Briefwechsel

124.

(Nach Paris.) Wien, den 27. Juni 1815.

Sie haben Ihre neue Laufbahn glorreich eröffnet, mit vortrefflichen Berichten und Bulletins, und mit noch vortrefflicheren Briefen. Ich wußte es ja längst, daß Sie ein ganzer Kerl sind, und in jedem Verhältnisse der Welt als solcher, sobald Sie es wollen, erscheinen müssen. Ich sehe Sie noch auf außerordentlichen Höhen thronen!!–

Ihre Briefe an Pilat nehme ich als auch an mich geschrieben, und verlange daher von Ihnen weiter nichts. Sollte aber einst – an einem schönen, sichern Tage – wenn ich ruhig und einsam in Weinhaus[1] sitze und über mein schmähliches Glück nachdenke, urplötzlich ein großes dickes Paket von Ihnen – ein enge geschriebener, an alle Ränder streifender, von wichtigen Datis – und was weit mehr ist, herrlichen Reflexionen strotzender – Privatbrief – oder gar ein dergleichen Privatjournal – mich überraschen, so können Sie zum voraus fest versichert seyn, daß Sie mir eine der frohesten Stunden meines Lebens bereiteten.

Von mir wäre es thörichte Prätention, Ihnen zu schreiben; denn was kann ich Ihnen jetzt darbieten? Es ist also genug, daß ich Ihnen von Zeit zu Zeit sage, wie hoch ich Ihnen alles, was Sie geben – auch schon Ihre gewöhnlichen Briefe an Pilat – anrechne, welch ein immer gleich lebhaftes, eigentlich immer steigendes, zärtliches Interesse ich an Ihnen nehme, und an welche Stelle Sie in meinen Gedanken und in meinem Herzen behaupten. Alles andere ist nur Nebensache; das ist wesentlich, gediegen, und ewig. Leben Sie wohl.

Gentz.