Briefwechsel

126.

Wien, den 30. Juni 1815.

Ich habe gestern Ihren unvergleichlichen Brief vom 24. erhalten. Ich finde keine Worte, um Ihnen auszudrücken, wie sehr Ihre Thätigkeit, Ihre Treue und Ihre wundervolle Superiorität in Ausführung dessen, was Sie übernehmen, mich in Erstaunen setzt und entzückt. Einen solchen Correspondenten gab es noch nie. Sie kennen meine tiefe Ueberzeugung von Ihrem ungeheuren praktischen Talent, welches in der That neben einem hochstrebenden Geiste und einer gewaltigen Phantasie, wie Sie sie besitzen, eine ganz außerordentliche, in diesem Umfange vielleicht einzige Gabe ist. Und doch wird mir in manchen Augenblicken bange, daß Sie es so, wie Sie angefangen, nicht werden aushalten können. Vielleicht rührt diese Besorgniß auch nur von der geheimen Unruhe her, die das Bewußtseyn eines großen Glückes oft begleitet; man denkt, irgend eine Tücke des Schicksals müsse doch im Hintergrunde lauern, um das Gleichgewicht zwischen Genuß und Leiden wieder herzustellen.

Bis zur Ironie merkwürdig war es mir, daß Sie, mitten unter diesen verdienstvollen Tagesarbeiten, nun auch noch ein Journal ankündigen. Da Sie mir weiter kein Wort davon schreiben, so erwarte ich noch irgend einen nähern Aufschluß über dieses portentose Faktum, welches mir fast eine <187:> Art von Scherz zu seyn scheint. Denn alles, auch das Größte, hat sein Maß, wie Sie jetzt einen solchen Plan realisiren könnten, übersteigt wirklich alle meine Begriffe.

Obgleich alles, was Sie uns bisher geliefert haben, äußerst lobenswerth war, so hat nun doch Ihr Brief an mich einen ganz besondern Reiz, und eine gewisse berauschende Kraft für mich. Es wird Ihnen am Ende gelingen, mir wieder ein lebhaftes Interesse einzuflößen für Manches, worüber ich völlig blasirt war. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, um zugleich meine innigste Dankbarkeit auszusprechen. Wie Sie freilich auf dem Heidelberger Schlosse in die Stimmung gerathen konnten, die Sie so göttlich schildern, fasse ich noch nicht recht, wenn ich so – – an Verschiedenes denke! Doch, daß Sie einmal in derselben sind, kann nicht ohne Einfluß auf mich bleiben. Die Welt durch Ihren Spiegel zu sehen, hat, bei aller meiner Halsstarrigkeit, immer etwas Unwiderstehliches für mich.

Ob ich gleich den Bericht von Fouché sehr wichtig finde, so theile ich doch nicht ganz Ihre Meinung darüber. Der Bericht von Caulaincourt hat mich weit mehr frappirt. Ich möchte fast glauben, daß Ihnen die Verordnungen und Artikel, die Fouché in den ersten Tagen des April publiciren ließen, mehr oder weniger entgangen, oder aus irgend einem zufälligen Grunde nicht ganz nach Verdient von Ihnen gewürdigt worden sind, denn mir scheint wenigstens, daß sein letzter Bericht jenen Artikeln an Stärke und Geschicklichkeit nachstehe.

In Ihren Sendungen concentrirt sich jetzt das ganze Interesse, welches ich an den großen Begebenheiten nehme. Die übrigen Briefe, die ich erhalte, sind unbedeutend; und aufrichtig gesagt, wenn Sie so fortfahren, wie bisher, thue ich gerne auf alle andere Correspondenz Verzicht. Wenn ich hievon den Fürsten selbst ausnehme, so geschieht es bloß, weil es ein Herzensbedürfniß für mich ist, von Zeit zu Zeit von Ihnen geschrieben zu lesen, daß Er mir wohl will. Denn wie könnte ich sonst unter den jetzigen Umständen verlangen, daß Er mir Daten oder Reflexionen mittheilte!

Ich wünsche Ihnen Gesundheit und besseres Wetter, als wir hier haben. Schon seit dem ersten Viertel am 14. erhob sich ein gewaltiges Brausen in unserer Luft, und mit dem Vollmonde am 20. sind kalte Regengüsse eingetreten, die seitdem ohne Unterlaß fortdauern. Ich kann <188:> kaum im Garten vor meinem Hause spazieren gehen, und muß sei fünf oder sechs Tagen einheizen lassen.

Leben Sie wohl, mein theuerster Freund, und denken Sie zuweilen, was Sie mir sind, wie wohlthätig Sie auf mich wirken, und wie ich von Dankbarkeit gegen Sie durchdrungen bin.

Gentz.