Briefwechsel

159.

Leipzig, den 28. Mai 1818.

Ihr Schreiben vom 19. April erhielt ich, sehr verspätet, am 21. Mai zu Potsdam, wo ich eben meinen guten Vater begraben hatte. Es traf im rechten Augenblicke ein, da ich einer Stärkung, insbesondere einer solchen dankbaren Erinnerung an Sie bedurfte, als diese wenigen Zeilen erweckten. Kurz vorher waren die Jahrbücher der Literatur in Leipzig angekommen, und besonders Ihr Werk (denn es ist mehr als die beste Recension) mit Bewunderung und Hochachtung aufgenommen worden. Die erschöpfende, klare und zugleich durch Gelehrsamkeit und Sachkenntniß alle französischen und deutschen Vorgänger verdunkelnde Schrift über die Preßfreiheit ist hier bereits ins Französische übersetzt worden, welches ich nur anführe, damit Sie den Eindruck erkennen, den Sie unmittelbar auch da machen, wo Ihr Name nicht genannt wird, und man es kaum ahndet, daß eine große und alte Autorität hinter dem Werke verborgen steht. Daß meine Schrift über die K. zurückgelegt werden würde, habe ich vorausgesehen: auch habe ich sie nur eingesendet, um dem Fürsten meinen guten Willen für die Jahrbücher zu beweisen. Auch fühle ich sehr wohl, daß ich meine Sache auf eigene Hand führen und vertheidigen muß, und daß vorläufig niemandem mit meiner Gemeinschaft gedient seyn kann. So sehen Sie z.B., wie auch das Schreiben an Görres, bei aller guter Wirkung, die es gemacht, mich von Ancillon, Graf Brandenburg und der sehr mächtigen Haller’schen Partei in Berlin entfernen mußte. Ich achte und liebe Haller und bin in freundschaftlicher Correspondenz mit ihm, meine aber keinesweges, wie jener Berliner, daß das Haller’sche Buch hinreiche, um den Görres zu exterminiren. So hat denn der achtungsvolle Ton, mit dem ich Görres behandelt, natürlich denen nicht gefallen können, welche die preußischen Kabinetsordern an die Koblenzer veranlaßten.

Indeß bin ich zufrieden, daß der praktische Werth meines Schreibens anerkannt wird. Die Freude über Ihren und des Fürsten Beifall hat mich in einem durch den Trauerfall sehr afficirten Zustande fast krank gemacht: so halten Sie mich trotz der Entfernung des Ortes und der Jahre, und trotz der langen Unterbrechung unsers Verkehrs in Abhängigkeit. Aber daß es nicht gerade Styl und Form, sondern die Idee war, welche, wenn etwas, Görres verwirren konnte, ersehen Sie aus der anliegenden <250:> authentischen Abschrift seines Privatschreibens an mich. Mit dem Anfange, mit der Erklärung der Wurzel unseres Streites, gestehen Sie, gibt er mir alle Satisfaction, die ich nur begehren kann. Freilich ist mir das Christenthum die Religion und nicht eine Religion! Freilich habe ich an die ausschließliche, körperliche und geistige Wahrhaftigkeit dieser Religion mein ganzes Leben gesetzt! Freilich ist meiner innersten Seele Manches, am meisten aber jenes pantheistische, naturphilosophische, freimaurerische Dulden und Lieben alles Heidenthums, aller Ketzerei und aller Schlechtigkeit zuwider! Freilich glaube Ich Staub, daß der Gott, der mich vom Tode erlöset hat, aller seiner Kreatur gut und gerecht seyn kann, ohne mich, ohne meine Rechtfertigung und Theodicee; ohne die Ratifikation meiner Vernunft deßhalb, daß er Heiden und Wilde erschaffen hat, die ihn nicht zu kennen scheinen! Freilich erscheinen mir alle indischen Mythen und heidnischen Mysterien und alle Erkenntniß der Urwelt wie Spielereien neben dem Ernste der Worte meines Gottes: Selig sind die nicht sehen, und doch glauben! Freilich glaube und weiß ich, daß mir alle jene Dinge, selbst die nicht zu verkennenden Schönheiten und Innigkeiten des Heidenthums, wie Speise und Trank, wie Kleider und Schuhe von selbst zufallen, daß ein versöhnendes Licht über alle Erscheinungen der Vorwelt und Nachwelt aufgehet, inwiefern ich nur zuerst und vor allen Dingen nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachte, und zwischen dem Wissen der Welt und dem Glauben an das Evangelium mich dreist entscheide! Ich habe noch niemanden gefunden, der gesehen und erkannt, bevor ihm der Glaube des Evangeliums die Augen geöffnet hatte, oder der überhaupt zwischen Himmel und Erde zum wahren, markigen Bewußtseyn kam, als durch den von allem Wissen unabhängigen, und doch alles Wissen erst ordnenden, befestigenden und verbürgenden Glauben. Ich will den sehen, der mir in der isolirten, außer dem Gegensatze des Glaubens gestellten Vernunft nur die Züge der Menschlichkeit, nur eine Spur jener Beharrlichkeit zeigen kann, nach der alle Nerven der Menschheit ringen; die Philosophie will ich sehen, die mir ein Ich construiren könnte, ohne ein bleibendes und persönliches Du; nicht ein von mir gemachtes, aus meinem Wissen und Fühlen geschnitztes, sondern ein wahrhaft äußeres, mir von außen eröffnetes, d.h. offenbartes Du.

