Briefwechsel 115. Da ich eben Ihre letzte Vorlesung noch einmal mit großer Andacht gelesen habe, und sie für das Vortrefflichste erkläre, das mir noch je von Ihnen zu Gesicht gekommen ist, so muß ich mir zugleich die Freiheit nehmen, einige sehr unmaßgebliche, fast demüthige Anfragen und Bemerkungen darüber vorzutragen. 1) Was meinen Sie denn eigentlich mit der glücklich gelungenen Ausbildung derWiener Theater durch bloß ökonomische Direktionen? So, wie es hier steht, ist Braun mit einbegriffen, dem Sie doch wohl gewiß keine Lobrede halten wollten. Ich vermuthe wohl, daß Sie die Vorstadttheater in Gedanken hatten. Aber auch diese sind doch so unendlich schlecht, daß es mir unmöglich scheint, ihnen irgend einen Werth beizulegen. Das Beispiel scheint mir unglücklich gewählt. 2) Daß Sie Fichtes Leben Nikolais das Meisterstück deutscher Polemik nennen, ist schmerzhaft für mich; noch mehr aber, und wenn ich es wagen darf, so zu sprechen vor mir unbedingt falsch, daß Sie <171:> 3) es für unmöglich erklären in der Bewegung dieses Kampfes gewisse fixirte Begriffe von Urbanität zu schonen. Dieß hätte ich, als A. Müller, wenigstens nie geschrieben, wenn es mir auch begegnet wäre, für mich selbst es zu denken, oder unter vertrauten Freunden es zu sagen. Es ist doch offenbar nur ein Commentar zu dem, was die neuen Cyniker die göttliche Grobheit nennen. 4) Was mir gegen Ihre weltumfassende Toleranz immer noch einigermaßen aufstößt, ist die Furcht, daß, wenn es so fortgeht, am Ende nichts mehr bleibt, das eigentlich gehaßt oder auch nur rechtschaffen verachtet werden dürfte. Hiermit geht mir das Leben aus. Wenn alles in dem Sinne, wie Sie es zuweilen nehmen, nothwendig ist, auch eine falsche Form des an sich Trefflichsten (wie z.B. die Methode in Ihrem Gegensatzbuche), so hat ja offenbar alle Kritik ein Ende, und es bleibt nichts weiter übrig, als alles so hinzunehmen, wie Gott es gibt. Einige sanfte Erläuterungen hierüber (denn ich meine es wahrhaftig sehr gut), erbitte ich mir diesen Abend. Den 21. Februar 1812. Gentz. |
||
Copyright by Institut für
Textkritik, Heidelberg © 2005 |
||