Briefwechsel

1817.

151.

Leipzig, den 1. März 1817.

Ich weiß nicht, wie ich mich heut unter der Lectüre von Du Fossé mémoires de Port royal unwiderstehlich angetrieben fühle, Ihnen zu schreiben, und Ihnen ein Prachtexemplar der Wiener Vorlesungen zu senden, die in der Welt einiges Glück zu machen scheinen. Es ist mir selbst um so unbegreiflicher, wie ich dazu komme, nachdem ich gewiß weiß, daß Sie dieß Buch so wenig, als irgend eine meiner andern Arbeiten lesen werden.

Indeß möchte es etwas thun, wenn ich Ihnen sage, daß mir dieses Buch, nach meinen gegenwärtigen Ansichten, eben nicht sonderlich gefallen kann: vielleicht wird es durch diese Erklärung piquant. Auch bin ich zufrieden, wenn es über die Seite gelegt und nur als ein Zeichen anerkannt wird, daß in mir die älteren Eindrücke der Freundschaft unter allem gelegentlichen Unwillen immer wieder die Oberhand behalten. Wissen Sie, daß ich Ihrer mit wahrer Zärtlichkeit, ja mit Aengstlichkeit gedenken kann? Ja, mit Aengstlichkeit, mit Bangigkeit, in Betracht des einzigen Redenswerthen in dieser Welt. Meine ganze Schriftstellerei gebe ich Ihnen zuvörderst preis. Was sind die Brocken, die man gerade niederschreibt, gegen die Gedankenreihe des Lebens! Ueberdieß bin ich, was auch die Vorlesungen ziemlich deutlich ausdrücken, zum Reden geboren und nicht zum Schreiben. – Aber concediren Sie, liebster Freund! Nicht mit meinen Schriften, – mit meiner Gesinnung sind Sie über den Fuß gespannt: gegen diese haben Sie im Kleinen dasselbe, was gegen <232:> die wirkliche leibhafte Uebung der Religion im Großen. Meine Verbindungen heiliger und weltlicher Dinge sind Ihnen, ich weiß nicht, ob mehr Barbarei, oder mehr Chimäre, und machen einen ähnlich widerwärtigen Eindruck auf Sie, als wenn man von Ihnen begehrte, daß Sie bei Pater Hofbauer beichten sollten. Liebster Gentz! kann ich mir helfen, wenn mir das ganze Treiben unserer bürgerlichen Gesellschaft, unserer Gesetzgebung, unserer Finanzverwaltung, unser Constitutionswesen so hoffnungslos, so leer und lächerlich erscheint, wenn ich es eines reichen Geistes, wie des Ihrigen, dessen Fülle ich am besten kenne und empfunden habe, so unwürdig finde, als ich andererseits die Würde der wahren Gesetzgebung, und Ihren – liebster Freund – Ihren ganz unersetzlichen Werth fühle.

Nicht als wenn das, was Sie treiben und wirken, jede ihrer geringfügigsten Arbeiten deßhalb ein geringeres Interesse für mich hätte, als je: wie gern lese ich jede Zeile, die von Ihrer Hand ausgeht! Ihr Herz erlaubt nicht, daß Sie irgend etwas anders, als mit Adel und Elevation thun können. Aber daß Sie so große Dinge mit so voller Seele, und mit so schönem Herzen – nun schon dreißig Jahre lang – ohne Gott treiben können, dessen Wesen Ihnen doch mit der Sache des Rechts und der Ordnung, um die Sie, wie Wenige dieses Jahrhunderts, sich verdient gemacht, unaufhörlich vor Augen stand – diese Betrachtung kann mich mit der tiefsten Wehmuth über die Gebrechlichkeit der menschlichen Dinge erfüllen: ohne Gott – d.h. ohne eigentliches Gebet, ohne Sakrament, ohne Communion, ohne leibhaftige Gemeinschaft des Trostes und der Hoffnungen (wenn nicht mit den Zeitgenossen, doch) mit den würdigsten und besten der vorangegangenen Zeiten – oder, wenn diese Erde aufgegeben werden soll, wegen der Abendluft, die sie von sich gibt, mindestens ohne tüchtige Vorbereitung für die Ewigkeit! Herr! wenn das, was wir Schwächlinge in der majestätischen Gegenwart einer zweitausendjährigen Kirche, die sich wenigstens nie und nirgends widersprochen hat, glauben – nicht wahr ist; wenn der Ausschuß von allen Zeiten, die gemeine sinnliche Zweifelei Recht behält und es sich endlich ergibt, daß es mit dem Néant nach diesem Leben seine Richtigkeit hat: – was haben wir dann verloren? – Wenn es aber wahr ist? Wie dann? – Liebster Gentz! mir sind Ihre stilleren Verhältnisse mit Gott, wenn ich so sagen darf, Ihre verschämte Devotion, selbst die nie <233:> verläugnete innere Demuth Ihres Geistes (die herrlichste aller Tugenden) nicht unbekannt. Was also hält Sie zurück, die Ueberzeugungen Ihrer Seele nunmehr förmlich zu erleben, und an die erste glückliche Hälfte Ihres Lebens nun eine segenvolle letztere zu fügen? – Was anderes, als der widerliche Contrast zwischen den Weltgeschäften und den Gottesgeschäften? Was anderes, als der unermeßliche Reichthum an Talent und Wissenschaft und Kunst, den Sie einer Religion entgegenbringen, deren Austerität ja nur von der Ueppigkeit der Zeiten hervorgerufen wird, und die dennoch, falls Sie sich nur einließen, wenigen Herzen so wohl thun würde, als dem Ihrigen? – Und Sie können das redliche Bestreben eines Freundes tadeln, der nicht nachlassen kann, an den Bund zwischen Himmel und Erde, zwischen menschlichen und göttlichen Geschäften zu glauben, und in diesem Werke nur das Eine vor Ihnen voraus hat, daß er in jeder Rücksicht ärmer ist als Sie? – Sie haben den ganzen Lauf dieses Freundes gesehen und können sich über den einzelnen Schritt wundern! Sie sahen meine kindische Freude über den Gegensatz, der sich nun nach 16 Jahren in gleicher Treue bewährt, und meine ebenso kindische Ehrfurcht vor dem Antigegensatz, an dessen Stelle nunmehr so befriedigend und erfüllend Gott und seine Kirche getreten ist. Wie wollen Sie dann nun, daß ich anders thue, als ich thue! Verbiete Du dem Seidenwurm zu spinnen u.s.f. – Meine ganze Seele regt sich angenehm bei dem Gedanken auf, daß ich Ihnen wieder näher rücken könnte, so nahe, wie ehemals, so trostreich für Sie, so genußreich für mich. So ein Kunstmensch wie Sie braucht einen Gottes- und Naturphilosophen neben sich. Ich meine nicht gerade körperlich neben sich, denn ich werde durch die Masse meiner Kirchenväter und anderer Bücher immer unbeweglicher, und durch meine Studien immer mehr an Leipzig und meine hiesige einsame Muße gefesselt, obwohl mich Gott mit mancherlei schweren Leiden, zumal der Krankheit meiner Kinder, seit zwei Monaten heimsucht. – Leben Sie wohl!

A. Müller. <234:>