Briefwechsel

127.

Adam Müller an Pilat.

Sarrebourg, den 3. Juli 1815.

Wir rücken so rasch vor, daß die 15,000 Mann russischer Garden und andere Truppen, welche uns nebst 50 Kanonen eskortiren, bei der großen Hitze nicht weiter konnten, und heute ein Rasttag gehalten werden mußte, trotz dem russischen Kaiser, der wieder in Verzweiflung ist darüber, daß Blücher früher nach Paris kommt, als er. Der Vollständigkeit wegen verzeichne ich Ihnen noch einmal die zurückgelegten Marschstationen. Am 24. Juni Abends verließen wir Heidelberg und gingen nach Mannheim, am 27. Juni Abends von Mannheim nach Speyer, am 28. Juni Morgens von Speyer nach Rheinzabern, am 29. Morgens von Rheinzabern nach Weißenburg, am 30. Morgens von Weißenburg nach Hagenau, am 1. von Hagenau nach Zabern, am 2. Morgens von 2 bis 12 Uhr durch fürchterliche Defileen und Wege, welche der Generalstab erst hatte fahrbar machen müssen, auf Seitenwegen nach Sarrebourg, weil Pfalzburg, mit einer feindlichen Besatzung von zwei- bis dreitausend Mann, umgangen werden mußte. Der Kaiser macht alle diese Touren, auch die gestrige, so beschwerlich sie war, zu Pferd. Uebermorgen werden wir in Nancy seyn.

Kein Herder, keine Druckerei läßt sich sehen. Er hat in Mannheim einen Vorschuß von 200 # erhalten, und kommt nun nicht. Sie können denken, wie dieß meine Verwendung für ihn compromittirt, da der Fürst alle Tage nach dern Druckerei frägt.

Ueberall Ruhe, keine Insurrektion, keine Spur vom Kriege am ganzen Wege, überall der beste Empfang. Eine einzige kleine Bande Brigands soll vor sechs Tagen in diesem Departement umhergestrichen seyn. Wrede hat das Haus des Anführers schleifen lassen; man hörte nichts weiter davon. <189:>

Das Paket vom 26. habe ich mit größtem Danke empfangen; die Sendung merkwürdiger Zeitungsblätter ist eine große Wohltat, welche Sie mir erzeigen. Hudelist hatte den Fürsten über die Stimmung der Wiener allarmirt; deßhalb ist der anliegende, oder vom Fürsten Ihnen abgesondert zugefertigte Artikel für den Beobachter verfaßt worden. Es wird nie schaden können, wenn auch Sie ihn häufiger an die opinion publique erinnern, und ihn von Wien aus allarmiren. Er ist in der besten Disposition, darauf thätige Rücksicht zu nehmen. Desto leichter werde ich ihn bestimmen, überall, auch bei unwichtigeren Nachrichten, an den Beobachter zu denken.

