Briefwechsel 228. Wien, den 29. Mai 1826. Ich habe vorgestern, gerade als der Fürst in Weinhaus bei mir speiste, Ihren Brief erhalten, mein theurer Freund, und, wie Sie wohl denken können, sogleich Gebrauch davon gemacht. Ihre Sache steht keinesweges so, daß es noch eines letzten Efforts bedürfte; sie ist längst entschieden. Der vor mehreren Monaten an den Kaiser erstattete Vortrag – für Sie höchst ehrenvoll – konnte seinen Zweck nicht verfehlen, und der Kaiser hat dem Fürsten mündlich bereits die Erledigung versprochen. Nur die schriftliche Resolution fehlt leider noch. Ich habe den Fürsten oft, sehr oft, daran erinnert; ich bin auch überzeugt, daß er bei Sr. Majestät ein Gleiches gethan hat. Sie wissen, daß die Reihenfolge der Erledigungen im Cabinet an vielen Umständen hängt, auf welche der Fürst nicht immer influiren kann. Er bittet Sie, diesen Umstand zu berücksichtigen. Zugleich aber trägt er mir auf, Sie in den allerbestimmtesten Ausdrücken zu versichern, daß die Erfüllung Ihres Wunsches auch nicht dem geringsten Zweifel ausgesetzt ist, daß Sie mit Zuversicht darauf rechnen können, und daß er nur das Mehr oder Weniger der Beschleunigung der Expedition nicht zu verbürgen vermag. Bei dieser Erklärung müssen Sie nun schon und können auch vor der Hand sich beruhigen. Schreiben Sie dem Fürsten ein Paar Zeilen und danken Sie ihm, wie für eine geschehene Sache. <390:> Dieß wird wie ein leises und bescheidenes Monitorium wirken, und da der Fürst nicht vor dem Monat Juli seine Reise nach Böhmen und Johannisberg antritt, so hoffe ich, daß bis dahin das gute Werk beendigt seyn wird. Die Erklärung der Pforte auf die russischen Propositionen ist eine der frohesten Begebenheiten, die ich seit einer langen Reihe von Jahren erlebte. Es ist zugleich eine der ehrenvollsten für unsern Hof, der heute in der Achtung der Guten und in der Furcht der Bösen höher als jemals steht. Daß Oesterreich allein jenen Beschluß der Pforte bewirkt hat, weiß ganz Constantinopel, wissen alle Russen, gestehen es sogar (wenn gleich mit Zähneknirschen). Und diesen wichtigen Sieg haben wir nicht etwa irgend einem besondern Kunststück zu danken; unsere Sprache war die nämliche, die wir seit fünf Jahren bei jeder Gelegenheit gegen die Pforte führten. Das offene Geheimniß liegt darin allein, daß die unverkennbare Rechtlichkeit unserer Politik und die Gleichförmigkeit unseres Ganges zuletzt auch den mißtrauischen Türken ein so unbedingtes Vertrauen eingeflößt hat, daß sie dießmal augenblicklich den Entschluß faßten, nicht eher eine Partie zu ergreifen, als bis sie uns gehört haben würden. Minciacki übergab seine Note am 5. April; unsere Instruktionen konnten – weil eine kleinliche diplomatische Schikane uns den wirklichen Abgang des Couriers an Minciacki durch zehn oder zwölf Tage verheimlicht hatte – vor dem 28. nicht in Constantinopel ankommen. Die Türken schwiegen in der Zwischenzeit stockstill. Niemand wagte es, den Ausgang vorher zu sagen. Die größte Angst herrschte in Constantinopel, in Bukarest &c. Der österreichische Courier traf am 28. ein; am 30. war alles entschieden. Uebrigens muß man gerecht seyn. Vielleicht hätte auch unser Einfluß nicht ein so schnelles und vollständiges Resultat erreicht, wenn die russischen Anträge nicht von jener Erwähnung der griechischen Frage aufs sorgfältigste gereinigt gewesen wären. Dieß ist das große und ausschließende Verdienst des Kaisers Nicolaus. Ohne irgend Jemanden darüber zu consultiren, hatte er aus eigener Bewegung den weisen Entschluß gefaßt, die griechische Sache als question de guerre et de droit durchaus fallen zu lassen. Kurz vor der Abreise des Erzherzogs Ferdinand von Petersburg hatte er diesem – und zwar ihm zuerst und bevor er sich noch gegen seinen eigenen Minister darüber erklärte – im engsten Vertrauen das Geheimniß dieses Entschlusses mitgetheilt, wovon wir also <391:> sehr früh unterrichtet waren. Hätte die russische Note auch nur mit irgend einem Worte die griechische Pacificationsfrage berührt, so würde es zehnmal schwerer und, wie ich fast glaube, unmöglich geworden seyn, die Pforte zur Nachgiebigkeit zu bestimmen. Denn über diesen Punkt war der Sultan wie seine sämmtlichen Minister ein für allemal determinirt, es bis aufs Aeußerste kommen zu lassen, und sich lieber einem Kriege mit ganz Europa auszusetzen, als die dictatorische Intervention irgend eines europäischen Hofes anzunehmen. Mit unendlichem Wohlgefallen habe ich Ihren Aufsatz über den Proceß von Galilei gelesen, und stimme Ihrem eben so kühnen als tiefsinnigen Urtheil uneingeschränkt bei. Sie lesen ohne allen Zweifel die in Straßburg erscheinende vortreffliche Zeitschrift, der Katholik. Durch seine Beiträge zu dieser hat Görres bei mir alle seine früheren, kleineren und größeren Sünden vollständig gesühnt. Es freute mich nicht wenig, im Aprilheft einen Artikel zu finden, der sich auf ein früheres ähnliches Factum bezieht, und an welchem ich nur das zu tadeln habe, daß er Ihnen nicht klar und verständlich genug Gerechtigkeit angedeihen läßt, so wie mich denn überhaupt die Dunkelheit und Schwerfälligkeit seines Styls oft betrübt, weil sie den vollen Eindruck seiner herrlichen Gedanken auf eine gar zu geringe Anzahl von Lesern beschränkt. Die Ankunft der türkischen Post nöthigt mich, in die Stadt zu fahren. Wenn Sie sich nur vorstellen könnten, was aus meinem Garten in Weinhaus geworden ist! Es verlohnte wirklich eine Reise nach Wien! Doch die Hoffnung, Sie hier zu sehen, gehört unter die längst aufgegebenen Träume. Gentz. NB. Was Sie in einer Nachschrift zu dem Aufsatz über Galilei von mir sagen, davon ist auch nicht die Spur in meinem Gedächtniß vorhanden. Ich begreife auch gar nicht, bei welcher Veranlassung ich mich im Jahre 1809 mit den Griechen beschäftigt und über sie erklärt haben sollte. Aus der Luft haben Sie es gewiß nicht gegriffen; ich bitte Sie aber recht sehr, mich über die Quelle dieser Anekdote zu orientiren. <392:> |
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