Briefwechsel

160.

Görres an Adam Müller.

Für Ihre wohlmeinende Schrift und die frühe Mittheilung derselben danke ich Ihnen aufs verbindlichste, und verdanke Ihnen gern den wohlthätigen Eindruck, den Sinn und Weise Ihres Tadels auf mich gemacht, <252:> und dazu das geistige Wohlgefallen, das eine in sich zusammenhängende, durchgeführte religiöse Ansicht der Verhältnisse, die den Geist jetzt am allermeisten beschäftigen, gewährt. Man kann hier sehr verschiedener Ansicht seyn, aber das Streitende findet in jener durchgehenden inneren Einheit auch sein Einendes, und so wird der Streit nicht eine Thierhetze, wie jetzt das meiste Oeffentliche, sondern eine edle, anständige Geistesübung. Alles auf eine Wurzel zurückbezogen, möchte wohl der Grund der Verschiedenheit unserer beiderseitigen Ansichten darin liegen, daß Sie das Christenthum für Religion, ich aber für eine Religion, aber freilich Gipfel und Mitte und Geist und Seele aller andern, nehme. Darum ist mir der Dienst der Urwelt das kindliche Christenthum, das Judenthum mit den Mysterien des Heidenthums seine Jugend, die in vielen, oft sehr exentrischen Bahnen sich versucht, endlich das eigentliche Christenthum die Reife, die aber, wie alles großartig historische, seinen Phönix, aber keinen absoluten Schluß und kein Ende hat. So gewinne ich Raum vorwärts und rückwärts, um auch das unterzubringen, was ja Gott selbst nicht verurtheilen muß, weil er es mit Wohlgefallen geduldet, da alles Böse immer vor ihm zu nichte worden. Da in unserer beiderseitigen Betrachtungsart an das Religiöse sich das Politische in der Gesellschaft knüpft, so müssen die Differenzen, die dort zwischen uns eingetreten, auch hier zu Tage treten. So nehme ich keineswegs an, daß die vorchristliche Zeit keine Stände gekannt. Gerade die letzte Zeit her bin ich mit einer Arbeit beschäftigt gewesen, die ihren ersten Ursprung, als zugleich mit dem Ursprunge der Gesellschaft gegeben, mit Evidenz beweist, und Sie werden die Resultate in einer Schrift finden, wo Sie dieselben nicht gesucht hätten, in der Einleitung zu meiner Uebersetzung des Schah Nameh, die Anfangs Sommer erscheinen wird. So bin ich vorwärts toleranter wie Sie gegen die jetzige Freigeisterei der Wissenschaft und des Geldverkehrs, diese allgemeine geistige und physische Windbeutelei und die immer weiter um sich greifende Vergasung alles Festen und Bestehenden, während mir zugleich das jetzige unvernünftige Schreien der Parteien gegen einander, und zum Theil gegen die Regierungen, ein Greuel und Abscheu ist; aber gerade weil es da ist als etwas Stehendes und den Charakter des Zufälligen verloren hat, muß es geachtet werden als ein Historisches, wenn es auch gleich nur der Pathologie des Geschlechts angehört. Diese übermüthige Wissenschaft kann durchaus nicht durch regressive Richtungen, <253:> durch ein Zurückgehen, durch ein Unterkriechen, ein Ignoriren und ein Niederdrücken, sie kann allein durch sich selbst bemeistert werden, und gerade so das Geldwesen. Das ist der Punkt, wo ich zugleich zu den Liberalen und den Ultras gehöre, weswegen mich auch beide wohl anfechten; außerdem haben Sie recht erwartet, daß ich keine Consequenz scheuen und keine diplomatische Achselträgerei im Sinne führen werde. Ich kann mich in einem Briefe nicht weiter auslassen; was ich in wenig Zeilen gesagt, wird hinreichen, Ihnen die scheinbaren Widersprüche in meiner Schrift aufzulösen. Doch muß ich bemerken, daß Sie einzelne Worte schwerer genommen, als sie gesagt gewesen. Ich habe mich immer nur bemüht, mein Inneres heiter und disciplinirt zu erhalten, übrigens unbekümmert um die Handlungen und Aeußerungen, die bei klaren Augen nicht trübe und verwirrt seyn können. So war auch bei dieser Audienz nichts vorbereitet und nur das Nothdürftigste überlegt, und bei der schriftlichen Fassung wollte ich denn doch auch die historische Treue nicht verletzen. Den Nachsatz habe ich nur als eine Art parlamentarischer Rede, nach dem Schlusse der Handlung vor den Handelnden gehalten, betrachten wollen. Der Faden will hier zu Ende laufen, ich werde ihn wieder anknüpfen und besser ausspinnen in einer kleinen Schrift über die drei Stände, die ich vorhabe. Einstweilen habe ich Sie mit den wenigen Worten freundlich begrüßen wollen. Ihr ergebenster

Coblenz am 16. Mai 1818.

S. Görres.