Das, was in dem Artikel, welchen Sie heute erhalten, über den Plan des Feldzuges gesagt wird, ist wahr, nur mit dem Unterschiede, daß die Russen unter Barclay über Basel eindringen, und die Verbindung zwischen den Armeen des Oberrheins und von Italien bilden sollten, weßhalb auch die Hoflager dort hinüber verlegt werden wollten. Alle russischen Truppen hatten noch, als ich zu Heidelberg ankam (18. Juni), die Direktion auf Freiburg. Man glaubte den Mittel- und Niederrhein durch Mainz und Luxemburg hinreichend für den ersten Anlauf gedeckt, und wollte sich lieber auf der Basis des wohlgesinnten südlichen Frankreichs aufstellen. Die näheren Nachrichten von der Bataille von Ligny und den Unfällen Blüchers, welche am 19. und 20. im Hoflager einlangten, veränderten diesen Plan. Man glaubte Blüchern die Hand reichen zu müssen; daher ging Langenau selbst nach Basel, um die neuen Dispositionen zu treffen; die Reserve des Erzherzogs Ferdinand trat nun als wirkliches Corps ein, um das Intervall zwischen Frimont und Hohenzollern auszufüllen. Obwohl sich die Umstände so glänzend veränderten, so war das neue Arrangement unter den nunmehrigen Umständen nur um so besser und zeitersparender, da in diesem Augenblick das Hoflager mit Barclays Armee kaum über Freiburg hinaus seyn würde; es verliert niemand dabei, als etwa gewisse Damen, die den russischen Kaiser in Freiburg vergeblich erwarten. Daß Wellington durch die Erfolge in Italien bestimmt worden wäre, auf die Vereinigung mit Blücher zu dringen, se non e vero – Sie erkennen den Zweck des ganzen Aufsatzes. Uebrigens, liebster Pilat, belehren Sie doch gefälligst meine Frau, welche mir schreibt, daß die Preußen eine große Bataille gewonnen hätten. Sagen Sie ihr doch, wie ungefähr Lord Wellington diese Sache beurtheilen möchte. Indeß wird <190:> es immer augenscheinlicher, daß Deus afflavit &c. Der französische Bericht ist gut und fast wahr. Es ging mit Blitzesschnelle der ganzen Armee das Auge der Verzweiflung auf; nicht gerade das Gewissen erwachte, aber es war ein Glaubenssturz, die Entgötterung des militärischen Napoleon war in einem Augenblick entschieden. Die Zahl der nicht eroberten, aber verlassenen Kanonen beträgt wirklich über 300; Napoleons Armee hat ihrer nur 26 davon gebracht. Blücher aber hat bis auf den Moment, wo das Drauf und Vorwärts der Beine geltend gemacht werden konnte, einen Fehler über den anderen begangen.

Grouchy soll seitdem bei 20,000 Mann zwischen Soissons und Paris vereinigt haben. (Siehe extraits anliegend.)

Zeitungen haben wir keine; die Vorposten scheinen sich nicht sehr dafür zu interessiren. Jedoch soll das alles in wenigen Tagen auf einmal kommen. Nun bitte ich Sie, Hudelist ja von allem, was Sie erhalten, sobald als möglich in Kenntniß zu setzen. Varady, der, wie alle Kabinetsleute, mein dicker Freund geworden ist, läßt Sie herzlich grüßen. So der ganze Controlortisch, an welchem Sie den besten Namen zurückgelassen haben.

Frankreich macht von dieser Seite, bei so ausgezeichnet schönem Wetter, einen reichen, fruchtbaren und schönen Eindruck. Die Passage durch die Vogesen ist in hohem Maße pittoresk, und unser prachtvoller Zug, wo man ihn durch die Windungen eines Gebirgsweges, in etwas breiten Thälern stundenweit übersehen kann, wie gestern bei dem schönsten Aufgang der Sonne, macht einen unbeschreiblichen Effekt. Gestern sind nichtsdestoweniger einige Nachzügler in den Gebirgen ermordet worden.

Die Deputirten haben keinen der Minister gesehen; sie wurden durch untergeordnete Leute bearbeitet. Sie rühmten die Aufnahme, die sie bei Barclay gefunden hatten, im Contrast der hiesigen. Glücklicherweise war bei ihrer Abreise von Paris Napoleon II. von den Kammern proklamirt worden, so daß man ihnen zeigen konnte, wie bei den täglich veränderten Umständen in Paris sie nicht einmal für das Organ der vielleicht in diesem Augenblick herrschenden Macht gelten könnten.

4 Uhr Nachmittags.

Ich habe endlich die Akten der Negociation mit den Deputirten, die in Hagenau in den drei Stunden geführt wurde, wo ich nach Zabern <191:> schon vorausgegangen war, erhalten. Sie sehen aus der Annonce des Fürsten, daß sich die Sache etwas anders verhält. Ich glaube, daß es zweckmäßiger ist, Ihnen diese Anzeige zuzusenden: Sie werden sie, nach Gutbefinden, in der deutschen Uebersetzung publiciren. Die heute eingelangten Zeitungen vom 28., 29. und 30. kann ich Ihnen, da sich alle Welt darum reißt, nicht senden. Dafür erhalten Sie zur Benützung einen specifischen und gewissenhaften Auszug, den ich diesen Morgen auf der Kanzlei unter unendlichem Lärmen verfaßt habe. Den überaus interessanten Brief des Marschalls Ney kann ich Ihnen wahrscheinlich vor Abschluß dieses im Original beifügen. Das sind die Genugthuungen Gottes! Das sind seine Gerichte!

Adam Müller.