Briefwechsel

130.

Paris, den 14. Juli 1815.

Meine Frau schreibt mir, Sie würden nach Paris kommen. Wenn mich irgend eine Nachricht überraschte, so war es diese; ich bitte Sie zu eilen, was Sie können. Lassen Sie uns über die Schweiz und Tyrol nach Hause zurückkehren. Glauben Sie von den übertriebenen Gerüchten der Unsicherheit der französischen Straßen nichts. Kein einziger unserer Couriere ist verloren gegangen oder aufgehalten worden. Ueberdieß konnte nur der ungeheuer rasche Marsch und der augenblickliche Mangel von polizeilichen Vorkehrungen im Rücken den Unfug veranlassen. Auch fehlte es wahrscheinlich dem Alopäus in Nancy an Kraft. Jetzt wird Alles ruhig seyn, und überdieß werden Sie die Straße von Metz nehmen können.

Die lobende Aeußerung über die Deklaration vom 12. Mai steht im Rheinischen Merkur zwischen dem 15. und 21. Juni in dem großen Aufsatze: „Um die Tag- und Nachtgleiche sey er erschienen, die Sonnenwende nahe, aber er wolle nicht werden.“ Ich führe den Merkur nicht mit mir, sonst würde ich zweckmäßiger citiren.

Mein Geschäft als Armeecorrespondent der Firma Gentz und Pilat ist nunmehr zu Ende; ich habe nunmehr nichts weiter auf mir, als die <198:> Expedition der französischen Journale durch die Tagescouriere und gelegentlich einen kurzen extraordinären Bericht. Die Staatskanzlei zu Paris wird täglich enger, da auch schon Waken und Werner angekommen sind. Ich habe mich in eine abgesonderte Wohnung, place Vendome, an der Ecke des Boulevards, zurückgezogen, finde hier eine Menge alter Bekannter, schreibe an Staatsanzeigen und schmiede an meiner eigenen Ansicht der Politik des Tages.

Ihren Egard für die ehemaligen Maikammern und für die Debatten des 21. und 22. Juni kann ich nicht theilen, obwohl ich darüber mit Ihnen einig bin, daß durch die bloße Restauration der Bourbons noch nichts geschehen ist und das schwerste zu thun bleibt. Indeß geben Sie zu, daß die Coalition des neuen Ministeriums manches verändert, und daß, wenn der Minister des Innern glücklich gewählt wird, die Parteien, wenigstens vorläufig, beschwichtigt sind.

Die Kaiserin Marie Louise hätte alle Stimmen für sich vereinigt, die Bourbonisten in Frankreich hätten geschwiegen, und es ist keinem Zweifel unterworfen, daß die ganze öffentliche Meinung von Frankreich, der ganze Nerv seiner kräftigsten Parteien für den Augenblick zur Disposition von Oesterreich gestanden hätte. Man erschöpft sich noch heute in Phantasien, wie dieses Arrangement zu machen gewesen wäre; viele haben sich mit dem Gedanken einer Regentschaft des Erzherzogs Karl herumgetragen; von einem Ende des Reichs zum andern hätte ein Wort des Kaisers alle Gemüther elektrisiren können.

Sollte man aber bei einer außerdem so tief complicirten Frage eine andere Entscheidung als die des politischen Gewissens geben? Ist es besser, den Lockungen des Augenblicks und einer momentanen Präpotenz, die sich dem Hause Oesterreich wirklich aufzudringen schien, nachgeben, oder ganz schlicht und einfach das göttliche Recht der Throne als die einzige untrügliche Basis aller politischen Institutionen behaupten? Zumal es doch möglich wäre, den Bund der Fürsten bei dem gemeinschaftlichen Interesse gegen die Prätensionen der Völker noch auf einige Jahre zu retten, und so für gründliche Anordnungen des Innern Zeit und Ruhe zu gewinnen? Ich habe unter Betrachtungen dieser Art das Gefühl eines schweren Versäumnisses; ich bereue es, nicht tagelang mit Ihnen besprochen zu haben, was sich in der Correspondenz und unter dem dermaligen Drange des Augenblicks nur ganz oberflächlich zwischen uns verhandeln läßt. <199:>

