Briefwechsel

199.

Mein theuerster Freund! Es würde eine schwere, sehr schwere Aufgabe für mich seyn, Ihre beiden Briefe vom 19. und 22. September zu beantworten; so schwer, daß ich mir beinahe Glück wünschen muß, sie sogleich als eine unmögliche betrachten zu dürfen. Die Gegenstände, welche Sie in diesen Briefen verhandeln, lassen sich nicht mit ein paar Worten abfertigen; große Entwickelungen wären nöthig, sowohl faktische <325:> als raisonnirende, wenn ich Ihre Fragen, Ihre Einwürfe, Ihre Wünsche nur irgend würdigen wollte. Wie könnte ich das aber, bei der bedenklichen, bei der intrikaten Natur solcher Gegenstände, in einem Schreiben, das mit der Post gehen muß, unternehmen?

Doch das ist, leider, noch nicht alles. Es liegt ein drückendes Gewicht auf meiner Seele, dessen ich mich entledigen muß, ehe ich mit Wahrheit und mit Freiheit über irgend ein großes Problem der Zeit, auch unter äußerlich günstigeren Umständen, zu Ihnen reden könnte. Sie wissen vielleicht nicht, daß, indem Sie mehrere, durchaus wohlgemeinte, tiefgedachte, zum Theil gegründete, zum Theil übertriebene, zum Theil (nach meiner Ueberzeugung) völlig ungerechte Anklagen gegen uns aussprachen, Sie selbst hart angeklagt wurden, und über Punkte, die gerade mit Ihren Anklagen unmittelbar zusammenhängen. Es wäre eine unfreundschaftliche, pflichtwidrige Gleichgültigkeit über Verhältnisse, die durchaus ein lebhaftes Interesse für Sie haben müssen, wenn ich Sie nicht, toute autre question cessante, von dieser Anklage unterrichtete.

Den Stoff dazu gab Ihr Aufsatz im zweiten Stück der Concordia. Es kommt mir jetzt nicht viel darauf an, Ihnen mein Urtheil über diesen Aufsatz mitzutheilen. Mir schien er, und scheint er noch im Ganzen vortrefflich, ob ich gleich einige Stellen darin, wenn das früher in meiner Macht gestanden hätte, zu Ihrem und zu unser aller Bestem unbedenklich gestrichen haben würde. Solche Aeußerungen, wie ich hier meine, haben Sie indessen schon so oft, manchmal mitten in Ihren herrlichsten Produktionen gewagt, daß ich in meiner Unschuld fest glaubte, sie würden auch dießmal unbemerkt und ungerügt vorüber gehen.

Zu meiner Verwunderung erfuhr ich aber, mehrere Wochen nach Lesung Ihres Aufsatzes, daß sich Personen gefunden hatten, welche dem Fürsten diese Arbeit in einem für Sie höchst nachtheiligem Lichte darstellten. Durch eine eigene Fatalität – einen bloßen Zufall – war ich nicht der erste, mit welchem der Fürst, nachdem der schlimme Eindruck auf ihn gemacht war, über die Sache sprach. Erst nach einigen Tagen kam ich in den Fall, mich gegen ihn darüber zu erklären. Eine genauere Erörterung werden Sie von mir nicht verlangen. Ich muß sogar, aus einleuchtenden Gründen, von dem, was ich zu Ihrer Rechtfertigung gesagt habe, schweigen. Es kommt nur darauf an, daß ich Ihnen historisch die beiden Hauptgravamina mittheile, auf welchen die Anklage beruhte. <326:>

Das erste ist, daß in diesem Aufsatz eine theologisch-mystische Sprache herrscht, welche man dem Charakter eines, zum Theil wenigstens politischen Journals höchst unangemessen findet. Ihre Gegner halten den Gebrauch, den Sie von dem heiligen Worte Dreifaltigkeit machen, an diesem Orte nicht allein für anstößig, sondern meinen, es würde dadurch auf die Concordia überhaupt ein Licht geworfen, welches ich nicht näher charakterisiren mag. Zum Unglück glaubt der Fürst, was vielleicht nicht einmal gegründet ist, man betrachte ihn im Publikum als den Stifter und Beschützer der Concordia, und schließt aus dieser Hypothese mit Unwillen, daß man alles, was sie enthält, auf seine Rechnung setzen würde. – In diesem ersten Artikel, den ich hier mit äußerster Milde ausdrücke, bitte ich Sie, mich bloß als Berichterstatter zu betrachten.

