl außer Frage. Das forschende Individuum hat aus mehr oder weniger ideologischen Gründen einen ontologisch minderwertigen Status. Daß die DFG sich bei dieser Primatsetzung zunehmend weniger als forschungsfördernd, vielmehr als forschungslenkend (und damit zwangsläufig den Einzelnen gängelnd) versteht, ist im Rahmen der sogenannten Exzellenzinitiative und auch in der Frage der Open Access-Politik mit Händen zu greifen. Ein Abgrund trennt diese Institution von der Einrichtung, die nach 1949 Nothilfe für eine deutsche Wissenschaft anbot, die sich aus der Bevormundung durch den Staat lösen wollte und dabei auf der Autonomie individuell verantwortlicher Forscher fußte. Das Donnern des DFG-Präsidenten versucht davon abzulenken, daß die Nennung harter Zahlen unterbleibt. Von Interesse ist in unserem Zusammenhang die genaue Summe, mit der in den letzten Jahren Editionen und Anträge einzelner Forscher gefördert worden sind, und diese in Relation zu den Summen, die für Sonderforschungsbereiche der Denominationsgüte »Alterität«, »Transgression« und »Körper und Irgendwas« ausgegeben wurden. Was hat sich hier durch durch die vom DFG-Präsidenten gerühmte »Förderinitiative Geisteswissenschaften« getan? Wieviele Editionen sind denn tatsächlich in den Genuß dieser ›Initiative‹ gekommen? Wir brauchen nicht noch eine ›Initiative‹ von oben, ein reguläres Budget für Editionen würde vollauf genügen. Putzig wirkt demgegenüber das Ausrufezeichen hinter dem folgenden Satz: »Seit der Erweiterung des Langfristprogramms [die Sprachregelung der DFG für Langzeitprogramm] 2003 ist kein Antrag für ein Editionsprojekt aus Finanzgründen abgelehnt worden!« Man kontrastiere das mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit einer »millionenschweren« Förderung (eine BAT IIa-Stelle und zwei Hilfskräfte!) unserer Kafka-Ausgabe von 2006 und stelle sich darüber hinaus die Frage, wie peinlich es für die größte Forschungsförderungseinrichtung der Bundesrepublik wäre, wollte sie – mit den Milliarden im Rücken, über die sie verfügt – tatsächlich ein notwendiges Editionsprojekt »aus Finanzgründen« ablehnen. * III. Daß keine genauen Zahlen genannt werden, solche zu eruieren für Außenstehende nahezu unmöglich ist, daß überhaupt die Informationspolitik jede detaillierte Analyse Außenstehender blockt, ist der dritte Kritikpunkt struktureller Art, mit dem sich die DFG im eigenen Interesse auseinandersetzen müßte. Der bezeichnende Vorgang (Drucksache 16/8500 des Deutschen Bundestags, Berichtszeitraum 2006/7), daß selbst dem Beauftragten der Bundesregierung für Datenschutz und Informationsfreiheit – mit dem Hinweis, man sei nur ein eingetragener Verein und unterliege keiner Offenlegungspflicht – keine Auskunft über die Bewertung einer Universität durch internationale Gutachter im Rahmen der Exzellenzinitiative gegeben wurde, ist juristisch zwar dem Buchstaben nach abgedeckt (Vereine sind black-boxes), aber alles andere als vertrauenerweckend, wenn es um die Verteilung von Milliarden öffentlicher Gelder geht. Gerade wenn man dafür eintritt, daß die DFG ihre Mittel ohne Beeinflußung der Politik vergeben kann (ich halte das für unabdingbar), muß die Institution auf maximale Transparenz, nicht auf Abschließung den größten Wert legen. Die Ersetzung der relativ detaillierten, öffentlich zugänglichen Rechenschaftsberichte, die noch bis Anfang der neunziger Jahre publiziert wurden, durch nichtssagende Hochglanzprospekte (viele Bildchen, wenig Zahlen) ist ein falscher Schritt gewesen. Er erschwert die kritische Selbsterneuerung der Institution. Die DFG muß lernen, daß ihr die öffentliche Diskussion ihrer Budgets, ihrer Kriterien, nicht schadet, sondern hilft, gesellschaftliche Legitimation und das vielbeschworene Vertrauen zurückzugewinnen. Es hälfe ihr zugleich dabei, sich aus den Klauen des wissenschaftlich nicht sonderlich gut legitimierten Wissenschaftsrates zu befreien, der seit seiner Selbsteinsetzung tatsächlich politischen, z.T. imperativen Einfluß auf Entscheidungen der Wissenschaftsförderung ausübt – ohne irgendeine Verantwortung übernehmen zu müssen. Dieses semi-offizielle Gremium will alles Wissenschaftliche evaluieren, ohne sich selbst je rechtfertigen zu müssen. Solange der Einfluß dieses Konsiliums nicht wirksam eingedämmt wird, ist man von Autonomie noch weit entfernt. Meine Kritik ist konstruktiv, sie liegt im Interesse der Institution.
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