Mein herzlich geliebter, ältester, nächster Freund! Wogegen streiten wir alle, Sie und ich, als dagegen, daß die Welt überhaupt nichts <251:> wahrhaft Aeußeres mehr anerkennen, daß sie keiner Eröffnung von Außen Gehör geben will? Es sind nicht Gottes Offenbarungen allein, die verschmäht werden, wenn auch dieser Eine Hochmuth alle andern Uebel nach sich ziehet. Man will eben mit jener isolirten Vernunft seine eigene Welt, seine eigene Geschichte und Natur, seinen eigenen Staat und eigene Freiheit machen; man will mit dem bloßen egoistischen Einschlag der Vernunft, ohne die Kette der göttlichen, natürlichen und historisch-politischen Offenbarung, ein Gewebe zu Stande bringen. Der Nächste, der Nebenmensch ist ein Instrument der Vernunft, aber nicht mehr ein wahrhaftes Du, welches Achtung fordert und ein wahrhaftes Geheimniß in sich trägt. So zerfallen die moralischen Bande des gegenseitigen Glaubens und Vertrauens, weil das religiöse zerrissen ist. Wie möchte das vergängliche Du sich behaupten, wenn das bleibende und ewige nicht mehr gesehen wird!

Das, liebster Freund, wissen Sie so gut als ich, daß alles, was von regressiven Tendenzen in dem Görres’schen Schreiben stichelnd gesagt wird, mich nicht trifft, dafern nicht die bloße Rückkehr zu Gott und zur Tugend für eine regressive Tendenz gelten soll. Denn wie alles Gute, Schöne und Wahre in der ewigen Natur wie in der Geschichte versöhnlich unterzubringen sey, und wie wahrhaftes Fortschreiten möglich sey, kann wohl nur der einsehen, der das wahrhaft Bleibende in seinem Herzen trägt.

Mein Bedürfniß, meinen Drang, Sie zu sehen, habe ich nur ausdrücken wollen, indem ich es wieder einmal versucht habe, mich Ihnen anzubieten. Ein alter Traum einer Reise mit Ihnen durch Alpenthäler und anderes grüne Land ist wieder lebhaft geworden. Daß Sie mir Hoffnung dazu machen, obgleich ich die Ausführung nicht begreife, ist eine wahre Wohlthat, die Sie meinem Herzen erzeigt haben.

Adam Müller.