Briefwechsel

191.

(Wien) den 26. März 1820.

Ich fühle ein so lebhaftes Verlangen, mich in allem, was die Doktrin angeht, mit Ihnen auf einen festen Fuß zu setzen, und Ihre gestrigen <312:> Aeußerungen über das Gespräch mit Z. und P., sowie die früheren über das ständische Verfassungswesen haben unserer Verständigung ein so weites Thor geöffnet, daß ich nicht umhin konnte, eine Definitiverklärung über den während meines gegenwärtigen Hierseyns am meisten besprochenen Gegenstand, nämlich über die Preßfreiheit, diesen Morgen zu Papier zu bringen. Ich übergeben Ihnen dieselbe und wünschte wohl bei Gelegenheit Ihr Urtheil zu vernehmen.

Adam Müller.

Votum eines Katholiken gegen die Preßfreiheit.

Außer der Staatsgewalt und unabhängig von ihr gibt es eine kirchliche Gewalt. Die des geistigen Gehorsams überdrüssige Vernunft hat sich des kirchlichen Zügels entledigt, und demzufolge gibt es nunmehr zwei Parteien, deren eine die geistliche Gewalt in allen Rücksichten, wo sie nicht ganz entbehrt werden kann, mit der Staatsgewalt vereinigt und derselben unterworfen wissen will, die andere aber alle Botmäßigkeit in geistigen Dingen überhaupt abgeschafft und eine unabhängige Republik der Wissenschaften neben dem Staate anerkannt sehen will.

Die erste Partei ist die der Staatspolizei und Censur, die andere ist die Partei der sogenannten Preßfreiheit.

Es ist eine der schwierigsten Gewissensfragen des dermaligen praktischen Lebens, welche von diesen beiden Parteien der wohlgesinnte Katholik, wenn er sich entscheiden muß, zu ergreifen hat. Erklärt er sich für die Staatscensur, so bekennt er sich zu dem verruchten Principe der Centralisation aller menschlichen Dinge in der Staatssouveränität; erklärt er sich für die Preßfreiheit, so huldigt er dem verderblichen Principe der Unabhängigkeit der menschlichen Vernunft von aller Autorität. Es fragt sich also nur, welche von den beiden Grundfesten der Wahrheit und Ordnung auf Erden den Vorrang verdiene: ob der Grundsatz der Unabhängigkeit der kirchlichen Autorität von aller weltlichen Macht, oder der Grundsatz der Abhängigkeit der menschlichen Vernunft von höheren, äußeren, gegebenen und geoffenbarten Autoritäten, Lehren und Gewalten? <313:>

Gewiß ist, daß diese beide Grundsätze dem Gemüthe des katholischen Christen gleich tief und unauslöschlich eingeprägt sind; aber die nothwendige Abhängigkeit der menschlichen Vernunft, die absolute irdische Hülflosigkeit, in die sie durch ihre Sündhaftigkeit verfallen ist, und demnach der Gehorsam, ist die eigentliche Grundlage aller Religion; die Thatsache des Falles unseres Geschlechts ist älter als die seiner Rettung; die Trennung der kirchlichen Gewalt von der weltlichen, des Reiches Gottes von dem der Cäsaren ist nur die unglückliche und nothwendige Folge jenes Sündenfalles.

Wenn also, wie jetzt, das ganze menschliche Leben und Wirken in anarchischer Zerrüttung darnieder liegt, und es sich um Rettung und Wiederherstellung nicht nur der kirchlichen, sondern aller, auch der bürgerlichen Ordnung handelt, so wird dieses große und gute Werk, wie alles Große und Gute, mit einem Akte der unbedingten Demüthigung anfangen, und zuerst und vor allen Dingen der Grundsatz des Gehorsams gegen die gegebene Obrigkeit überhaupt (gleichviel ob weltliche oder geistliche) anerkannt werden müssen. – Demnach erkläre ich mich gegen die Preßfreiheit, weil die Wahrheit und der Grund der bürgerlichen Ordnung nicht etwa ein mit der Verschlagenheit der menschlichen Vernunft zu Erfindendes, oder aus dem Reiben der menschlichen Köpfe sich Entzündendes, oder aus dem Streit der Republik der Wissenschaften von selbst Hervorgehendes, sondern ein bereits, ohne unser Zuthun, durch Gottes Gnade Vorhandenes ist, und weil ich dem Grundsatz der Unabhängigkeit menschlicher Vernunft nicht huldigen kann, ohne ganz von Gott abzufallen. – Ich erkläre mich für die Staatscensur, damit der Glaube an eine äußere Wahrheit und an eine gegebene, von der Genehmigung meiner Vernunft völlig unabhängige Obrigkeit, an der mehr gelegen ist, als an allen Fortschritten der weltlichen Wissenschaft, aufrecht erhalten werde, auf so lange, bis Gott selbst seine Wahrheit und seine Kirche von der Staatsgewalt unabhängig machen wird. Dahin nun stehen alle meine Wünsche und all mein kleines Wirken hingerichtet, aber die Macht hierzu und das Vollbringen des Sieges seiner Kirche hat Er sich selbst vorbehalten. Mir hat er keine Vollmacht übergeben, als die – zum Gehorsam. <314:>