Briefwechsel 172. Leipzig, den 2. Mai 1819. Diese Zeit mit ihren täglichen und stündlichen gewaltsamen Anregungen erschwert das Verständniß getrennter Gleichgesinnter sehr, und die Gesinnung selbst hat, nach Maßgabe des jedesmaligen Feindes, mit dem sie zu kämpfen hat, so verschiedenartige Waffen anzuziehen, daß ich mich über Ihren so eben durch Graf Hohenthal übersendeten Briefes ebenso wenig wundere, als ich mich darüber mehr als über irgend einen jemals von Ihnen empfangenen, d.h. im eigentlichsten Sinne unaussprechlich freue. Das ist das Uebel zwischen uns, mein verehrter Freund! Jeder von uns hat seine eigene Welt von Mißbräuchen, Verbrechen, Wahnsinn &c. gegen sich über; meine Gegner stehen mehr in einer idealischen Region und in dem innern Gebiete der Staatsverwaltung, die Ihrigen mehr in der wirklichen Welt und in der politisch-diplomatischen Sphäre; da nun jeder von uns mit ganzer Seele, und ich glaube auch wohl in seiner Art gleich praktisch, mit dem Unheile kämpft, welches der Augenblick darbietet; da jeder von uns das ganze Zeughaus seiner Waffen, seiner Ideen und seiner Sprache und alle Befestigungskunst seines Herzens nach der Seite hin richtet, wo sich der Feind aufstellt, so ergibt sich beim Wiedersehen nach langer Trennung immer und fast unvermeidlich ein schweres Mißverständniß zwischen uns; und je näher wir einander stehen, um so heftiger muß die Erörterung werden. Ihren Brief vom 19. April hingegen in seiner unvergleichlichen Klarheit betrachte ich nunmehr als die eigentliche Präliminarbasis aller künftigen Verhandlungen; auch zweifle ich, ob in diesem Jahrhunderte überhaupt schon viel wichtigere Dinge geschehen sind, als das Ereigniß dieses Briefes. In dieser Rede ist für mich alles sonnenhell; ich sehe Sie selbst deutlich, meine Gedanken erscheinen mir wie eine bloße Emanation der Ihrigen, als eine Ihrer Wirkungen, sowie ich mich in dem Conversationslexikon dargestellt habe. Den Glauben des Gehorsams wollen Sie, wenn Sie auch für den direkten Glauben unempfindlich geworden wären; wenn auch Ihre Vernunft nicht gebändigt werden könnte. Sie wollen jenen Glauben, inwiefern Sie die moralische und politische Weltordnung wollen, inwiefern Sie das Ganze, sich im Ganzen betrachten. Hier ist die Stelle, wo Sie einen Scheideweg zwischen uns annehmen wollen, der <279:> nicht vorhanden ist. Ich finde Sie sogar orthodox, da nicht vorauszusetzen ist, daß Sie Ihr eigenes Princip umwerfen und etwa mit Ihrer bloßen Vernunft die Religion als Gesetz wiederherstellen, oder sich selbst von der allgemeinen Unterwerfung ausnehmen wollen. Was verlangen Sie denn aber mehr als den Glauben des Gehorsams? Was meinen Sie unter dem direkten Glauben? Den Glauben der Unschuld, des Paradieses? Sie können das Faktum der Sünde, der sündlichen Erkenntniß, der Rebellion der Vernunft gegen ihren Gott nicht ungeschehen machen; es ist in Ihrer Person, wie im Ganzen der Weltordnung unwiderruflich vorhanden. Meinen Sie ferner damit ein absolutes Wissen des Glaubens? Unmöglich. Es war der Fehler des Fichte, daß er sein reines Ich für ein Wissenswesen hielt, da es doch nur ein Glaubenswesen war. Unmöglich können Sie Ihre endliche, in beständigem Gehorsam gegen positive Dinge, Thatsachen, Offenbarungen der über Sie so besonders mächtigen Außenwelt verkehrende Vernunft mit der reinen und ewigen Vernunft verwechseln, an die Sie nur glauben. Alle Philosophen täuschen sich über diese sg. reinen Dinge, reine Wahrheit, Tugend, Schönheit, Kraft, Linie, Dreieck, welche sämmtlich nicht der Welt des Wissens, sondern der des Glaubens angehören. Wer den Glauben des Gehorsams hat, wer an die Gesetze Gottes glaubt und an seine positiven Weltordnungen, nicht weil sie vernünftig sind, sondern weil ihm alle Jahrhunderte sagen, daß sie von Gott herrühren, wer anerkennt, daß dieser Glaube ein thätiger, das heißt Gehorsam seyn müsse, und daß aller übrige gemeine Gehorsam gegen die gegebenen, positiven, vorhandenen Verhältnisse, Autoritäten, Gesetze von jenem sittlichen Gehorsam, wie der Zweig vom Stamme abhänge, der ist orthodox; er ist ein Christ, inwiefern er demzufolge hingeht und deßgleichen thut. In diesem Gehorsam wird die Liebe nicht