Briefwechsel

198.

Leipzig, den 19. September 1820.

Es scheint mir, mein verehrter Freund, daß die großen, seit unserer Trennung vorgekommenen Weltbegebenheit unserer näheren und definitiven Verständigung über die großen Probleme der Politik vielfältig in die Hände gearbeitet haben; und so bin ich im hohen Grade auf Ihre Urtheile und Ansichten begierig. Mein Herz bleibt bei Ihnen, unter aller Zungen- und Sprachverwirrung, der auch wir nicht haben entgehen können; aber beim Vorrücken der Jahre, die uns beschieden sind, und der Verhängnisse, die sich über Europa ausbreiten, hat es etwas unbeschreiblich Beruhigendes und Süßes, von Freunden zu wissen, mit denen man aus der Ferne auch in Betreff der einzelnen und der besondern Wendungen der Weltschicksale übereinstimmt. Ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, in volle Gemeinschaft mit Ihnen zu treten. Darüber, daß es am letzten Orte nur eine katholische Einheit von Europa geben könne, sind wir einverstanden; nicht so über die Verwerflichkeit der administrativen oder, wie ich sie nenne, Geldeinheit, die seit einigen Jahrhunderten, als ein böses Surrogat jener ersteren, aufgekommen, und die noch heute von den vorzüglichsten und würdigsten Staatsmännern mit Hochachtung, ja mit Idolatrie behandelt wird. In Oesterreich z.B. hatte ich erwartet, daß die dermaligen Kriegsrüstungen dem verderblichen Bestreben, das Papiergeld in Obligationen, oder ein Uebel in eine Schuld zu verwandeln, ein Ziel setzen würde. Nichtsdestoweniger sehe ich aus den Zeitungen, daß der Vandalismus des Verbrennens der Einlösungsscheine fortdauert, und daß man dabei beharrt, das kleine Uebel einer doppelten Geldwährung durch das unendlich größere einer doppelten Nationalität eines in zwei Völker getheilten und gebrochenen Volks zu ersetzen. Das mögliche Maß des Guten war erreicht, als sich der Cours feststellte. Eine <321:> reine Silbercirculation herzustellen, kann dem Grafen Stadion nicht im Traume beigefallen seyn, also war sein Zweck die Herstellung einer realisablen Papierspeculation. Um diese Circulation der Banknoten unter den drohenden Verhältnissen einer keineswegs befestigten auswärtigen Politik zu behaupten, war ein Silberdepot erforderlich, das ich mich unter 2/3 der circulirenden Banknoten zu veranschlagen wohl hüten werde. Die Sorge, dieses Depot herbeizuschaffen und zu erhalten, ist die geringste Beschwerde, welche die Monarchie übernommen hat; wie groß auch die Vorräthe seyn mögen, so weiß dennoch ganz Europa, daß sie die supponirten 2/3 bei weitem nicht erreichen, sondern durch die ungeheure Summe der Staatsobligationen, welche der Bank verpfändet sind, eingebildeter Weise ergänzt werden; also, daß die Realisirbarkeit der Banknoten in ihrem heutigen noch beschränkten Umfange eine Chimäre ist. Die Assignationsgeschäfte der Bank mit ihren Comptoiren (welche letztere man gerade in diesem Augenblick höchst unpolitischerweise gegen Italien hin ausgedehnt hat) sind eine Art von Wechselreiterei, deren Nutzen kein wahrer Kenner überschätzen wird.

Dieß jedoch ist die geringste Last, welche man sich aufgebürdet; die größere, schrecklichere sind die Verpflichtungen, welche man hat übernehmen müssen, um die Freudenfeuer auf dem Glacis zu bewerkstelligen; Geldverpflichtungen, denen man nur genügen kann, indem man den ehrwürdigen Bau der Monarchie mehr und mehr untergräbt und zerstört, alle Verhältnisse der Dienstbarkeit lockert und auflöst, den Adel beraubt, den Bauern zum Geldmenschen macht, die Begriffe der Gleichheit aller vor dem Gelde jedem Einzelnen von Staatswegen praktisch einimpft, und das Geschrei nach irgend einem Constitutionsmechanismus hervorruft, herbeizwingt. Kennen Sie den Zustand von Böhmen, liebster Freund? Sie werden mir nicht Schuld geben, daß ich übertreibe. Jede neue Geldverpflichtung, welche der Staat für die Zukunft übernimmt, ist ein Riesenschritt zur Auflösung der Monarchie in zwei feindselige Völker, der Besitzenden und der Begehrenden, der neuen Acquereurs und der alten Prätendenten. Um solchen Verpflichtungen zu genügen, muß sich der Staat mehr und mehr centralisiren, despotisiren, die besondere Individualität seiner Bestandtheile zertreten oder auslöschen, und zur Rechenschaft und Mediatisirung unter irgend eine Deputirtenkammer von Wucherern und Parvenüs in Bereitschaft setzen. <322:>

