Briefwechsel

184.

v. Rotteck an Adam Müller.

Euer Hochwohlgeboren

gütige Zuschrift vom 17. August, begleitet von dem kostbaren Geschenk Ihrer neuesten, genialen Schrift, hat mich im Innersten meines Herzens erfreut und erhoben. Die Gewogenheit, welche Ew. Hochwohlgeboren auch einem Gegner widmen, sobald Sie nur die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung erkennen, ist ein schöner Beweis von dem Adel Ihrer Seele, welchen ich schon längstens verehre, und die Schrift selbst ist abermals einer der fern leuchtenden Strahlen Ihres Geistes, welchem ich bewundernd huldige, ungeachtet ich in Ansichten und Meinungen abweiche. Ich kann den hohen Werth, welchen die von Ew. Hochwohlgeboren empfangene Gabe für mich hat, nicht besser darlegen als durch ernstes Studium Ihrer reichhaltigen Schrift, und – da die Wahrheit nur aus dem Krieg der Meinungen hervorgeht – durch offene Bekämpfung derselben, welche ich mir vorbehalte.

Ich will gern zugeben, daß ein Staat, dessen Mitglieder alle von frommer Ergebung in ihre Lage als Gottes Willen und von Heilighaltung der moralischen Pflicht erfüllt wären, Friede und Glück in seinem <305:> Schooße beherbergen würde. Aber die fromme Gesinnung ist etwas bloß persönliches und inneres, kein äußeres Gemeingut, und wenn auch eine ganze Klasse von Menschen, z.B. die Gemeinen und Armen (welche ohnehin dessen am meisten bedürfen), jener Ergebung und Gottesfurcht voll wäre und die andere Klasse – der Gebietenden und Gewaltigen – wäre es nicht (was durch keine Theorie zu verhindern steht), so würde das Elend der ersten seine Vollendung erreichen, und also im Allgemeinen der Zweck der Gesellschaft vereitelt seyn.

Das Recht also, und nicht die Religion, ist das erste und wesentlichste Band der Gesellschaft: es kann äußerlich gehandhabt werden und sichert alle, denn die äußerliche That und die Allgemeinheit der Regel machen seinen Grundbegriff aus, während die Religion, abermals nach ihrem Wesen, nur das Princip der individuellen Veredlung, nicht aber der geordneten Wechselwirkung Aller ist.

Wenn ich, wie Ew. Hochwohlgeboren sagen, die in der badischen Kammer gewonnenen Siege leichten Kaufes erhalten habe, so erkenne ich eben darin einen neuen Beweis für die innere Güte meiner Sache. Thibaut ist an Talent und Gelehrsamkeit mir weit überlegen; aber Wahrheit und Recht waren auf meiner Seite, und leicht ist’s, im Geleit der Unüberwindlichen zu siegen.

So trete ich auch unerschrocken wider Ew. Hochwohlgeboren selbst in die Schranken. Sie haben für mich die Kraft hoher Genialität und edler – nach der Gesinnung wirklich himmlischer – Begeisterung. Ich bin persönlich schwach, aber Wahrheit und Recht sind stark, und haben zu Alliirten alle unbefangenen Menschen. Zur Vertheidigung des schlichten Rechts ist kein Genie vonnöthen. Wo nur Redefreiheit ist, werden Tausende dafür sprechen. Eine Theorie wie die Ihrige konnte nur der Fülle eines seltenen Genie’s entquellen, Kunst und Begeisterung allein mögen sie eine Zeitlang aufrecht erhalten, aber sie fällt nothwendig, sobald diese äußere Stütze ermangelt.

Mit inniger Verehrung Euer Hochwohlgeboren gehorsamster

Freiburg, den 28. September 1819.

v. Rotteck. <306:>