fehlen, obwohl sie ein reines Geschenk der göttlichen Gnade ist; unter der Liebe verstehe ich das Freiheitsgefühl, die himmlische Mitgift unserer Natur, deren Mißbrauch unser ganzes Unglück ist; gerade in der reuevollen, in sich selbst zerschmelzenden Unterwerfung der menschlichen Natur unter die Hand ihres ewigen Bildners entbindet sich das Urgefühl der Freiheit in seiner wahren Gestalt, als Liebe, so wie es bis dahin als Begierde und Hoffahrt gebunden lag. Diese Liebe, dieser freie Gehorsam, oder welchen Namen sonst Sie dem höchsten Gefühle geben wollen, welches die Menschheit zu <280:> erschwingen vermag, ist an sich selbst ein direktes Verhältniß zu Gott, während die Begierde bisher nur in dem indirekten des Frevlers gegen den unvermeidlichen Rächer zu ihm stand. Und wenn schon die gemeine Liebe Nachsicht und Duldung gegen alle Geheimnisse und Unerklärlichkeiten in dem geliebten Gegenstande mit sich führt mein geliebtester, ältester Freund! warum sollte die höhere Liebe an den Orakeln ihres Gottes verzagen? warum nicht die Geheimnisse der Ewigkeit vertrauend aus denselben Händen empfangen wollen, welche sich als die einzig möglichen Begründer einer dauerhaften Zeitlichkeit bewährt haben? So kommt mit dem Gehorsam die Freiheit, mit der Freiheit die Liebe, und in dieser ist der direkte Glaube nothwendig einbegriffen. Wirken also die Besten des Jahrhunderts (wie wenig oder wie viel, ist nicht die Frage) nur unablässig auf die Befestigung der geistlichen Macht, auf concordantiam sacerdotii et imperii, auf die Herstellung einer furchtbaren und unbedingten Autorität, so thun sie das Größte, was zu thun ist. Das sg. Volk hat mir noch keinen Augenblick bange gemacht; dieses sucht und wird in dumpfer Sensucht nicht müde zu suchen nach einem Treiber, der es vor sich her fege, der es richte und stelle nach Wohlgefallen, der ihm die Bergeslast seiner falschen Freiheit abnehme, der es der Liberalität seiner schlaffen Regierungen entledige. Kotzebues Mord war der moralische Gräuel bei Seite gelegt eine große Lehre für uns. Laß das Gewürm, sagt Goethe, es frißt Eines das Andere auf; Sand den Kotzebue, Berg den Hornthal; sorgt nur dafür, daß Grund zu gründlicher Furcht vorhanden sey. Damit diese Furcht aber bestehen könne, muß sie Gottesfurcht und alle Menschenfurcht von der Gottesfurcht hergeleitet seyn, alle Menschenherrschaft auf der Herrschaft Gottes gegründet seyn und alle Vertheidigung der Rechte der Kirche und des Staates aus einer gottesfürchtigen Gesinnung herstammen. Dann wird die Furcht den Gehorsam wirken, der Gehorsam die wahre Freiheit, diese die Liebe u.s.f. Mit voller Kraft des Gemüths, direkt und ohne Reservation der Vernunft die einzelnen Offenbarungen Gottes, seine Wunder und Sacramente glaubend anerkennen, ist ohne Zweifel eine Wirkung der direkten Gnade Gottes. Es kann Gott gefallen, eine im tiefsten Verderbniß befangene Seele durch einen unmittelbaren Strahl seiner Gnade bei der geringfügigsten Veranlassung zu bekehren. Wenn Sie mir also sagen: ich kann aus meiner eigenen Kraft mich nicht zum direkten Glauben an <281:> ein einzelnes Wunder oder Geheimniß vermögen, ich gehöre nicht zu den Glücklichen, die wie St. Paul die Feuertaufe unmittelbar empfangen, so sind Sie auch hierin vollständig orthodox, da Sie der göttlichen Gnade ihr volles Recht einräumen; viel orthodoxer, als ich war, da ich eine dem Evangelio bewußtlos entwendete Philosophie für einen Schlüssel aller jener Geheimnisse und ein direktes Wissen des Glaubens für möglich hielt. Aber dann frage ich auch: Ist Ihnen nicht die allerhöchste Gnade widerfahren, da Ihnen der Glauben des Gehorsams, der über allem Glauben der Zeichen und der Wunder weit erhaben und die innerste Wesenheit des Christenthums ist, als die Bedingung aller Weltordnung und als letzter Zweck alles Strebens der Menschheit klar geworden? In allen Zeiten hat die Kirche das unblutige Märtyrerthum des Gehorsams noch höher geachtet als das blutige, direkte Märtyrerthum; so sind auch alle einzelnen Kasteiungen der menschlichen Vernunft zum direkten Glauben weniger werth als die einfache, treue Demuth des Herzens holocaustis non delectaberis, sacrificium Deo spiritus contribulatus; cor