Das zweite Gravamen trifft die Art und Weise, wie Sie an mehreren Stellen über Eigenthum und Besitz gesprochen haben. Man beschuldigt Sie, Sie hätten das Eigenthum der Geistlichkeit nicht nur vorne an gesetzt, sondern als das einzige wahre und vollständige geschildert. Man beschuldigt Sie, Sie hätten nicht nur von allem Allodialbesitz, sondern selbst von dem Besitztitel der Eigenthümer liegender Gründe in Ausdrücken gesprochen, welche alle Eigenthumsrechte erschütterten, und wodurch Sie, obgleich von ganz entgegengesetzten Motiven getrieben, den Revolutionsleuten selbst in die Hände arbeiteten.

In diesem zweiten Gravamen – ob ich Ihnen gleich vor Gott betheuere, daß ich diese Bemerkung nicht habe laut werden lassen – liegt nach meinem Gefühl etwas wahres. Es gibt in Ihrem Aufsatze eine, noch dazu mit Cursivschrift gedruckte Stelle, welche niederzuschreiben (gesetzt auch, nicht zugegeben, daß Sie Recht hatten, so zu denken) irgend ein feindseliger Dämon Ihnen eingegeben haben muß.

Nachdem einmal diese bestimmten Angriffe erfolgt waren, begreifen Sie wohl, daß manches Andere an die Reihe kam, welches unter günstigeren Umständen niemand würde herausgehoben haben. Der scharfe und schneidende Ton, womit Sie alle bisherigen Regierungs- und Verwaltungssysteme zu verdammen gewohnt sind, wurde nun zum erstenmale, und selbst von nicht unwohlwollenden Richtern als etwas höchst beklagenswerthes gerügt, und mehr als einmal wurde die unter praktischen Menschen immer natürliche Frage aufgeworfen: Was gewinnen wir denn mit <327:> Bundesgenossen, die in der Meinung, uns aufzuklären, unsern Feinden die glänzendsten Waffen gegen uns liefern?

Sie kennen den gerechten, milden, durchaus großartigen Charakter des Fürsten. Allerdings führte er bittere Beschwerde über Sie. Zugleich aber ließ er Ihrem großen Geiste und allen Ihren persönlichen Eigenschaften so unbedingt Gerechtigkeit widerfahren, daß ich tief davon gerührt wurde, und eine der peinlichsten Discussionen meines Lebens ließ zuletzt in mir, neben meinem Schmerz über die Sache, nur Liebe und Bewunderung für sein vortreffliches Gemüth zurück.

Jetzt, mein theurer Freund, kommt die Reihe an mich. In den Streit über den Aufsatz, ob ich gleich unendlich viel zu Ihrer Vertheidigung zu sagen und treulich gesagt habe, lasse ich mich vor der Hand nicht weiter ein. Ich folge einer wichtigeren Pflicht. Ueber den Gang, den Sie seit einigen Jahren gewählt haben, muß ich noch einmal rein aussprechen, was ich denke. Es wird Ihnen vielleicht in hohem Grade mißfallen; es wird wahrscheinlich ohne alle Wirkung bleiben. Aber Verschlossenheit, oder Verstellung gegen Sie – dieser Sünde will ich mich nicht schuldig machen.

Die Frage ist heute nicht, wie die Gesellschaft nach einem besseren, gottgefälligeren Plane für die Zukunft zu bilden seyn wird; unser einziges Geschäft ist und muß seyn, sie vor der von bekannten und bestimmten Feinden ihr drohenden nahen Auflösung zu bewahren. In einem Ihrer Briefe habe ich zwar, nicht ohne geheimes Grauen, eine Aeußerung gefunden, woraus ich schließe, daß Sie selbst aus dem Abgrunde der Zerstörung gewisse (höchst chimärische) neue Formen erwecken, die Ihnen lieber seyn würden, als der ganze alte Wust, von welchem – wie ich beständig bemerken muß – kein Jakobiner verächtlicher sprechen kann, als Sie. Ueber einen flüchtigen, paradoxen Gedanken werde ich Ihnen keinen ernsthaften Proceß machen; solche Ansichten aber, wo sie auch ihren Ursprung haben mögen, sind Ihrer nicht würdig.

