Briefwechsel 104. Prag, 21. Februar 1809. Ihr letzter Brief, mein vortrefflicher Freund, enthielt so viel Schmeichelhaftes für mich, daß ich mich gewiß aufs lebhafteste getrieben fühlte, ihn zu beantworten, und zwar nach Würden zu beantworten. Ich nahm mir vor, zugleich einige meiner Gedanken über Ihre köstlichen Vorlesungen vor Ihnen zu entwickeln. Die Last der Gegenwart, die schwer auf mir lag, nöthigte mich, dieses Projekt von einem Tag zum andern zu verschieben. Jetzt ist es zu spät ich reise heute Abend nach Wien. Die größte aller Epochen bricht an. Freude und Schrecken, Hoffnung und Angst kämpfen aufs wunderbarste in meiner Seele. Wenn ich denke, daß ich in einigen Tagen in Wien seyn werde, daß dort mir alles zur Anschauung kommen in den ersten 24 Stunden Gegenwart <157:> und Zukunft klar vor mir stehen wird wenn ich mir diesen Moment, begleitet von dem plötzlichen Wiedersehen einer ungeheuren Menge jetzt doppelt interessanter Menschen begleitet von so viel andern großen, vielleicht ganz neuen Verhältnissen recht lebhaft vorstelle, so scheint es mir zuweilen, ich würde mit mehr Muth auf eine feindliche Batterie, als über die Donau gehen. Mein Schicksal ist weniger als ein Sandkorn in dem großen Schicksal der Welt, welches nun auf Jahrhunderte fixirt werden muß. Gleichwohl, so wenig es seyn mag, hängt es denn doch auch ganz von den Resultaten der nächsten 6 oder 8 Wochen ab. Ich habe mehr als eine dieser Krisen erlebt und überlebt. Der 1. Oktober 1806, wo ich von Dresden nach Naumburg ging, hatte einige Aehnlichkeit mit dem heutigen Tage. Aber gegen das Gewicht der jetzigen Stunde scheinen mir doch alle vorhergehenden nur federleicht. Ich werden tausendmal an Sie denken. Ihr Geist wird gewiß eben so oft bei mir seyn. Sehen wir uns wieder, so wird es unter den glücklichsten Umständen, die dann gewiß auch für Sie, so wahr ich lebe, glücklich seyn sollen, geschehen. Ist hingegen auch dießmal der Sieg der Hölle beschlossen, so möchte der Abschied, den ich heute von Ihnen nehmen, wohl fürs Leben gelten. Grüßen Sie den Dicken und wen Sie sonst lieben. Schreiben Sie mir nach Wien was Sie wollen, es wird mir Erquickung und Labsal seyn. Und Gott erhalte Sie für uns alle. Gentz. <158:> |
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