contritum et humiliatum, Deus, non despicies. Wo finden Sie nunmehr eine fernere Differenz zwischen uns? Mich dünkt, nur Eine gibt es, die, daß Sie sich auf dem Wege zu dem großen Resultate, welches uns vereinigt, weniger vorzuwerfen haben als ich; daß unter allem äußeren Glanze Ihrer irdischen Schicksale eine tiefe Demuth des Herzens, eine Scheu des Gewissens und eine leise Empfänglichkeit für die Reue, ja für die Contrition selbst, Sie niemals verlassen hat; alle Ihre Arbeiten, Studien &c. zeugen von unveränderter Ehrfurcht vor dem Positiven, vor den Thatsachen, vor dem ohne Ihr Zuthun, also zuletzt doch immer durch Gottes Verordnung Vorhandenene, während Sie lange genug meinen philosophischen Uebermuth, meinen Hyperkriticismus, meine Vornehmthuerei in Ideen vor Augen gehabt haben. Nicht den Inhalt meiner Ueberzeugungen meine ich, aber deren Form, hochmüthige, verbrecherische Aneignung der Wahrheit als einer Verstandes-, einer Talentssache. Dafür, d.h. für den größten aller Frevel, für den Ungehorsam des Herzens, habe ich nun in langen Leiden kaum abgebüßt, während das, was man Ihr Glück nennt, doch nur eine Art des Segens ist, welchen die unveränderliche edle Gebrochenheit und Demuth Ihres Herzens auf sich gezogen hat. Genug für heute! In allen andern Rücksichten ist Ihr Brief für mich ein wahrer Canon der Politik und alles so ausgedrückt, als wenn Sie die folgenden <282:> Jahrhunderte und nicht bloß mich, ein Kind dieser schlechten Zeit, anredeten. Gebieten Sie über mich: wo soll ich hingehen, was soll ich thun, wie soll ich beweisen, daß ich in Ihrem Dienst bin, Ihnen angehöre? Der Artikel im Conversationslexikon ist unbedingt nothwendig, weil es in 35,000 Exemplaren bereits existirt und in jeder neuen Auflage mit gleicher Begierde gekauft wird. Ich schreibe diesen Artikel in extenso für die Zeitgenossen und ein Extrakt für das Lexikon und lege Ihnen beides zur vorläufigen Genehmigung vor. Zum Conversationsblatt hat mich allhier ein sicherer Hebenstreit, später durch Briefe ein Franz Gräffer eingeladen, dringendst, mit Berufung auf Collin, Schlegel &c. und Andere. Das Blatt selbst habe ich nie gesehen, mein Antheil ist gratuit, bloß wohlwollend. Ihren Wink werde ich beachten. Bollmanns Schrift kenne ich nicht; aber das Buch von Schmidt-Phiseldek in Copenhagen über das Geld hat mich interessirt, als merkwürdiges Zeichen angehender Bekehrung über viele herrschende staatswirthschaftliche Irrthümer, und weil es auf dem Mist des dänischen Papiergeldwesens gewachsen ist. Angehende Bekehrung sage ich, denn die Grundansicht liegt noch tief im Argen; der Grundsatz: gold is gold, und die Ueberzeugung, daß eine gesetzliche Bewerthung der Metalle unrechtlich und unnütz sey (also das Münzen, die gesetzliche Anordnung des Verhältnisses eines Metalles zum andern unstatthaft), prangt auf allen Seiten. Lesen Sie es aber; es fällt einem viel Gutes bei dem Buche ein. Für mich, der ich den sinkenden Handel und die verkümmernde Industrie unserer Zeit vor meiner Thür habe und die wenigen gründlichen Kenner dieser Angelegenheiten unaufhörlich dazu einladen möchte, sich die ungeheure feudalistische Basis, auf der das Luftgebäude unseres Geld-, Kredit- und Rentenwesens noch heute ruht, hinwegzudenken und sich zu fragen, ob alsdann auch nur das geringfügigste Atom dessen, was wir Nationalreichthum nennen, bestehen könne, ist das Schmidtsche Buch, ungeachtet aller Irrthümer, eine Quelle großer Satisfaktion. Denn so wie die Sachen jetzt liegen und wie Ihre und meine Ueberzeugung in der Bullion- und andern Geldfragen ziemlich von Anfang an gestanden hat, können sowohl die Materialisten als die Idealisten des Geldwesens nur bestätigende Argumente beibringen. Ganz und ungetheilt der Ihrige Adam Müller. <283:> Indem ich schließe, erhalte ich einen Brief Collins mit der erfreulichen Anzeige, daß Sie mit Beckedorffs Rede an die Jugend über Kotzebue nicht unzufrieden gewesen sind, ja daß Sie sich der Verbreitung derselben in eigener Person angenommen haben. Gott weiß, welche reine Freude Sie mir und insbesondere dem rechtschaffenen Verfasser damit gemacht haben. Adam Müller. |
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