Briefwechsel 1814. 118. Trient, 7. Februar 1814. Mein liebster und verehrtester Freund! Es versteht sich von selbst, daß niemand Sie, wenigstens in Ihren öffentlichen Arbeiten vom Manifest bis auf die Deklaration über die Schweizer Angelegenheiten, mit größerem Eifer verfolgt hat, als ich. Je mehr und je aufrichtiger ich Sie in diesem neuen Akt Ihres reichen Lebens bewundert habe, um so mehr ist es mit dem geheimen Regret geschehen, daß ich von Ihnen, von dem Gentz selbst, nur das lesen konnte, was ich mit ganz Europa teilen mußte. Sie haben Ihr Werk vollendet: Sie haben die seltene Genugthuung gehabt, daß das erste Kabinet von Europa sich zuletzt mit der Gesinnung identificirte, welche durch zwanzig Jahre so sehr und so ausschließend die Ihrige war, daß Sie nach Ihnen genannt werden kann. Gott hat Ihrer Seele die Ruhe und Ihrer Rede das Maß und den Anstand gegeben, um die größten und menschlichsten Ideen in Staatsschriften auszudrücken. Sie haben dem Ereigniß einen Styl gegeben, die Würde und den guten Ton von Alteuropa aufrecht erhalten, und dem ächten Christen wie dem klassischen Heiden gefallen. Was alles würde ich mit Freuden dafür hingeben, Sie jetzt zu sprechen! Da der Erziehungstraum lange vorüber ist, so sehen Sie jetzt gewiß mit Billigkeit auf mich zurück. Da die Welt am Rande der Verzweiflung stand, wurde die Sache projektirt, kurz vor dem russischen Kriege, wo es keine Wirklichkeit, keine Gegenwart gab. Nachher Sie kennen <174:> ja und dulden meinen Eigensinn, der, lange nachdem ich Ihnen schon recht geben mußte, und bis in das verwünschte Schloß mit dreißig mir auf Leben und Tod angebundenen lebendigen Seelen zusammenzufallen drohte, unermüdet aushielt. In dem Augenblick, wo ich über den Groschen grübelte, der mich über den morgenden Tag weghelfen sollte, trat Roschmann, den ich nie gesehen, in mein Zimmer. Wenige Tage darauf war ich in Tyrol, und meine heldenmüthige Frau lösete allein das ganze Gewebe, worin ich mich verstrickt hatte. Roschmann erkennt die Opfer, die ich ihm gebracht. Außer uns beiden war niemand in diesem chikanösen Winkel; der Kaiser, Metternich und Baldacci sind zufrieden; ob ich dabei genannt wurde, gilt mir gleich. Aber in meiner tridentinischen Einsamkeit, und aufgeregt durch einen gewissen wehmüthigen Eindruck, den dieser große Augenblick auf mich macht, meldet sich ein lebhaftes Verlangen der Mittheilung, da wohl so stumm als ich, so in sich gekehrt (unter den unruhigsten Beschäftigungen) niemand diese Zeit verlebt hat. So fand ich Ihren Namen unter den Fremden in München; ich glaube es war im Hahn. Ich empfand ein Heimweh nach Ihnen wie nach dem eigentlichen vaterländischen Boden meines Geistes; ich fühlte, wie sehr wir zusammen gehören, und daß es doch möglich sey, daß auch Sie mitunter meiner bedürfen könnten, und daß Sie mich, wie ich jetzt bin, auch mit meiner Mathematik und mit meiner katholischen Gelehrsamkeit dulden würden. Die neuen Menschen und alles Genie, was dieser erhebende Augenblick auflockern und aufregen muß, können den ruhigen, bequemen Genuß eines so reichen und abgeklärten Geistes, wie des Ihrigen, nicht ersetzen. Und bei dieser Fülle kannte ich mich aus in Ihnen: es fand das Paradoxeste meiner Denkart seine Stelle und seine gelinde Ermunterung. Was soll man mit den neuen Menschen, die nichts ahnden von dem, was uns seit funfzehn Jahren beschäftigte, verständigte, bekümmerte, die vielleicht fühlen, wie man zu Gott, aber nicht wie man langsam durch das schwere Jahrhundert zu dem Reiche Gottes gelangt! So, mein verehrter Freund, meldet sich das Bedürfniß, da es gerade für immer versagt ist. Eben jetzt ist der Bericht über mich an den Kaiser abgegangen: ich bleibe wahrhaftig in dieser Provinz. Wenn Sie also nicht der Gletscher und meinetwegen Tyrol selbst besuchen können, so erfreuen Sie mich wenigstens mit einigen wohlthätigen Worten des <175:> Andenkens, und besuchen Sie an dem ersten freundlichen Tage meine Frau und meine Kinder, meinen Reichthum und mein Glück. Adam Müller. |
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