Von den Nebenübeln, der schändenden Form der Contrakte, welche mit Juden eingegangen werden, von der tiefsten Unsittlichkeit der Lotterieanleihen, in denen die deutschen Regierungen wetteifern, von dem ökonomischen Unheil des Verschlingens aller disponiblen kleinen Kapitalien will ich nicht sprechen. Lassen wir das! Ich frage nur: In welchem Zeitpunkt verbrennt Graf Stadion die Einlösungsscheine? in welchem Zeitpunkt versteht er sich zu dieser Herabwürdigung des Namens von Oesterreich, zu dieser Gemeinschaft mit den schlechtesten Staatsadministrationen des Jahrhunderts, zu dieser förmlichen Citation und Heraufbeschwörung aller Höllengeister der Revolution? – In demselben Zeitpunkte, wo Fürst Metternich im Namen des alten Oesterreich und nunmehr fast allein in Europa, aber sich selbst genug, die Sprache der Ehre redet, dem Andringen des constitutionellen Treibens einen Damm entgegensetzt, und mit einer würdigen Politik der Religion und des Rechts dem wahnsinnigen Zeit- und Geldgeiste seines Jahrhunderts muthig unter die Augen tritt. – Uebersehen Sie nicht, daß, indem diese lebhaften Worte geschrieben werden, welche den bis zu Anfang dieses Jahres so hochverdienten Graf Stadion weder beleidigen, noch Ihre Ohren, mein Freund, verletzen sollen, das erste vorläufige und nicht unwahrscheinliche Gerücht von der Revolution in Portugal eingelaufen ist. Sie wissen am besten, welchen Stoß der Grundpfeiler der europäischen Geld- und Creditmacht, nämlich England, zu überstehen hätte, wenn dieses Gerücht wahr wäre. Das Schicksal der spanischen Cortes oder vielmehr der militärischen Rotte, welche die dermaligen Cortes dirigirt, ist an und für sich der interessanteste Punkt der heutigen Politik. Der militärische Jakobinismus (wie ihn Fürst Metternich bei seiner ersten Entstehung im Jahre 1815 zu Paris nannte) hat im südlichen und westlichen Europa eine breite Basis gewonnen. Die Frage ist: wie weit kann er reichen, getragen durch die Kraft der Reaktion, und gehalten von spanischem Ernste? Antwort: bis die Unmöglichkeit der Aufrichtung eines Geldsystems in Spanien erwiesen ist. Noch unterhält die Masse der confiskabeln Güter und der Traum von einer künftigen spanischen Industrie die Hoffnung der Kurzsichtigen; und so übernimmt es die Armee von Andalusien, die administrative Einheit von Spanien zu behaupten. Die Aufgabe ist unmöglich. Ein Jahrhundert gehört dazu, sie zu lösen, und die dermalen disponiblen Mittel reichen nicht aus, die Vorbedingung zu erfüllen, nämlich die mechanische Ordnung <323:> aufrecht zu erhalten. Folglich löst sich die Einheit von Spanien auf in kleinere Staaten. Die Revolution von Sicilien zeigt eine ähnliche Perspektive. Ich müßte mich sehr irren, oder ich sehe Gottes Finger deutlich. Der ganze Spuck von administrativer Einheit soll von der Erde hinweg; von unten herauf und in die kleineren Kreise des bürgerlichen Lebens soll nach demselben Ziele gestrebt werden, was man auf der Höhe des europäischen Staatsverkehrs seit 1813 bei allen Congressen unverwandt im Auge zu haben durch eine höhere Macht gedrungen wird: – nämlich nach Föderalverfassung. Seit sieben Jahren, mein liebster Freund, sind Sie vor allen Ihren Zeitgenossen an die Probleme der deutschen und europäischen Staatenbunde gefesselt; sollten Sie zögern können, dieselbige Aufgabe in der inneren Politik anzuerkennen? Sie verstehen mich und kleben nicht an dem unedlen Bilde des nördlichen Amerika, wenn ich nothgedrungen das ungenügende Wort Föderalverfassung gebrauche.

