Briefwechsel 225. Baden, den 19. August 1824, Abends. Ihr Brief, mein liebster Müller, hat mich unaussprechlich gefreut und gerührt. Erstlich, wegen der glücklichen Entwicklung Ihrer Sache, an der ich nun nicht mehr den mindesten Zweifel habe, und die mich noch in den vergangenen Tagen sehr bekümmerte. Was ich fernerhin thun kann, um den Menschen die Augen über Sie zu öffnen, unterbleibt sicher nicht; ich betrachte dieß als eines der wichtigsten Geschäfte meines Lebens. Tausendmal habe ich mich früher gefragt, warum denn Sie, der mir unter allen meinen Zeitgenossen am nächsten steht, dessen Umgang zu allen Zeiten mehr Werth und Reiz für mich hatte, als jedes andere Verhältniß der Welt, der einzige, der mich durchaus kennt, versteht, und mit allen meinen Mängeln und Gebrechen liebt, der einzige, von dem ich immer etwas zu lernen habe, und der mir keinen Augenblick gleichgültig seyn könnte – warum denn Sie mir immer nur periodisch angehörten, und dann stets wieder durch lange Zwischenräume entrissen waren? Einige Schuld lag bei mir, weil ich es im Grunde doch in meiner Gewalt hatte, Sie auch unter den ungünstigsten Constellationen an mich zu fesseln, oft aber, von andern Gegenständen hingerissen, oder betäubt, oder zermalmt, nicht mit gehöriger Beharrlichkeit auf Sie wirkte. Vieles aber war Ihrer Lage und der Art, wie Sie davon affizirt wurden, zuzuschreiben. Hinfort soll und kann uns nichts mehr von einander trennen. Sie haben Ihr Gleichgewicht gefunden, und von nun an ist es rein unmöglich, daß auch nur ein augenblickliches Mißverständniß zwischen uns träte. Ich <385:> bedarf Ihrer mehr als je. Nicht das Leben als solches, aber fast jeder Gegenstand, der es bisher ausfüllte oder würzte, hat seinen Reiz für mich verloren. Jenes abendliche Gefühl, das ich sonst auf die Welt übertrug, ist jetzt gegen mich selbst gerichtet; alle Bilder der Thätigkeit und des Genusses, die noch vor einigen Jahren mit lebhaften Farben um mich her spielten, erblassen eines nach dem andern. Ihre Freundschaft ist jetzt ein köstliches Gut für mich; sie ist nicht nur das reichste und beste, was die Welt mir noch zu geben vermag, sondern zugleich auch das Band, welches auf eine wahrhaft und einzig erfreuliche Weise mir die Gegenwart an die Vergangenheit knüpft. Sie müssen mich nie mehr einen Monat lang allein lassen. Sollte ich auch, was wahrlich meine Absicht nicht ist, in der Correspondenz vorübergehend lau werden, so müssen Sie, jünger und kräftiger und unendlich geistreicher als ich, mir dennoch von Zeit zu Zeit schreiben, und können übrigens fest versichert seyn, daß es schlechterdings keinen höheren Genuß (nach Ihrem Gespräch) für mich gibt, als Ihre Briefe. Das Projekt, Sie im künftigen Jahre zu besuchen, ist mein Lieblingsgedanke geworden. Ich habe noch einen andern. Wenn ich Ihnen diesen einst mittheilen werde, dann wird Ihr Werk an mir vollendet seyn. Gentz. |
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