Briefwechsel

110.

Stellen Sie sich vor, daß ich gestern von Humboldt die traurige Nachricht vernehmen muß, daß mein Bruder Heinrich, nach einer kurzen, kaum dreitägigen Krankheit, gestorben ist!

Ist es nicht eine sonderbare Fügung, daß während der neun Jahre, die ich von Berlin abwesend bin, fürs erste meine Frau und ihre ganze Familie bis aufs letzte Haupt aussterben, und außerdem erst meine Mutter, dann mein Vater, nun einer meiner Brüder mit Tode abgehen mußte? Auf den Tod meines Vaters war ich natürlich lange vorbereitet; aber die gestrige Neuigkeit hat mich wirklich aufs gewaltsamste afficirt.

Was ist zu machen? So lange man selbst noch lebt, muß man es nun immer schon so forttreiben, als sollte man ewig leben. Indessen ist das Gefühl der Sicherheit im Leben, das längst bei mir einen Stoß erhalten hatte, durch dieß plötzliche Hinsterben eines Jüngern von meinem Blute heftig erschüttert worden. Mein Wohlgefallen an der Welt ist ebenfalls in hohem Grade erloschen. Kann dieß nicht wieder geweckt werden, woran ich doch stark zweifle, so ist das Abwärtssteigen unvermeidlich. – Doch, was soll ich Sie weiter mit diesen trüben Betrachtungen quälen? Ich schrieb Ihnen bloß, weil ich nicht gewiß weiß, ob <168:> ich Sie heute sehen werde, und Sie doch nicht in der Unwissenheit über einen Vorfall lassen wollte, der mich so lebhaft ergriffen hat.

Gentz.