Briefwechsel 183. Leipzig, den 11. Oktober 1819. Das beikommende Schreiben des Hrn. v. Rotteck wird Ihnen wenigstens beweisen, liebster Gentz, daß ich nicht zu scharf geschrieben habe. <302:> Schreibt er öffentlich gegen meine theologische Grundlage, so wird es wenigstens in einem anständigen Tone geschehen, und dann freue ich mich darauf, in einer tüchtigen Gegenschrift die Lehre, welche ich meine, noch lebendiger und vollständiger entwickeln zu können: falls ich darf, was bis jetzt freilich zweifelhaft ist. Inzwischen wirkt nun die zu Frankfurt beigebrachte starke Dosis auf den Patienten in allen seinen Gliedern; sogar mir bereitet sie unzähligen kleinen Verdruß und Anfeindungen von allen Seiten. Danken Sie Gott, daß Sie nicht die ersten Reaktionen im innern Deutschland zu überstehen haben; denn so gewiß alle diese kleinen Zuckungen nichts zu sagen haben, wenn derjenige fest steht, der das Rendezvous in Carlsbad gegeben, so reicht doch die Ladung, welche nur ich empfange, vollständig hin, um in schwachen Stunden von Grund aus zu erschüttern. Indeß kann ich es nicht unterlassen die österreichische Proposition bei allen Gelegenheiten bis auf den letzten Buchstaben zu vertheidigen. Die Hauptsache für mich ist der Wiederhall des 20. September von Paris her; ich erwarte mit Sehnsucht das Journal des débats vom 4. bis 6. dieses. Ich habe es nur mit dem zu thun, wohin die österreichische Proposition ihre eigentlichen Urheber nothwendig führen muß. Die Sache der bloßen Autorität und Legitimität ist eine kalte Sache; für die bloße Wiederherstellung des alten Rechts, für einen Ultraismus, wie ihn auch protestantische oder indifferente Edle, wie der Graf Münster und der Churfürst von Hessen, zu erschwingen vermöchten, formirt sich keine Partei; man steht allein, die herrlichsten Kräfte bleiben vereinzelt, wenn man sich nicht zur Religion erhebt. An die Sache der katholischen Freiheit und Einheit Europas hingegen ist nicht nur die Existenz aller Thronen dieses Welttheils, die Fortdauer aller Verfassung und des gesammten Rechts- und Besitzstandes geknüpft, sondern sie ist auch noch obenein eine lebenswarme, herzenentzündende, parteienbrütende Sache. Ihre Partei ist, wenn auch noch minderzählig, doch dermalen unter allen andern die einzige wachsende; die übrigen stehen still oder zerspalten sich. Den 12. Oktober. Inzwischen sind die Journaux des débats bis zum 4. eingetroffen. Es ist eine große Sache um die politische Orthodoxie; die Uncorrectheit unserer französischen Freunde tritt immer mehr an den Tag. Eben weil sie von ihrem Olymp herab das Leben in den untern Regionen nur <303:> oberflächlich erkennen, kann ihnen eine solche Platitüde entfahren, als in dem Tadel der Unbestimmtheit des Wortes: Demokratie, zu Tage liegt. Man erstaunt, so tüchtige Royalisten noch bei dem ABC der Liberalen, bei der Montesquieuschen Lehre von den drei Ingredienzen zu finden. Mit dem Schlusse des Artikels vom 4. Oktober kann ich indeß wohl zufrieden seyn; da kommt die Schneide der einzigen verwundlichen Stelle unserer Präsidial-Proposition ganz nahe. Soll der durchaus verneinende und prohibitive Charakter der Gesetze vom 20. September fünf Jahre hindurch behauptet werden, so gehen wir in der Hauptsache, in dem Streben nach einer Aristokratie der Gesinnung, oder nach der Entstehung eines geistlichen Standes, wesentlich rückwärts. Ich z.B. würde es heut nicht wagen, nur so freimüthig zu sprechen, als es in meiner theologischen Grundlage geschehen ist; keine Censur in Deutschland würde eine solche Dissertation passiren lassen, die ehrliche aus Aengstlichkeit, die falsche aus Schadenfreude nicht. Was also soll werden? Der Krebs unserer schändlichen Theorien der praktischen Politik, die Sittenverderbniß der verwaltenden Menschen sollen ungehemmt, ja befördert und ermuntert fortwüthen können? Die Zweizüngigkeit unserer besten Regierungen, die mit der Linken genau so viel Fluch als mit der Rechten Segen verbreiten, soll fortdauern? und die Lehre der Wahrheit, welche sich gerade in Deutschland zu unwiderstehlicher Festigkeit und Reinheit ausgebildet, soll zugleich mit dem Lug und Trug der Revolution verstummen? Es sey ferne, daß ich in die Ansichten des Journal des débats von der Preßfreiheit, als integrirenden Bestandtheils der repräsentativen Verfassungen, eingehe; aber gewiß ist, wer aus so edlen und großen Absichten Schweigen gebietet, der muß selbst etwas ganz Ueberschwengliches und dabei Positives zu sagen und zu lehren haben. Ein vacuum kann nicht seyn: sollen die unteren Kräfte verstummen, so müssen die oberen reden; es muß dafür gesorgt werden, daß sie zum Worte kommen, man muß sie zu vereinigen und zu beleben wissen. Kann seyn, daß in Frankreich der Weg der Diskussion, der öffentlichen Verhandlung und des bitteren Streites der natürlichere und volksthümlichere war, um die Royalisten auf ihren dermaligen hohen Standpunkt zu bringen: in Deutschland ist die Belehrung von oben angemessener; nach der bisherigen glücklichen Einleitung der Sache und im Geist dieser bisherigen Schritte sind bestimmte und positive Deklarationen über Glauben und Lehre unvermeidlich. <304:> Nachdem man die Bösen gebannt hat, muß man die Guten entbinden und um sich vereinigen. Adieu, mein verehrtester Freund! Wenn meine Briefe dünner und inhaltsleerer als die früheren sind, so kömmt es von der Schwierigkeit her, nach dem lebendigen Gespräch sich wieder in das todte schriftliche zu finden. Wir werden schon wieder in den rechten Train kommen. Von der versprochenen Verbesserung meiner hiesigen Lage ist es wieder still. Wenn den Helden dieses großen Momentes das Eine, was Noth ist, das Eine, Weitere und Unvermeidliche beschäftigt, so möge er meiner immerhin vergessen. Ich habe den Trost, zu sehen, daß er denn doch überall für den eigentlichen Faiseur und Urheber angesehen wird, und daß er demnach unserer, der deutschen Royalisten und Wohlmeinenden in allen Gauen eigentlicher Marschall Vorwärts seyn und bleiben muß. Adam Müller. |
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