Die Noth ist unleugbar und groß. Der Weg, den Sie vorschreiben, gesetzt er sey unbedingt und unwidersprechlich der beste, ist lang, schwierig, verwickelt, erfordert Entschlüsse, Kräfte und Hülfsmittel, die man selbst in Zeiten der tiefsten Ruhe nur nach und nach, nicht ohne Mühe und Gefahr, finden und combiniren könnte. In einem Zeitpunkt, wo der Boden unter unsern Füßen wankt, wäre es Wahnsinn, sich darauf <328:> einzulassen. Bei den ersten in Ihrem Sinne unternommenen Schritten stürzte das ganze Gebäude über unsern Köpfen zusammen.

Jetzt können Sie freilich antworten: Die gemeine Noth der Welt kümmert mich nicht; ich strebe nach einem höheren Ziel. Die Staaten von ihrem sogenannten Untergange retten, ist eine Sorge, die ich andern überlasse. In meinen Augen ist dieser Untergang eben so entschieden und eben so bejammernswerth, ob er nun von oben oder von unten her einbricht. Ich will den Grund eines Gebäudes für bessere Zeiten legen. Der Herr hat mir verheißen, seine Kirche nie zu verlassen. In dieser Hoffnung gehe ich den Jahrhunderten entgegen, lasse die niedern Mächte ihren Kampf, wie es Gott beschlossen hat, ausfechten, und capitulire mit Niemanden. Die Revolutionärs verabscheue ich; die andern, welche die Sache halten sollen, sind in unheilbaren Irrthümern befangen. Ich predige die ewige Wahrheit, und wasche meine Hände in Unschuld.

Dieß sind seit vier Jahren die Maximen Ihres Lebens – und Ihres Schreibens gewesen. In späteren Zeiten hat Ihre Opposition oft einen Charakter angenommen, der mich zittern gemacht hat. Und daß Sie nicht (für die Gegenwart wenigstens) unendlichen Schaden gestiftet haben, liegt einzig und allein in dem Umstande, daß wenige Ihrer Hörer und Leser zu fassen vermochten, was Sie eigentlich meinten.

Wären Sie ein völlig unabhängiger, von der Welt zurückgezogener Mann, so würde ich es für eine große Thorheit halten, Sie in Ihrem Gange stören zu wollen. Im Gegentheil: Ihre Gespräche und Schriften, die mir stets so viel Belehrung und Erhebung gewährt haben, würden mir von Zeit zu Zeit in geheimen Stunden des Nachdenkens und der Andacht zu einem Leitstern dienen, um über den Sorgen und Bekümmernissen der Erde den Himmel nicht aus dem Gesicht zu verlieren; und mancher bedrängte Staatsmann würde bei Ihnen lernen, daß lange noch nicht alles gethan ist, wenn es auch gelingt, die Revolution zu überwältigen.

Ob Sie aber in der Lage, worin Sie sich befinden, an bestimmte gesellschaftliche und politische Verhältnisse gebunden, von der österreichischen Regierung als eine ihrer Stützen im Auslande, von allen, welche für die alten Ordnungen streiten, als ein mächtiger Alliirter betrachtet, – ob Sie in dieser Lage wohl thun, seit mehreren Jahren fast nichts mehr als theologische Abhandlungen, von denen, wie vortrefflich <329:> sie auch seyn mögen, niemand Notiz nimmt, zu schreiben, und, wenn Sie sich herablassen, von den Staaten zu sprechen, sie so zu schildern, daß man das höchste Abstractionsvermögen nöthig hat, um Sie nicht selbst für einen Radicalreformator im umgekehrten Sinn zu halten – das, mein Freund, mögen Sie nochmals vor Ihrem Gewissen überlegen. Wenn ich bedenke, welche köstliche Waffen gegen den gemeinschaftlichen Feind Ihr fruchtbarer Kopf uns liefern könnte, und dann sehe, daß Sie diesen gar nicht mehr angreifen, ohne auf die Freunde selbst mit Keulen loszuschlagen – so möchte ich verzweifeln. Das ist meine Ansicht. Von Mißverständnissen kann bei mir die Rede nicht seyn; Sie wissen recht gut, daß ich Ihre Lehre gefaßt und durchdrungen habe. Es bleibt Ihnen also nichts übrig, als diejenigen Personen, für welche Sie bei jeder Gelegenheit die größte Achtung und Liebe bekennen, für Träumer und Schwächlinge zu erklären, oder zu gestehen, daß Sie auf einem falschen Wege sind.

