Briefwechsel

211.

Leipzig, 21. Oktober 1821.

Am 18. Oktober 1 Uhr Morgens traf der Fürst in Borna bei Leipzig ein und expedirte den Courier Beck mit Ihrem gütigen Schreiben und dem Bescheide wegen Brockhaus, zugleich mit seiner Aufforderung, ihn einige Posten zu begleiten, nach Leipzig voraus. Sie können denken, wie mich seine Ankunft überraschte; das Glück, den Fürsten vier Stunden hindurch ungestört im Wagen zu sprechen, war mir noch nicht zu Theil geworden. Dazu war er unbeschreiblich heiter und eben so geneigt, zu sprechen als zu hören. In Halle speisten wir; im Saale unter unsern Füßen war die Tafel für 160 Studenten gedeckt, die den 18. Oktober feierten, eine Constellation, die dem Witz und der Liebenswürdigkeit des Fürsten vielen und vergnügten Anlaß gab. Um vier Uhr Nachmittags setzte der Fürst seine Reise nach Hannover fort; ich ging nach Köthen.

Die Nachricht von Ihrem Besserwerden beruhigt mich. Nur bitte ich, bleiben Sie Hahnemann getreu. Ich warte mit Ungeduld auf weiteren Bericht, um den Meister au courant zu erhalten. Warum konnten Sie nicht mit dem Fürsten gehen und Hahnemann bei dieser guten Gelegenheit selbst sprechen?

Brockhaus hat die ganze vom Fürsten anhergebrachte Dosis bis auf den letzten Tropfen empfangen. Für die Wirkung hafte ich nicht, desto mehr für den Schrecken. Leider hat man ihm höchst unverständiger Weise auch Hügels Buch über Spanien verboten. Der Fürst sagt, dieses (allerdings skandalöse) Verbot werde zurückgenommen werden. Wenn auch, so bin ich dadurch dem Brockhaus gegenüber den heftigsten Erwiederungen <354:> meiner an ihn erlassenen Ermahnung bloßgestellt. Welch ein nichtswürdiges Wesen ist doch diese Censur, wenn nicht einmal der Fürst oder Sie, wie gegen Brockhaus geschehen, den Charakter aussprechen, den sie eigentlich haben sollte!

Dieß führt durch natürliche Ideenverbindung auf die Hauptsache: das Journal. Wie ich über diese Unternehmung denke, allen Eigensinn und Eigenwillen im voraus aufgeopfert habe, wissen Sie. Sie sollen mit mir zufrieden seyn; ich will alles Dogmatisiren unbedingt bei Seite thun und mich rein kritisch zeigen. Ueber die große europäische Politik kann ich nur submittiren: hier ist durch den Fürsten und Sie Wien die hohe Schule der Welt. Die Aufgabe ist hier nur, es Ihnen recht zu machen. Was den Interieur der Staaten angeht, so mache ich hier einen Waffenstillstand, oder vielmehr ich erkläre, daß man hier selbst handeln müsse, das namenlose revolutionäre Unheil auszurotten, und daß mit dem Schreiben nichts gewonnen ist. Mir ist übrigens Ihr Plan vollkommen recht und das Werbungsgeschäft beginnt; nur daß ich wünschte, Sie schrieben selbst an Beckedorff, weil dieser am nützlichsten seyn wird, besonders wenn Ihr großer Name und Ihre eminente Stellung ihn direkt instigirt. Glück auf also! Die Ernte ist groß, der Schnitter sind wenige.

22. Oktober 1821.

Vorstehende Zeilen waren für den Courier in Bereitschaft, den der Fürst von Hannover abschicken wollte, und der sich bei mir melden sollte, um Lerchen mitzunehmen. Nämlich beim Essen dieser Vögel ward in Halle der vorjährigen Sendung gedacht, die, wegen Ihrer Abreise nach Troppau, nicht an ihre Adresse gelangte. Ich bat den Fürsten um die Erlaubniß, einen dießmaligen Courier zu einem neuen Versuche benutzen zu dürfen. Hierauf wünschte der Fürst, daß ich sie Ihnen in seinem Namen übersenden möchte; dieß wird nun geschehen, wenn der Courier nicht etwa unglücklicherweise bei der Nacht eintrifft, wo ich sie nicht schaffen könnte, da sie ganz frisch seyn müssen und nicht im voraus in Bereitschaft gesetzt werden können. Da nun bis jetzt kein Courier eingetrofffen, so sende ich der Sicherheit wegen dieses Schreiben durch die Post voraus. Glückt’s, so kommten ihm die Lerchen noch zuvor. In jedem Fall vertragen sich diese Lerchen sehr gut mit der Hahnemann’schen Diät. – In <355:> Köthen hat Hahnemann kürzlich den Triumph gehabt, eine vollendete Lungenentzündung ohne Aderlassen durch ein homöopathisches Minimum aus dem Grunde zu heilen, was man bis jetzt für unmöglich gehalten hätte. Ich beschwöre Sie, in dem Entschlusse, sich Hahnemann hinzugeben, so lange als es irgend Ihre Kräfte gestatten, auszudauern, und sich durch kein Raisonnement der Welt irre machen zu lassen. Die ganze allopathische Methode, die sich bisher an Ihnen versucht hat, ist eine einzige große Palliative, deren Folgen man theuer bezahlen muß. Gedenken Sie des Senfkörnleins im Evangelium, und wie viel Großes die Natur aus den kleinsten Keimen entwickelt. Ein Samenkorn geht auf, eine Masse von Samenkörnern zusammengeschüttet zerstören sich unter einander; so ist es mit der Masse von Droguen, mit denen die gewöhnliche Medicin den Organismus überschwemmt. Ein Tropfen Chinaextrakt oder Valeriana thut Wunder, welche Flaschen und Seidel dieser göttlichen Gaben wieder vernichten. – Hätte Hahnemann nichts gethan, als daß er, einer der größten Chemiker des Jahrhunderts, das Koch- und Mischprincip aus der Pharmacie verbannt, die Simplicien in ihre Rechte hergestellt und am gesunden Körper (nicht an dem lügenhaften kranken) über ihre wahre Wirkung befragt, und die Lehre von dem Minimum der Dosis aufgestellt, so wäre er schon dadurch unsterblich. Die eigentliche Medicin ist in dem Materialismus der neuen Zeiten verloren gegangen; er hat sie wieder gefunden, wieder erfunden.

Hören Sie in diesem einzigen Stücke auf mich, und ich will dagegen als Ihr treuer Knappe und Amanuensis in der Politik nichts thun, schreiben oder unternehmen, als was Ihnen recht ist.

Adam Müller.