Briefwechsel

212.

Wien, 17. December 1821.

Ich danke Ihnen herzlich, liebster Freund, für die in Ihrem Briefe an Pilat ausgedrückte zärtliche Theilnahme und Besorgniß. Ich weiß durchaus nicht, wer die falsche Nachricht in Berlin verbreitet hat. Lucchesini konnte es nicht seyn; denn dieser hatte mich am 24. November, dem Tage, wo er als Courier nach Berlin ging, bei Krusemark gesehen. <356:> Vielleicht war das Ganze nur aus einzelnen Gerüchten über den leidenden Zustand und das schlimme Aussehen, womit ich von Baden zurückkehrte, nach und nach zusammengesponnen. In der Sache selbst hatte sich, Gottlob, seit meinem letzten Briefe an Sie, nichts geändert. Sie erinnern sich, daß mir Hahnemann selbst gerathen hat, seine Pulver in meinem gegenwärtigen Zustande nicht zu nehmen. So ist es geblieben; und ich darf wohl sagen, daß ich seit der Mitte des Oktobers ein Gefühl von Wohlbefinden habe, wie es mir seit dem Monat Mai 1818 nicht zu Theil ward. Wenn ich so, und ohne neuen Anstoß, den künftigen Frühling erreiche, so schöpfe ich für eine ganze Zeit Muth; erfolgt ein Rückfall, so schreite ich gleich zu den Hahnemannschen Pulvern.

Ich verstehe nicht recht, was Sie damit meinen, daß ich Ihnen auf drei Briefe Antwort schuldig geblieben wäre. Die Hauptgegenstände unserer Correspondenz waren auf einen gewissen Punkt von Reife gediehen; das Weitere mußte sich erst entwickeln.

Ich muß jetzt einen schwierigen Punkt berühren. Meinen guten Willen in Ansehung des Journals haben Sie gesehen. Aber es offenbart sich mir mit jedem Tage deutlicher, daß die Ausführung jenseits meiner Kräfte liegt. Wir nähern uns dem Ende des Jahres. Noch ist keine Zeile Manuscript vorhanden. Von Ihnen habe ich seit sechs Wochen über diesen Gegenstand nichts mehr gehört. Das Wichtigste ist aber, daß alle meine schönen Plane zum Selbstarbeiten mir unter den Händen zerrinnen. Die Gegenwart ist zu mächtig, die currenten Geschäfte absorbiren mich zu sehr, als daß ich auch nur drei oder vier Tage hinter einander (und wie sollte ich anders etwas leisten?) mich einer zusammenhängenden Anstrengung überlassen könnte. Sie müssen wissen, daß ich jetzt alle Vormittage von 11 bis 3 oder 4 Uhr beim Fürsten zubringe, oft in sehr anspannenden und ermüdenden Conferenzen, daß ich zwar Abends nicht in Gesellschaft gehe, und in der Regel einen Tag wie den andern von 6 bis 12 Uhr an meinem Schreibtisch sitze, daß hier aber eine Expedition und eine Redaktion die andere drängt, und daß ich seit der Rückkehr des Fürsten von Hannover höchstens einige Abendstunden für nothwendige Lektüre (die tägliche Zeitungsleserei, die Arbeiten am Beobachter &c. bringe ich gar nicht in Anschlag), aber noch keine zu einer freien schriftstellerischen Thätigkeit gewinnen konnte. – In Ihrem Briefe an Pilat kommen einige Aeußerungen vor, die mir – ich gestehe es mit <357:> einer gewissen Scham – nicht ganz unwillkommen waren. Sie sagen unter anderem: „meine ganze Lage gestattet die verwegenen Conflikte mit dem Publikum nicht mehr.“ Wenn Sie, der Sie viel freier stehen, und zu allen Zeiten weit mehr Muth gegen das Publikum gefühlt haben, als ich, ein solches Gefühl nähren, wie sollte es mir nicht erlaubt seyn? Und doch betheure ich Ihnen, daß dieses Gefühl mich nicht zurückhalten würde, wenn ich nur die materiellen Schwierigkeiten zu überwinden wüßte.

In der vergangenen Woche erregte hier eine von den Militärbehörden zu Semlin einberichtete Neuigkeit von einem Janitscharenaufstand und Ermordung des Sultans großen Alarm in der Stadt. Als diese am 6. von Semlin abgegangene Nachricht eintraf, hatten wir hier nur die Depeschen von Konstantinopel bis zum 21. November, konnten also das angebliche Faktum nicht verificiren und nicht widerlegen. Gestern sind nun die Depeschen aus Konstantinopel bis zum 27. Januar eingegangen, und enthalten keine Spur von solcher Begebenheit. Es gibt zwar Leute, welche dennoch meinen, sie könnte zwischen dem 28. und 30. erfolgt seyn, da wir aber bis heute nichts weiter wissen, so ist schon Tausend gegen Eins zu wetten, daß die ganze Geschichte ein falsches Gerücht oder eine Mystifikation war.

Die (relative) Leichtigkeit und Lust, mit welcher ich jetzt an jedes Geschäft gehe, ist mir die beste Bürgschaft einer bedeutenden körperlichen Genesung. – Wenn Sie es rathsam finden, so lassen Sie doch von Leipzig aus in irgend einer Berliner, Hamburger &c. Zeitung das Gerücht von meinem lebensgefährlichen Zustande widerlegen. Denken Sie jedoch darüber nach, ob es nicht zu spät und überhaupt der Mühe werth ist.

Ich muß Ihnen doch noch sagen, daß meine Lieblingsgegenstände jetzt – Geschichte und Geographie des Orients sind. Ein Buch, wie die eben erschienene Reise von Jaubert nach Persien, hält mich bis 4 Uhr Morgens wach. – Ich suche aber nur das eigentlich Orientalische; die Griechen, die alten wie die neuen, sind mir in jeder denkbaren Hinsicht zum Ekel. Von diesen mag ich nichts wissen und nichts lesen, als was die unmittelbare Nothwendigkeit gebietet. Ein sicherer Genonde, Anbeter und schlechter Nachahmer Chateaubriands, hat eine Schrift über die Türken und Griechen herausgegeben, die mich empört. Es ist nur noch <358:> ein einziger Royalist in Frankreich, den ich leben lasse – mein kleiner Jouffroy. Alle übrigen, auch Bonald nicht ausgenommen, verachte und hasse ich wenigstens eben so sehr als die Liberalen. Zugleich lache ich nur über die große politische Rolle, welche cette France, centre de la civilisation européenne etc. nach den Drohungen dieser neuen Bonapartisten mit einer Königsmütze spielen soll. Manche fürchten sich schon vor ihnen; ich kenne sie; sie werden keinen Hund aus dem Ofen locken. Wenn das Journal des Débats nicht noch durch die Artikel von Felez gehalten würde, so stände es heute bereits auf dem Niveau der Times. Adieu, mein Theuerster!

Gentz. <359:>