Briefwechsel 239. Sie haben meine Erinnerung an den Gegensatz zu ernsthaft genommen. Wie hätte mir denn einfallen können, Ihnen Vorwürfe über eine jugendliche Speculation zu machen, die mir überdieß nur noch sehr dunkel im Gedächtniß schwebt? Auch habe ich keinesweges vergessen, daß in Ihrer Seele stets über allen Gegensätzen der Antigegensatz, d.h. das Geheimniß des Glaubens thronte. Daß offenbar alle menschliche Erkenntniß, wenn sie nicht durch höhere Offenbarungen, wie Sie sehr richtig sagen, „bedingt und beherrscht“ wird, nichts als ein Spiel von Gegensätzen ist, das habe ich aus meiner Erfahrung und meinen Studien mehr als zu viel erlernt. Während ich mich aber diesem Resultat, als einem höchst traurigen, in Demuth unterwerfe, glaubt Cousin aus sämmtlichen Gegensätzen ein Ganzes zusammen zu kneten, welches er mit einem durchaus mißverstandenen und völlig ungereimten Namen Eclectismus nennt. Zum wirklichen Frevler wird er dadurch, daß er diesen sogenannten Eclectismus auch auf das praktische Leben anwenden will, und dadurch Staat, Moral und Religion gänzlich über den Haufen wirft; denn das, was er meint, ist eigentlich die permanente Revolution, die, wie Saturn, immer ihre eigenen Kinder auffrißt, so daß zuletzt, wie der Philosoph Goethe schon vor dreißig Jahren schrieb, nichts übrig bleibt, als „ein ewig verzehrendes und ewig wiederkäuendes Ungeheuer.“ Der Unterschied zwischen uns beiden ist, daß Sie einen Sophisten von so heilloser Art auslachen können, ich hingegen mich begnügen muß, über ihn und seine Werke (wenn der erste Spaß vorüber ist) zu weinen und zu jammern. Sie stehen also weit besser als ich, und bedürfen weder meiner Rechtfertigung noch meiner Hülfe. Den 17. December 1828. Gentz. |
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