Briefwechsel 224. Leipzig, den 15. März 1824. Ich lege dem Fürsten mit heutiger Post ein neues Buch des Professors Krug und zugleich eine kleine Abhandlung von mir selbst vor, zu <382:> deren Abfassung ich durch die frühere agronomische Scharteke nunmehr bestimmt worden bin. Wer A sagt, muß B sagen; Knesebeck, Marwitz und viele andere Freunde in Berlin hatten die Sache sehr ernsthaft genommen, und wenn Sie, mein theuerster Freund, im nördlichen Deutschland lebten und Zeit hätten, sich um die unteren Regionen der Politik zu bekümmern, so würden Sie sich leicht für einen Gegenstand hinreißen lassen, der mit den größeren Dingen, welche Ihr Leben erfüllen, so nahe zusammenhängt. Alle Paradoxen habe ich vorsichtig vermieden, und glaube, daß wenn meine Abhandlung einen Augenblick der Muße bei Ihnen vorfinden sollte, selbige, wenigstens in der Form, gebilligt werden wird. Nichts hat mich so zum Schreiben angereizt, als der Streit zwischen dem Beobachter und dem Journal des Débats über die Freistätten für politische Verbrecher. Die Rabulisterei, womit dem Beobachter die Berufung auf die heilige Allianz angedichtet wurde, gab eine glückliche Veranlassung, die Zweideutigkeit, Halbheit und Unsicherheit der Débats im Ganzen vorzunehmen. Könnte man nur irgend einem andern Pariser Journale Recht geben. Indeß erregt, was von jener Seite herkommt, sehr gemischte Empfindungen. Die Zeiten des Conservateur kommen nicht wieder; nur zwei Aufsätze im Mémorial catholique, erstes und zweites Heft: de l’autorité spirituelle, und de l’état actuel de la société, sind ganz schmackhafte Früchte der Schule Lamennais, obgleich letzterer selbst durch die Adulation seiner Bewunderer und seinen undurchgeführten Streit über das Princip der Philosophie herbe, säuerlich und höchst unliebenswürdig geworden ist. – Ja, so wollte ich über die große Materie der Freistätten schreiben und den Streit aufnehmen, den Sie in einem höchst lobenswürdigen Aufsatze angeregt, aber fortzusetzen wahrscheinlich weder Zeit noch Lust hatten. Indeß war zu viele Gefahr, die katholische Einheit von Europa als letztes Ziel allzu anschaulich zu machen und dem Fürsten zu mißfallen. Sehen Sie, Theuerster, das ist das Schicksal aller Entwürfe von Aufsätzen, die in die Politik des Augenblicks einschlagen. Ich möchte es Ihnen recht machen: wie vermag ich’s, da ich von Villèle und Canning ungefähr zehnmal mehr weiß, als von meinem eigenen Hofe? Erfreuen würde es mich sehr, wenn Sie meine kleine Schrift über die Gewerbepolizei lesen möchten. Das von mir protegirte Albertsche Wirthschaftssystem und die Gegenstände meiner eben herausgegebenen <383:> Schrift sind im nördlichen Deutschland mehr an der Tagesordnung, als Sie denken. In Preußen sind ganze Provinzen insolvent, und Knobelsdorf (den niemand für einen Visionär halten wird) hat es mit Berliner Censur drucken lassen, daß wenn nicht in den nächsten Wochen eine Erhöhung der Getreidepreise erfolgt, die Abführung sämmtlicher Grundsteuern in den nächsten Monaten aufhören muß. In Dänemark war diese schreckliche Krise schon im Januar d.J. eingetreten, wie Sie aus den königlichen Verordnungen vom 6. Februar entnehmen; daher die günstige Aufnahme, die meine frühere Schrift über den Albertschen Wirthschaftsplan in Hamburg und Dänemark gefunden. Rechnen Sie hiezu die Gefahr 1) einer Mißernte, die Gott verhüten wolle, und 2) eines plötzlichen Abschlags der hohen Kurse der Staatspapiere. Sie sehen, wie das bloße Gerücht von der Krankheit des Kaisers Alexander an der Pariser Börse gewirkt hat. Mit großem Interesse habe ich Ihre Uebersetzung des Quarterly Review im Staatsman gelesen. Daß Sie nicht bloß von Ihren näheren Freunden erkannt würden, dafür ist durch die Beziehung auf die Abhandlung über die Preßgesetze in den Wiener Jahrbüchern gesorgt. Die Stellung Cannings hat nicht besser charakterisirt werden können, als durch diesen aus seiner Schule gekommenen Aufsatz und durch Ihre Anmerkungen, welche die eigentlich empfindliche Seite dieses Mannes so anständig als tiefeingreifend berühren. In dieser Art ist die Ministerrolle mit der Rolle des Demagogen noch niemals combinirt worden. Der Schatzkammervortrag über die Lage von England bei Gelegenheit des Budget ist die größte politische Impostüre, die jemals vorgekommen. Was soll der Kenner von der Aufhebung der Handelsbeschränkungen in einem manufakturirenden Lande sagen, wo die Korneinfuhr nothwendig beschränkt bleiben muß? Offenbare Schritte der Verzweiflung wagen diese Unglücklichen für liberale Concessionen einer erleuchteten und wohlbegründeten Regierung auszugeben. – Sind solche unerhörte Lügen, ist die Frechheit und der Hohn erlaubt, womit man das Oesterreich abgedrückte Geld zu Gemäldegallerien und Bethäusern für die verfaulte anglikanische Kirche verwendet, während Irland verhungert? Ist der Spott erhört, mit dem man den König von Spanien anerkennt, die Legitimität seiner amerikanischen Kronen nicht in Abrede stellt, und ihm das Recht abspricht, Defensivallianzen zu schließen? – Ich kenne mich nicht vor Zorn, wenn ich alle diese Treulosigkeiten bedenke. <384:> Leben Sie wohl, verehrtester Freund! Vor einigen Tagen verlor Leipzig den einzigen wahren Gelehrten, den es aufzuweisen hatte, den Domherrn Hauboldt, der mit seinem großen Ansehen und seiner altrechtlichen Gesinnung noch für einen Damm gegen das Böse gelten konnte. Der Ihrige treugehorsame Leipzig, den 18. März 1824. Adam Müller. |
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