Ich könnte alles bisher gesagte an einem lehrreichen Beispiel erläutern, wenn ich mich hier über Ihre neueste, mir unbegreifliche Kritik unserer Finanzoperationen einlassen dürfte. Sie sprechen über diese Sache, als wenn Sie in Amerika oder im Jupiter säßen, und von unsern Bedürfnissen, von unsern Verfassungen, von unsern Menschen wenig oder gar nichts wüßten. Dabei übersehen Sie mit merkwürdiger Ungerechtigkeit das Gute und Verdienstliche, das gerade in diesem Zweige während der letzten Jahre geschehen ist – bloß, weil es in Ihre Geldtheorie nicht paßt.

Die Sachen stehen so, daß nur besonnene Energie und wohl berechnete Gewalt uns gegen neue Erschütterungen (denn was einmal verloren ist, gebe ich vorläufig auf) noch retten können. Männer, wie Sie, dürfen keine Allotria mehr treiben, müssen denen, welche die schrecklichen Aufgaben zu lösen haben, mit der ganzen concentrirten Kraft ihrer Gedanken und ihrer Beredsamkeit beistehen. Das ist Ihr Beruf. Die inneren Krankheiten werden uns nicht von heute zu morgen tödten. Das dringendste ist, zu leben. Mit denen, welche uns vernichten wollen, müssen wir also zuerst fertig werden. Dann Kirche, und Stände, und Communen, und alles was Sie wollen.

Ich will Ihnen, ehe ich schließe, nur noch eine Betrachtung ans Herz legen. Der Fürst hat seit einem Jahre mit unglaublicher Thätigkeit, <330:> Beharrlichkeit und Geschicklichkeit gearbeitet. Was er gethan, um Europa zusammen zu halten, ahnden zwar viele, wissen aber genau nur die Wenigen, denen seine Geschäftsführung näher bekannt ist. Wenn dieser Mann nun klagt, daß man ihn von allen Seiten verläßt, daß die, auf welche er am meisten gezählt hatte, sich in excentrische Abwege verlieren, daß man ihm, statt reeller Hülfe, phantastische Vorschläge, statt wirksamer Schriften die Concordia darbietet &c. – verdienen diese Klagen nicht einige Rücksicht? Glauben Sie mir, mein lieber Freund, legen Sie den heiligen Ligorius zu den übrigen Kirchenvätern, und fechten Sie mit uns die große Schlacht. Hoc age!

Wie Ihrem verwöhnten Gaumen die praktische Hausmannskost dieses Briefes behagen wird, weiß ich nicht. Gewiß aber werden Sie nicht verkennen, daß ich es mit Ihnen eben so gut und redlich meine, als mit der Sache. Und sollte Ihre Antwort auch noch so ungünstig ausfallen, nie werde ich bereuen, Ihnen so, wie hier geschehen, geschrieben zu haben.

Wien, den 8. Oktober 1820.

Gentz.

N.S. Ich reise heute über acht Tage nach Troppau ab. Wie lange der dortige Aufenthalt dauern wird, kann niemand berechnen. Es existirt noch der mögliche Fall, daß der Kaiser Alexander für gut fände, sich nach Wien zu begeben; dann würden wir von Troppau schnell erlöset seyn. Ich wohne eigentlich noch in Weinhaus, wo ich mich auf Malfatti’s Rat gewisser Bäder bediene, die ich in der Stadt nicht ohne Unbequemlichkeit haben könnte. Ich bringe aber jeden Tag mehrere Stunden bei dem Fürsten zu. Sie können sich wohl vorstellen, welch ein Zeitpunkt für uns der gegenwärtige ist! Und doch bin ich weit entfernt, so schwer auch der Widerstand gegen bereits vollendete Uebel seyn mag, Sicherheitsmaßnahmen für die Zukunft als unmöglich zu betrachten – wenn Jeder seine Schuldigkeit thut.