Problematisch ist mir der künstliche Charakter Ihres gegenwärtigen politischen Systems und Ihre anscheinende Gleichgültigkeit dagegen, ob der Grundgedanke Ihres ganzen politischen Lebens triumphire oder nicht. – Kam es denn auf etwas anderes als darauf an, daß das Princip der Revolution gestürzt wurde, und daß die Herrschaft der politischen Phantome, Schatten, Larven ein Ende nahm? Hierüber haben Sie sich zu rechtfertigen und zu erläutern bei dem, der diese „allerfürtrefflichsten Grundsätze“ nur durch Sie, durch das Beispiel Ihres Lebens kennen lernte, und nun nicht zugeben wird, daß gewöhnliche Gleichgewichtsrücksichten den Augenblick verbittern, wo die Politik des Hofes unserer Wahl ganz rein in diesen „allerfürtrefflichsten Grundsätzen“ handelt. – In dem Grunde Ihrer Seele muß diese auffallende Erscheinung erklärt werden können; also erklären Sie sich mit der Liebe, auf die ich Anspruch mache, erleichtern Sie mir die Correspondenz mit Ihnen, zu der ich mich stündlich aufgelegt fühlen würde, wenn ich nicht glauben müßte, Sie mit meinem politischen Idealismus zu verletzen.

Besser aber eilen Sie, kommen Sie, damit auch ich Sie noch hier genieße; denn lange werde ich es weder hier noch irgendwo sonst ohne meine Familie aushalten.

Das Wetter ist hier so gewitterhaft, wie es sich für den Pariser Himmel gehört. Die weiße Fahne auf den Tuilerien hängt in dieser tückisch stillen Luft schlaff herab; flammiges Morgengewölk, wie es Abendwetter anzudeuten scheint, schwebt darüber. Außer den Gittern und vor dem porcellanenen Triumphbogen bivouakiren und berlinisiren die Blücher’schen Römer. Die steinerne Chronik dieser ungeheuren thurm- und glockenlosen Stadt ist an sich schon bunt genug; nun laufen noch Bergschotten neben Kosaken und ungarischen Grenadieren auf den Straßen umher, dazwischen die Blasirtheit und militärische Unparteilichkeit der Nationalgarden. Kurz, es ist ein wilder und romantisch bewegter Hintergrund für große und ernsthafte Gedanken.

Ich könnte in einem kleinen deutschen Hause in der Mitte von Paris ein großer Schriftsteller werden. Auch weiß ich nicht, warum wir nicht alle hier leben. Ich bilde mir mit Freuden die Möglichkeit ein, daß Sie schon auf dem Wege seyn könnten, und dieser Brief vergeblich geschrieben wäre. <200:

Den 15.

Alle Anzeichen und auch Pfuels Versicherung (der als Commandant mehr à la portée ist) stimmen überein, daß der Widerwille gegen die Bourbons täglich wächst. Indeß das thut nichts. Die Alliirten können und dürfen einmal nicht anders handeln; werden die Bourbons nach drei Monaten wieder fortgejagt, so waschen wir unsere Hände. Wäre der König, nach dem Rathe Talleyrands, zu Mons geblieben, erwartend, daß die allgemeine Stimme sich erkläre, vielleicht wäre es besser; jedoch mir ist es lieber, daß er, weil er nun einmal nicht weiter kann, wenigstens consequent, wenn auch unglücklich bei seinem droit divin verharre. Adieu, liebster Gentz! Bollmann, der hier ist, grüßt Sie. Daß Blücher (unter seinen vielen Tollheiten) auch den pont de Jena wirklich sprengen lassen wollte, ist wahr; nur der russische Kaiser hat ihn zurückgehalten.

Der Ihrige

Adam Müller.