Briefwechsel

202.

Troppau, den 20. December 1820.

Ob ich gleich unserer Abreise von hier mit jedem Augenblick entgegen sehe, und es nur der Ankunft eines Couriers aus Italien, den wir stündlich erwarten, bedarf, um uns in Bewegung zu setzen, so  kann ich doch Troppau nicht verlassen, ohne Ihnen wenigstens in einigen Worten zu sagen, welche große und herzliche Freude mit Ihr Schreiben vom 7. gemacht hat.

Längst hatte ich den Vorsatz, Ihnen zu schreiben, und mich zu überzeugen, ob etwa mein letzter Brief aus Wien der Grund Ihres langen Stillschweigens war. Sie können sich aber leicht vorstellen, wie wenig ich hier Herr meiner Zeit gewesen bin. Sie würden wirklich selbst erstaunen, wenn Sie wüßten, wie viele und wie mannigfaltige Arbeiten ich während dieser zwei Monate, neben fast täglichen langen Conferenzen, und täglichen darauf Bezug habenden Schreibereien, geliefert habe. Dabei war ich wenigstens durch die Hälfte der Zeit, wenn gleich nicht bettlägerig, doch wirklich krank, litt viel an meinen Armen, und fast mehr noch durch eine große Schwäche in Magen und Eingeweiden, welche mich oft – und zwar, was sonderbar, ohne eine Spur von Indigestion – Wochenlang von allem Essen abhielt. Ich war indeß so glücklich, hier einen sehr einsichtsvollen Arzt zu finden, der in Kurzem alle meine Uebel richtig beurtheilte, und mich durch wohlgewählte Mittel wenigstens von der Erschlaffung des Unterleibes vor der Hand befreite.

Sie sind mir jetzt so freundlich entgegen gekommen, daß es einer Erklärung über das Vergangene nicht weiter bedarf.

Gern, nur gar zu gern, unterhielte ich mich mit Ihnen über die großen Weltangelegenheit; urtheilen Sie aber selbst, theurer Freund, ob dazu eine Möglichkeit vorhanden ist. Von solchen Dingen durch die Post zu schreiben, ist nun einmal schlechterdings imprakticabel; und Sie befinden sich auf einem Punkte, der sich gar nicht anders als durch die Post erreichen läßt. Kein Courier geht so leicht über Leipzig, und ein <336:> Reisender ist eine bloße Gabe des Himmels, die nicht kommt, wenn man sie ruft. Wissen Sie mir je ein sicheres Communicationsmittel anzugeben, so seyen Sie versichert, daß ich es mit Begierde ergreifen werde.

So viel kann ich Ihnen indessen versichern, daß die Sachen bisher zwischen den drei Höfen mit eben so viel Energie als Klugheit geführt worden sind. Die in Ihrem Briefe aufgestellten Grundsätze und Distinctionen stimmen mit dem von uns beobachteten Gange völlig überein; und ich führe als etwas Merkwürdiges an, daß ich gerade an dem Tage, bevor ich Ihren Brief erhielt, denselben, mit großem Recht von Ihnen gepriesenen Artikel, in einer wichtigen Staatsschrift, als Norm für die europäischen Fragen behandelt und ganz in Ihrem Sinne commentirt hatte. Hieraus werden Sie schon ersehen, daß wir wenigstens auf keiner schlechten Basis stehen.

Sie wissen, daß der König von Neapel nach Laibach eingeladen worden ist. Er mag kommen, oder nicht kommen, unser System bleibt unverändert. Können wir das, wovon in keinem Falle abzugehen wir unwiderruflich entschlossen sind, durch seine Intervention (so wenig Wahrscheinlichkeit auch darin liegt) erlangen, so werden wir der Waffengewalt gern entsagen. Geht es aber auf diesem Wege nicht, so wird es auf einem andern versucht. Der Zustand von Spanien und Portugal, weit gräßlicher als der von Neapel, macht uns zur verdoppelten Pflicht, das Unwesen in diesem letzten Lande, da wir es zum Glück erreichen können, nicht ungestraft zu lassen.

Den 21. December.

Da wir noch immer keine Nachrichten aus Neapel haben, so benutze ich eine ruhige Viertelstunde, um Ihnen zu sagen, daß ich während meines hiesigen Aufenthaltes das Buch du Pape gelesen habe. So hat mich, seitdem ich vor 30 Jahren die Reflexions von Burke zum erstenmal las, nie wieder ein Schriftsteller ergriffen. Solcher Tiefsinn, solche politische Ansichten, solche Gelehrsamkeit, solche Beredsamkeit, neben so hinreißender Kraft doch so viel Besonnenheit und Gewandtheit – und das alles für den erhabensten Zweck, für die größe historische und größte politische Thatsache der neueren Welt, für die verkannteste, – für die Möglichkeit (wie schwach sie auch sey) der Wiederbelebung des höchsten Bandes der christlichen Gesellschaft – für eine Idee, die, wenn sie ein Traum bleiben sollte, immer der schönste und edelste aller menschlichen <337:> Träume wäre! – Dieß Buch erkläre ich für das erste unseres Jahrhunderts. Es sind drei oder vier leichte Blößen darin; sie verschwinden aber im Glanz solcher Sonne. Ich habe die Lectüre meist bei der Nacht gemacht, wenn durch vieles Arbeiten mein Kopf zu bewegt war, um Schlaf zu finden, folglich in sechs oder acht Absätzen, aber mit immer steigender Begeisterung von Anfang bis zu Ende. – Dieß Buch sollten Sie ins Deutsche übersetzen, in ruhigen Stunden der Muße; da es nicht für heute und morgen geschrieben ist, so liegt nichts daran, wenn Ihre Uebersetzung auch erst nach zwei Jahren erschiene. – –

Den 23. December.

Es soll morgen um 11 Uhr noch eine Schlußconferenz gehalten werden. Gleich nachher reise ich von hier ab, um zwei Posten zu gewinnen; am andern Abend (25.) komme ich mit dem Fürsten in Wischau zusammen. Die Kälte ist sehr strenge (11 bis 12 Grad) und ich fürchte mich gewaltig vor der Reise. – Es ist ein vornehmes Hundeleben, das man unter diesen beständigen ambulirenden Congressen führt. In manchem Augenblicke bin ich dessen gar satt. Dann sage ich mir wieder: wenn ich heraus könnte, würde es mir zum Guten gereichen? Ich zweifle; denn ich bin nun seit Jahren dergestalt mit diesen Geschäften verwachsen, daß mir alles andere wie Stillstand des Lebens vorkommen würde. Also mit Gott vorwärts!

Wien, den 27. December. 1820.

Die Abreise von Troppau erfolgte so schnell, daß ich diesen Brief zu endigen und abzusenden vergaß. Noch bis zum letzten Augenblick mußte ich schwer arbeiten. Am 24. fuhr ich zwei Posten, am 25. traf ich mit dem Fürsten in Wischau Abends zusammen, wo wir die halbe Nacht über eingegangenen Depeschen saßen. Am 26. fuhr ich bis Nicolsburg, heute um zwei kam ich in Wien an. Die strenge Kälte hatte mich sehr angegriffen. Und wenn ich bedenke, daß ich spätestens den 4. Januar wieder eine Reise, und zwar durch gebirgige und sehr kalte Länder antreten soll, so schaudert mir. Ich schließe aber diesen Brief noch heute Abend, weil morgen vielleicht hundert Zwischenspiele eintreten, die ihn abermals verzögerten. Liebster Freund! bitten Sie Gott für mich; dieser Winter ist einer der härtesten Zeitpunkte meines Lebens.

Gentz. <338:>