Briefwechsel

120.

Insbruck, 30. September 1814.

Mein verehrter Freund.

Einige Zerrissenheit Ihres gütigen Briefes kann ich allerdings nicht verkennen, nichts destoweniger war er mir höchst erfreulich. – Meine Lage ist die alte; ich glaube viel und immer neues Verdienst zu dem alten zu fügen, während sich die Aussicht weiter und weiter verliert. Die Unruhen in der Schweiz, die Organisation Tyrols, die Intriguen von Italien geben viel zu thun. Bis nach Neapel und Genf herab entgeht mir nicht leicht eine interessante Person, und die Bekanntschaft mit diesen merkwürdigen Ländern werde ich nie bereuen. Ebensowenig die Kenntniß unserer Monarchie, die an keiner andern Stelle (Ihre unschätzbaren Mittheilungen mit eingerechnet) sich mir bis in die kleinsten Nüancen der Verfassung mit so ungewöhnlicher Klarheit darstellen konnte, als da, wo es darauf ankommt, das wilde Fleisch von Tyrol und Italien nicht etwa wegzubeizen, sondern in den großen Körper hinein zu kuriren. Die interessantesten Arbeiten fallen mir durch eine natürliche Schwerkraft zu; ich möchte, der Lohn nähme dieselbe Richtung.

Rom hat mich viel beschäftigt; es ist ein wehmüthiger Anblick, das viele gute, und doch vergebliche zu sehen, was dort geschieht. Eigentlich gehörte ich in die Commission für die Reform der geistlichen Convente hinein. Wäre der alte heilige Mann der Welt mächtig, wüßte er, was seine Jesuiten antworten sollten, wenn ein gegensätzischer Gelehrter sie über ihre erstarrte und abgestandene Philosophie ins Gebet nähme, so hätte keine Macht der Erde den Consalvi von dem engen Congreß ausschließen können. Transeant cum ceteris!

Wie ich in meiner tiefen Einsamkeit Ihrer, mein Freund, mit Thränen gedenke! Das größte Kraftgefühl in mir äußert sich unwillkürlich <177:> in einer heftigen Sehnsucht, in einem Bedürfniß nach Ihnen. Die Berge und das durchbohrende Grün dieser letzten vierzehn überreinen Herbsttage erinnern mich stündlich, daß Sie im nächsten Jahre um dieselbe Zeit hier seyn wollen. Dieß Projekt lassen Sie nicht fahren! Es ist in unserer Verbindung etwas wie bei den Scheitellinien in der Geometrie: wir sind über den Nullpunkt hinaus und nach der andern Seite weitet sich der Raum, den wir gemeinschaftlich umspannen, in die Ewigkeit aus, wohin wir gehen. Wenn ich einigen Stolz fühle, so ist es der, vieles zu besitzen, was Sie bedürfen, und daß Sie mich bei allem Ihrem größeren Werthe doch eigentlich nicht lassen können.

Der Bote von Tyrol geht mich so wenig an, daß ich ihn, aufrichtig gesagt, seit vielen Wochen nicht gelesen habe. Indessen werde ich ihn bei Gelegenheit seines instruktiven Unsinns wieder in Aufsicht nehmen. Nur erwarten Sie keine Zeile von mir selbst darin. Courier, Weckly Messenger, Morning Chronicle, Edinburgh und Quarterly Review liegen unter den Akten aller Branchen unserer kleinen Administration und den von mir eingeführten großen italienischen Polizeiregistern wohlriechend auf meinem Kanzleitische. Außer diesen, den französischen Blättern, der Allgemeinen Zeitung, dem Beobachter, der Wiener und Berliner Zeitung lese ich nichts, weil es mir an der physischen Zeit gebricht. In den späten Abendstunden lese ich auf Ihre Empfehlung meiner Frau recht bürgerlich den Zauberring vor.

Einen eigenen und doch immer anregenden Eindruck machen die preußischen Namen Hardenberg, Stein und Stägemann in Ihrem Briefe. Wiesel war in Inspruck, von Jahren und Schicksalen etwas abgekühlt, sonst frech und geistreich wie immer. Die Gräfin Lanskoronska und Wartensleben werden die Galanterie meines Polizeibureaus zu rühmen wissen. Was aufs entfernteste Sie selbst berührt, mein liebster Gentz, kann mich, wie die Abwesenheit dieser Frau, in große Bewegung setzen.

Leben Sie wohl und schreiben Sie mir auch unzerrissene Briefe.

Ihr

Adam Müller. <178:>