Briefwechsel

98.

Teplitz, 27. Juni 1808.

Sie haben zwar nicht Wort gehalten, mein lieber Müller, doch vergebe ich Ihnen, weil Sie wahrscheinlich in Geschäften und Unruhe stecken. <148:> Indessen ist wieder gewiß, daß eine bloße Bücherabsendung – ich thue allenfalls auf Briefe einstweilen Verzicht – sehr wenig Zeit erfordert; und wenn auch nicht alles bereit ist, so wird es doch einiges seyn. Besonders bin ich nach der Schrift von Brandes, von der man jetzt so viel spricht, und nach dem zweiten Theil der Pallas begierig. Von dem Manuscript des Adelsbuches mag ich nicht einmal sprechen.

Die Reden von Fichte, die ich Ihnen hier nebst dem Buchholtz zurücksende, habe ich mit unendlichem Wohlgefallen gelesen. So hat mich lange keine Lektüre getäuscht. Ich glaubte (frevelhafter Weise), Sie hätten bloß so viel Rühmens davon gemacht, weil Sie einige Andeutungen auf Ihre Lieblingsideen darin fanden. Der Anfang mißfiel mir; kurz – „ich ging heraus, um zu fluchen, und siehe, ich mußte segnen.“ Von der vierten Rede an steigt das Interesse unaufhörlich. Sollte manches auch zuletzt nicht Stich halten, das bleibt immer wahr: so groß, tief und stolz hat fast noch Niemand von der deutschen Nation gesprochen. – Als ich nun vollends an S. 270 kam, gerieth ich in den höchsten Enthusiasmus. Meine Noten, die ich nachzusehen bitte, werden davon Zeugniß geben. Es scheint mir, daß Sie erst bis ungefähr S. 290 gekommen sind. Lesen Sie ja alles bis ans Ende, Sie werden noch auf viele überaus vortreffliche Stellen stoßen. Höchst merkwürdig war mir oft die auffallende Uebereinstimmung mit Ihnen (z.B. S. 383). Es muß doch in den eigentlichen, ächten Tiefen der Menschheit zuletzt alles zu Einem Resultat führen; wie könnten sonst Köpfe, die von so durchaus verschiedenen Anfangspunkten ausgehen, wie Sie und Fichte, einander endlich wieder, sogar in einzelnen entscheidenden Aeußerungen und Worten begegnen? – Eine der respektabelsten Seiten dieses Buches ist der seltene Ernst, mit dem alles gemeint und gesagt ist; wirken wird es daher gewiß, und mehr als einen wird und muß es begeistern. So erzieht das Unglück unserer Zeit uns noch tüchtige Gehülfen und Werkzeuge, selbst aus denen, die wir fast gänzlich schon aufgegeben hatten! Denn wer hätte geglaubt, daß der Verfasser der „Beiträge zur Beurtheilung der französischen Revolution“ – des „geschlossenen Handelsstaates,“ ja selbst aller früheren Berliner Vorlesungen – einst solche Reden liefern würde!

Eine durchaus entgegengesetzte, aber gleichfalls höchst angenehme Sensation hat der zweite Theil des Buchholtz in mir erweckt; er hat mir diesen falschen Götzen in ein Häufchen Staub, oder besser, Koth, <149:> aufgelöst. Kaum begreife ich mehr, wie diese Bestie mich einen Augenblick schrecken konnte. Ich weiß nun selbst nicht, hat das bloße weitere Fortspinnen seiner dürftigen Weisheit, hat der Muth und die siegreiche Kraft, mit welcher Sie ihn zu Boden geworfen, oder hat die innere Erbärmlichkeit dieses neuen Produktes es bewirkt; aber ich konnte mich während der ganzen Lektüre eines beständigen Lächelns und oft Lachens nicht enthalten, über die Art von Furcht, die mir einige der früheren Produkte dieses Menschen und selbst noch der erste Theil dieses gegenwärtigen Buches eingejagt haben. Ich hoffe, Sie werden ihm nächstens den Gnadenstoß geben; und wenn Sie sich nun einmal mit ihm befassen, so vergessen Sie doch ja einen flüchtigen Blick auf die unendlichen Plattitüden dieses zweiten Theiles nicht!

Gentz.