Briefwechsel

163.

Leipzig, den 10. Juli 1818.

Der Ueberbringer dieses Schreibens an Sie, mein verehrter Freund, ist Hofrath Beckedorff, Gouverneur des Erbprinzen von Anhalt-Bernburg und Sohn der bekannten Mistreß Beckedorff, Kammerfau und Factotum der Königin von England, einer Ihrer ältesten Verehrer, der seinen Herrn, den Herzog von Anhalt-Bernburg, hauptsächlich deßhalb zu begleiten gewünscht hat, weil er aus den Zeitungen erfahren, daß Sie mit dem Fürsten nach Carlsbad kommen würden. In classischer Richtung des Geistes, an Adel und Vornehmigkeit der Natur, an Denk-und Redeweise Ihnen ähnlich, von den „allervortrefflichsten Grundsätzen,“ ein Gentleman in jeder Nerve, verdient er Ihre Beachtung, als Ihr aufrichtiger und uneigennütziger Bewunderer Ihre Protektion. Daß er mir von Herzen ergeben und sein Umgang meine einzige wahre Zuflucht in hiesiger Gegend ist, soll zu seinen Ansprüchen auf Ihren gütigen Empfang nichts hinzufügen, sondern nur meine Empfehlung entschuldigen, da er ohne <257:> mich von Ihnen bemerkt und ausgezeichnet werden würde. Seine Freundinnen, Frau von Berg und Gräfin Voß, denen ich seine Bekanntschaft verdanke, hatten im Jahre 1810 mich ihm, als Ihren Freund, empfohlen; so haben Sie also sein erstes Interesse für mich veranlaßt, und ich gebe Ihnen gegenwärtig nur zurück, was ich von Ihnen empfangen habe. Daß er ausgezeichnet gut schreibt und Verfasser einiger trefflicher Schriften ist, will ich gar nicht in Anschlag bringen.

Ich setze voraus, daß ich ihm in einigen Tagen nach Carlsbad folgen werde. Der Aufsatz über die Geld- und Creditoperationen oder das Monument, welches Sie Stadion gesetzt haben, ist mir so wenig als irgend etwas, zu dem Completismus Ihrer Werke gehörige, entgangen. Auch betrachte ich ihn in dem Lichte einer apologischen Staatsschrift für ein Meisterstück. Desto begieriger aber bin ich, über alle jene disparaten Maßregeln, die Sie mit so großer Kunst in Einheit zu stellen gewußt haben, so wie über die einwirkenden Personen, Ihr aufrichtiges Urtheil zu hören. Ich möchte gut sagen, daß wir über die Finanzmaßregeln übereinstimmend denken, und daß nur in den Operationen des sg. Innern eine Differenz der Ansicht obwalten kann. Aber auch dort, nämlich in Bezug auf Grundsteuer und Cataster, hoffe ich mich vor Ihnen zu rechtfertigen; diese Maßregeln finde ich nicht bloß in dem revolutionären Princip, von dem sie ausgehen, sondern deßhalb verwerflich, weil sie unpraktisch sind, und so zergehen werden wie alle Bestrebungen einer falschen Theorie. Vergleichen Sie nur Haushalt und Besitzstand von Mailand mit denen unserer deutschen Provinzen; doch ich will mir und unseren Gesprächen nicht vorgreifen. Nur möchte ich Sie davon überzeugen, daß ich mit dem sanftesten Herzen zu Ihnen komme, und das Glück, Sie wiederzusehen, auch um den Preis einiger Niederlagen meiner Ansichten nicht zu theuer erkaufen würde. Sie haben sich in der Schrift über die Preßfreiheit mit der Ihnen eigenthümlichen Klarheit für den Urgegensatz aller Politik, den der Freiheit und des Gesetzes, so bestimmt entschieden, daß Sie den Urgegensatz aller Religion und Moral, in welchem sich in letzter Instanz alle schönen Triebe des menschlichen Herzens, und alle tugendhafte Neigung zu Gott und den Menschen auflösen, nämlich den des Gehorsams und der Liebe, eben dadurch schon stillschweigend anerkennen. Ich sehe also nicht die „centnerschweren Differenzen“ zwischen uns, außer inwiefern Sie in mir mehr Liebe zu Ihnen, als <258:> Gehorsam gegen Sie, meinen Herrn und Meister, voraussetzen, und mich also gerade so widerhaarig und weigerisch glauben, als ich im Lauf der Jahre und unter dem sanften Druck der Zeiten mild und demüthig geworden bin.

Uebrigens rathe ich die äußerste Vorsicht im Gebrauche des Carlsbades bei den dermaligen Nordwinden dringend an, nehme, wenn Sie bei dem etwas muthwilligen Vorsatz der Kur unter entschiedenem Wohlbefinden beharren, die Zeit Ihrer Spaziergänge nach Möglichkeit für mich in Beschlag, und werde keinen Augenblick versäumen, wenn ich die verheißene Citation erhalten habe. Ich bemerke noch, daß ich, durch Zufall, niemals in Carlsbad gewesen bin.

Adam Müller.