Briefwechsel 1816. 141. Wien, 12. Februar 1816. Daß Sie mich Jahre lang vernachlässigen und vergessen können, ist nichts Neues. Die Art aber, wie es dießmal geschieht, ist besonders empfindlich. Nicht genug, daß Sie mir keine Zeile von Leipzig aus schrieben, Sie erwähnten meiner nicht einmal in Ihren Briefen an Andere; und noch ganz kürzlich sah ich einen an Pilat, wo namentlich Grüße für neun Personen verzeichnet standen, nur kein Wort für mich. Und doch hat es vielleicht nie einen Zeitpunkt in meinem Leben gegeben, wo ein Freund von Ihrem Gewicht mir wesentlicher Dienste hätte leisten können, als jetzt. Denn ich bin krank, matt und mißmuthig, und bedarf äußerer Reize, um meine innere Lebenskraft anzufrischen. Es ist ein trauriger Winter, den ich hier verlebe, und täglich werfe ich mir die unaussprechliche Thorheit vor, die mich verleitet hat, Paris zu verlassen, wo ich einen sehr interessanten gefunden hätte, und in jeder Rücksicht viel glücklicher gewesen wäre, als in diesem Caput mortuum von Wien. So stehen die Sachen zwischen uns, mein werther Freund, und ich habe um so mehr Recht, darüber zu klagen, als ich nach Ihren Verheißungen ganz etwas Anderes erwarten durfte. Ich weiß, daß Sie sehr beschäftigt sind, und höre Sie, zu meiner großen Freude, oft rühmen; aber ich weiß auch, wie leicht Ihnen das Schreiben wird, und absolutes Stillschweigen kann doch durch nichts entschuldigt werden. Es gibt unter anderem einen Punkt, der mich bis zur lebhaftesten Unruhe interessirt: noch immer ist die Rede von Ihren Staatsanzeigen; noch immer habe ich keine Vorstellung von dem Geist und Sinn, in welchem Sie <212:> heute (nachdem alles sich geändert hat) über die öffentlichen Angelegenheiten schreiben werden. Und es ergreift mich darüber zuweilen eine sonderbare Bangigkeit, die ihren Grund hat in Dingen, worüber wir uns früher gegen einander erklärt haben würden, wenn wir nicht bloß durch Ihre Schuld uns so fremd geworden wären. Lassen Sie mich nur einmal wieder ein paar freundliche Worte hören, und unser Friede wird bald geschlossen seyn. Gentz. |
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