Briefwechsel

1821.

203.

Leipzig, 10. Mai 1821.

Ihr Schreiben vom 1. Mai, mein verehrter Freund, habe ich gestern erhalten. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, auf ein zufälliges Stillschweigen einige Bedeutung zu legen. Uebrigens hat es nicht an Dienstvorträgen gefehlt, die theils im Laufe dieser sechs Monate, theils insbesondere gegen Ende Aprils an den Fürsten abgegangen sind. Die glänzenden Erfolge von Laibach sind schwerlich irgendwo mit größerem Danke und reinerer Bewunderung für den Fürsten empfunden worden, als in dem kleinen Kreise, den ich um mich her gebildet habe. Ich wünschte, Sie hätten gesehen, mit welcher lauschenden Aufmerksamkeit jedes Wort, jede Aeußerung von Laibach und jede kleine Wendung der italienischen Angelegenheiten von mir verfolgt worden ist, so würden Sie mich nicht der Lauigkeit anklagen. Natürlicherweise ist die Erwartung am höchsten gespannt seit dem Augenblick der Besetzung von Alessandria, wo die Herrschaft über Italien, wo die Niederlage der Cortesverfassung und der Sieg der kaiserlichen über die königliche Politik nunmehr entschieden war. Was seitdem bis zur bevorstehenden Trennung in Laibach – dort in der Stille der Cabinette – geschehen ist, wird uns Entfernten erst die Zeit lehren.

Glauben Sie, liebster Gentz, ungeachtet meines zufälligen Stillschweigens, daß ich keinen Tag Ihrer vergesse. Auch haben Sie genug gethan, an sich zu erinnern, theils in den Ereignissen, theils in den vielfältigen, von Ihnen zur europäischen Diktatur gegebenen vortrefflichen <339:> Schriften. Es kann für kein großes Verdienst gelten, einem solchen, wie Sie sind, von ganzer Seele so treu zu bleiben, als ich es bin.

A. Müller.