Briefwechsel 204. Leipzig, 3. Juli 1821. Die merkwürdigen Parlamentsdebatten vom 20. und 21. Juni, mit denen nunmehr die Politik des englischen Ministeriums vollständig und bis auf den letzten Faden durchsichtig der Welt vorliegt, bestimmen mich, Ihnen zu schreiben, verehrtester Freund, obwohl ich aller Erwiederung und Aeußerung von Ihnen ermangle. Mir scheinen die alliirten Cabinette immer dringender in die Lage versetzt, den Boden des sogenannten, auf eitel Vernunft und einigen Traktaten gegründeten Völkerrechts und die unhaltbare Partei der Grotius, Puffendorf und Vattel endlich zu verlassen. Je stolzer ich persönlich darauf bin, wenn auch nur als letzter Waffenträger, der Partei anzugehören, von der die Deklaration von Laibach ausging, um so mehr freut es mich, daß Lord Castlereagh aus seinem Standpunkte die in dieser Deklaration herrschenden Grundsätze mit Fug und Recht für falsch erklärt. Aus dem Standpunkte des Völkerrechts sind sie falsch, weil sie einer ganz andern Ordnung, einem höhern und ganz anders begründeten Rechte angehören; und ich will den sehen, der, ohne eine positive, aus dem Christenthum abfließende Gesetzgebung anzunehmen, Lord Castlereagh oder auch nur Herrn Bignon vollständig ad absurdum führen will. Mein Gravamen, nicht über Sie oder Ihre hohen Commitenten, sondern über die hemmenden Verhältnisse ist, daß man selbst zu Laibach, mit Ruhm und Siegen bedeckt, vor dem verstummenden Europa noch die Sprache des unzulänglichen Völkerrechtes fortgeredet, sich in dem Idiom der Besiegten vertheidigt, in ihre Verworrenheit, wenn auch mit der größten dialektischen Kunst, eingegangen ist, anstatt endlich diejenigen allgemeinen Grundsätze, von denen keine europäische Regierung, auch wenn kein Buchstabe irgend eines Traktates sie verbindlich machte, abweichen kann und darf, muthig auszusprechen. Die Monarchie z.B. ist so unüberwindlich durch das Christenthum begründet, als die Monogamie; <340:> und so wenig ein christlicher Staat sich herausnehmen dürfte, die Vielweiberei zum Gesetze zu erheben, so gewiß verbietet der Spruch: Niemand kann zweien Herren dienen, – alle Theilung der Gewalten. So in allen Stücken. – Dem droit des gens ist seit seit 1813 ein droit chrétien gefolgt, was mit jenem grundlosen Wesen durchaus nichts gemein hat. Wann aber wird der Augenblick gekommen seyn, wo es erlaubt seyn wird, die falsche Scham zu überwinden, und den Castlereaghs offen zu erklären, daß man auf einem durchaus verschiedenen Boden steht? – Wie kann man sich des Widerstrebens auch selbst der Wohlgesinnten erwehren, wenn man die positivste Einmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten aus einem Systeme vertheidigen sieht, dessen oberster Grundsatz ist, daß eine solche Einmischung niemals stattfinden solle? Die öffentliche Meinung in Europa wird eine ganz andere Gestalt annehmen, wenn man sich öffentlich zu den ewigen Grundsätzen bekennt, die seiner Zeit die Einmischung nicht nur erlauben, sondern zur Pflicht machen. Doch verstehen Sie mich nicht falsch; ich klage nicht an; ich beklage, daß es so ist: die Handlungen der alliirten Höfe sind untadelhaft, und ihre Vertheidigung, innerhalb der Grenzen, die ich für gegeben anerkennen muß, in der Laibacher Schlußdeklaration meisterhaft. Das beste nun ist, daß der Abfall Englands von der europäischen Gemeinheit so gut als entschieden ist. Diese Anomalie war nicht zu dulden: ich finde sie viel anomalischer in Europa, als die Pforte. Der Rationalismus, auf dem die neuere, seit 1640 erhobene Figur der englischen Verfassung, auf dem das fatale, balancirende Völkerrecht und aller Jakobinismus, der seit drei Jahrhunderten Europa verwüstet, beruht, ist eine Pest, die über das atlantische Meer entweicht, aber in den Extremitäten unseres Welttheils noch fortwüthet. Die brittische Macht ist nichts mehr oder weniger als die Tête der jakobinischen Colonne, die sich in Amerika bildet, die Spitze der liberalen Phalanx, die dereinst Europa zu zerbrechen droht. Auf wen könnte die edle Indignation, der Sie neulich im Beobachter gegen Lafayette Luft gemacht haben, klüger bezogen werden, als auf England, worauf es offenbar viel mehr als auf den alten lächerlichen Radoteur abgesehen war? Nun aber zur Hauptsache. Europa hat dermalen nach meiner Ansicht nur zwei Bedürfnisse: das Wort Gottes und eine Marine. Daß ich über die griechische Sache gleichgesinnt bin mit Ihnen, versteht sich von <341:> selbst. Ist etwas anderes in Griechenland furchtbar, als der englische Einfluß? Ist der Zeitpunkt nicht gekommen, daß Oesterreich, Frankreich und Rußland sich des mittelländischen Meeres bemächtigen, und hierdurch ihre Allianz für die Ewigkeit befestigen? Man regenerire und constituire den Maltheserorden im Archipel; einen Seestaat zur Zähmung der alten und zur Vertilgung der neuen Barbaren; eine Marine, welche die größte der Welt werden kann, wenn wir wollen; die große Allianz bedarf zur Sicherung ihrer Gemeinschaft dieses Domains, der Autorität auf dem großen gemeinschaftlichen Elemente, welches, so lange die englische Oberherrschaft dauert, der Tummelplatz und die Freistatt aller Bösewichter bleiben und binnen kurzem erst recht werden wird. So viel, mein Freund, um Ihnen zu zeigen, daß ich mit ganzer Seele in den großen Ereignissen der Zeit fortlebe und Ihre Sorgen theile. Leben Sie wohl, und lachen Sie über die jugendliche Munterkeit meines grauen Kopfes. Adam Müller. |
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