Briefwechsel 209. Wien, 13. Oktober 1821. Ich erhalte so eben (gegen Abend) Ihren höchst interessanten Brief. Mein Vortrefflichster! Auch ohne diesen hätte ich Ihnen geschrieben, da der Fürst morgen früh um 9 Uhr über Leipzig nach Hannover reiset. Ich sehe mit Schmerzen, daß Sie diesen wichtigen Gast höchst wahrscheinlich verfehlen werden; denn allem Vermuthen nach sind Sie in Köthen, wenn er in Leipzig eintrifft. Seit Abgang meines letzten Schreibens hat sich in meinem körperlichen Zustande eine unerwartete und große Veränderung ereignet. Der Schmerz am Knie nimmt fortdauernd ab; das krampfhafte Ziehen in den Beinen ist verschwunden; ich fange an, eine Munterkeit und Heiterkeit zu fühlen, die mir lange fremd war; die Arbeiten gehen mir leicht von der Hand; mein Kopf ist beinahe zu wach für die Portion Schlaf, deren ich zu meinem Wohlseyn nothwendig bedarf. Was ist das? Ist es der Eingang zu einer Periode der Ruhe, wie ich deren im Lauf meiner rheumatischen Uebel einigemale erlebt habe? Ist es die Wiederherstellung eines gewissen Gleichgewichtes im Nervensystem, nachdem der Reiz, den siebenzig Bäder, neben so viel andern Mitteln, einige Monate lang erregt hatten, nachließ? Oder ist es eine Tücke der Krankheit? Numne <349:> aliquem infandum casum fortuna minatur? Ich weiß es nicht; ich nehme indessen die Gegenwart mit innigem Dank hin, und erwarte mit Gelassenheit die Zukunft. Bei so bewandten Umständen trage ich nun auch kein weiteres Bedenken, die Journalunternehmung in Gottes Namen anzutreten. In wenig Tagen (vermuthlich durch einen Courier, den man dem Fürsten nachschicken wird) übersende ich Ihnen den etwas veränderten Prospectus, und stellen Ihnen anheim, was Sie damit beginnen, wem Sie ihn mittheilen wollen. Auf unsern Beckedorff rechne ich bestimmt und inprimis. Die Göttinger werden mir alle willkommen seyn; Sie werden bestimmen, ob ich einem oder dem andern etwa selbst schreiben soll. Ob der Professor Wenk stark genug ist, müssen Sie entscheiden. Vor schwachen und mittelmäßigen Leuten müssen wir uns sorgfältig hüten. – Unmittelbar werde ich fürs erste meine Anträge nur an Ancillon (nicht ohne einigen Skrupel, aber ich kann und darf ihn nicht übergehen, und werde ihn gehörig zu bearbeiten suchen) und an Haller richten; ich weiß keine Andern zu finden. Die hiesigen schließe ich alle aus; Hügel, mit dem ich mich diesen Sommer ausgesöhnt habe, ungern. Ueber Schlegel suspendire ich noch meinen Entschluß. Die ganze technische Partie wird dann Pilato übertragen. Antworten Sie mir auf diesen Brief nicht eher, als bis Sie den nächsten, der unmittelbar damit zusammenhängen wird, erhalten haben. Lassen Sie uns aber strenge das Geheimniß beobachten; hieran liegt viel, und in mehr als einer Rücksicht viel. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre vorläufigen trostreichen Bemerkungen über meine Sanitätsakten, und sehe dem Gutachten des Meisters mit Begierde entgegen. Die Reise des Fürsten wird einen großen Lärm in Europa erregen. Es ist ein reiflich überlegter, weiser, vielleicht sehr erfolgreicher und glücklicher Entschluß. Ich habe in den letzten Wochen unendlich viel mit dem Fürsten gearbeitet und conferirt. Er ist in der herrlichsten Stimmung, zu allem Guten wohl gerüstet, voll Muth gegen die Feinde, unangreifbar stark in seinen sämmtlichen politischen und diplomatischen Positionen. Er wird noch größere Schlachten gewinnen, als die von Laibach. Adieu. Le reste à l’ordinaire prochaine. G. <350:> |
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