Enfin: Oesterreich war ein europäischer, christlicher, wohlfeiler Föderalstaat, wie ich ihn meine; und die Leute, die Josephinischen, die vom Zeitgeist geblendeten, von der Allregierungswuth bethörten, haben ihn zu einem unerschwinglich theuern Geldstaat gemacht. Einige Emancipation der Provinzen, einige Selbstvertheilung der Lasten, einige Herstellung alter, nicht todter, nur schlafender, ständischer Rechte, eine weise Begründung eines guten Natural-Prästationssystems, Hinrichtung aller Bankmaschinerien des Staats auf den einen Zweck des unerschütterlich festen Courses der Einlösungsscheine, und dann ein Staatsrath, wie er seyn soll, um den Herrn her, der den Bund nicht nur repräsentirt, sondern, gehörig berathen, der Bund selbst seyn wird bis ans Ende – so, scheint mir, könnte sich der Adler verjüngen, und in Jugendfrische allen andern europäischen Staaten vorangehen, die aus allen politischen Stürmen zuletzt nichts retten werden, als die ursprüngliche föderale Gestalt, von der sie abgefallen sind. Und hier reiche ich meinem Freunde Maistre die Hand: dann wird die Nothwendigkeit der geistlichen Macht, des Papstes, der Kirche sich unwiderstehlich aufdrängen. Sie ist die Grundbedingung der europäischen Föderation, die ich meine.

Verurtheilen Sie, liebster Freund, diese Ahndungen der Zukunft nicht zu rasch; Zeit und Stunde sind Gottes; was der Augenblick bringen kann, beirrt mich nicht. Aber das weiß ich, daß der Mensch nicht von allgemeinen Begriffen satt wird, und daß an die Stelle der constitutionellen <324:> Phrasen bald ein reales Interesse an dem Natürlichen und Nächsten treten wird. In dem Kampfe um die hohlen Götzen der Zeit können noch mehrere Geschlechter zu Grunde gehen; die überlebenden werden Föderalverfassungen unter väterlichen Führern und Fürsten, und statt aller administrativen Einheit, die katholische Einheit von Europa erreichen. Auf dieses Endresultat kommt es mir indeß in dem gegenwärtigen Schreiben nicht an, sondern nur auf Verständigung zwischen uns und auf Erkenntniß des Widerspruches derer, die Europa und die dermaligen Administrativverfassungen zugleich retten wollen. Ich bin sehr überzeugt, aus Gründen und nach Allem was ich sehe und höre, daß die deutschen Armeen treu bleiben werden, und daß die Vorgänge in Spanien und Neapel den Grundsatz der unbedingten militärischen Disciplin in Deutschland eher befestigt als erschüttert haben; ein unschätzbarer Vortheil für das gebildete Europa, welches einer Vormauer gegen die östlichen Halbbarbaren bedarf. Aber sind die Waffen denn das einzige Erhaltende im Staat? Und was ist denn in der heutigen Welt der beste Geist einer Armee ohne die Solidität des ökonomischen Systems, welches sie trägt? Ich lege Ihnen also auf, mir zu zeigen und zu beweisen, wie Sie die Autorität erhalten wollen, ohne sie in dem sanften Sinne, den ich meine, und in der milden Art, die in Oesterreich möglich ist, zu reformiren. Wenigstens werden Sie freundschaftlich anerkennen, daß ich mich im Geiste unverwandt mit Ihnen beschäftige, und daß mein gelegentliches Stillschweigen nichts weiter zu bedeuten hat, als daß es mir an Courage fehlt, das erhabene Thema unseres Zwiespaltes anzupacken, und mich bei Ihnen neuen Mißverständnissen und Beschuldigungen zu exponiren.

Mit unveränderlicher Liebe der Ihrige

Adam Müller.