Briefwechsel

207.

Wien, 30. September 1821.

Ihr Brief, mein theuerster Freund, hat mir Vergnügen und Schmerz zugleich verursacht. Vergnügen, und sehr großes, durch die rühmliche Beharrlichkeit und den edlen Eifer, womit Sie sich unsers gemeinschaftlichen Plans annehmen; Schmerz, weil ich fühle, daß ich bei dem besten Willen Ihren Wünschen nur unvollkommen werde Genüge leisten können. Nach allem, was Sie mir überhaupt und insbesondere von dem Resultat Ihres Aufenthaltes in Göttingen schreiben, zweifle ich gar nicht mehr, daß diese Sache zu ihrem vollen Gedeihen gelangen könnte. Auch bin ich völlig entschlossen, den Centralpunkt derselben zu bilden und meinen Namen dazu herzugeben; wovor ich aber zittere, ist die Verbindlichkeit, selbst einen irgend beträchtlichen Theil der Arbeit zu übernehmen.

Hierüber werde ich mich nun ganz offen erklären. Es steht schwach mit meiner Gesundheit, die Kur in Baden, ob ich sie gleich treu und regelmäßig (bis zum 10. d.M.) ausgeführt habe, hat meine rheumatischen Uebel nicht nur nicht gemildert, sondern verstärkt. Es gibt Tage, wo ich fast keiner Anstrengung fähig bin, und lange Anstrengungen sind mir vor der Hand unmöglich. Ich bin dabei, wie Sie sich wohl vorstellen können, keineswegs freier Herr meiner Zeit. Die Verhandlungen in der großen Frage des Augenblicks häufen sich seit einiger Zeit so sehr, daß <344:> ich fast täglich mehrere Stunden beim Fürsten zubringe, wo das bloße Lesen der zahllosen Depeschen mich beschäftigt und oft nicht wenig angreift. Einzelne Arbeiten von mannigfaltiger Art nehmen die übrig bleibenden Stunden in Anspruch. Länger als bis 10, höchstens halb 11 Uhr Abends kann und darf ich nicht am Schreibtische sitzen, da es mit dem Schlaf ohnehin oft schlecht genug aussieht. – Zum Theil können diese Umstände sich ändern; es kann eine Periode von Besserung eintreten, die meinen Muth und meine Kräfte verdoppelt. Aber so, wie ich mich jetzt fühle, – dieß, bitte ich Sie zu beherzigen und nicht für Hypochondrie oder Uebertreibung zu halten, – erschrecke ich vor dem Gedanken, mich in dem bevorstehenden Winter zu Arbeiten zu verpflichten – zu verpflichten – die Ausdauer und Anstrengung erfordern. Und doch, mit welcher Stirn könnte ich Andere zu Verpflichtungen dieser Art auffordern, wenn ich selbst nicht die volle Gewißheit habe, sie von meiner Seite erfüllen zu können?

Ich habe bald nach Ihrer Abreise eine Unterredung mit Wallishauser gehabt; ich war äußerst zufrieden mit ihm, er läßt sich jede Bedingung gefallen. Vor der Hand bin ich mit ihm dahin übereingekommen, daß – wenn alle noch obwaltenden Schwierigkeiten gehoben werden können – das erste Stück oder vielmehr der erste Band des Journals (von wenigstens 20 Bogen) in der Leipziger Ostermesse erscheinen, daß demselben keine Art von Ankündigung vorangehen, daß es unerwartet, und vielleicht eben dadurch desto willkommener, sofort in den Buchhandel gebracht werden soll. Ich habe ihm das strengste Geheimniß vorgeschrieben, und ich bin sicher, daß er es halten wird. So steht die Sache. So frage ich Sie auf’s Gewissen: 1. Soll ich in der Lage, worin ich mich befinde, vorangehen und Mitarbeiter einladen? – 2. Glauben Sie, daß, wenn ich auch nur im Stande wäre, für den ersten Band zwei Druckbogen zu liefern, das übrige durch handfeste und angemessene eingesandte Arbeiten ausgefüllt werden könnte? – 3. Glauben Sie, daß unter einer so lahmen und precären Direktion, wie die meinige heute seyn wird, das Unternehmen (von welchem Sie offenbar überspannte Erwartungen hegen, wie ich schon ein andermal darthun will) uns so weit gelingen könnte, daß unsere Ehre dabei gerettet wäre?

Ehe Sie diese kritischen Fragen beanworten, werden Sie den beiliegenden Bericht gelesen habe. Ich schreibe Ihnen denselben aus zwei <345:> Gründen: erstlich, damit Sie daraus ersehen mögen, wie es mit mir beschaffen ist, wobei ich Ihnen pflichtmäßig versichere, daß mein Zustand in der That schlimmer ist, als ich ihn in dieser trockenen Darstellung geschildert habe; dann eben auch, weil ich wünsche, daß Sie diesen Statum causae dem Dr. Hahnemann mittheilen und sich sowohl über die Krankheit selbst, als auch über die dagegen bisher angewendeten Mittel sein sachverständiges Gutachten erbitten. Ich lege einen großen Werth auf diesen Schritt, der vielleicht von ersprießlichen Folgen seyn kann, und dessen Resultat – wenn anders Dr. Hahnemann sich darauf einlassen will – ich Sie äußerst zu beschleunigen bitte. Die beiden Gegenstände – unser Plan und der jetzige und künftige Zustand meiner Gesundheit – stehen, wie Sie wohl bemerken werden, in enger Verbindung mit einander.

Schicken Sie mir demnächst, so bald es Ihnen möglich ist, alles, was Sie neuerlich (wie Sie mir in Baden sagten) über völkerrechtliche Materien notirt haben, wenn es auch nur die magersten Bruchstücke sind; ich bin gewiß, daß sie mir nützen, daß sie mich ermuntern werden. Ohne Sie, mein theurer Freund, würde ich mich nimmer entschließen, auch nur einen Schritt in dieser Sache zu thun. Ihre Tätigkeit, Ihr lebendiger Muth, Ihr unerschöpflicher Reichthum – das sind eigentlich die Streitkräfte, auf die ich rechne. Die große Frage ist nur, ob ich selbst an der Spitze solcher Kräfte und mit einem solchen Gehülfen als Anführer aufzutreten wagen darf?

Nie habe ich Ihre Abwesenheit stärker gefühlt, als seit unserer letzten Trennung. Türkheim selbst ist mit mir der Meinung, daß Ihre Gegenwart besser auf mich wirken würde, als alles Antimonium und Guajac der Erde. – Von dem Tage an, wo Sie Baden verließen, ward meine Besserung rückgängig. Entschädigen Sie mich einigermaßen durch häufige Briefe und leben Sie wohl.

Gentz.