Briefwechsel

96.

Den 1. Juni 1808.

Madame Staël habe ich gesehen, Sie ist mir allerdings eine bedeutende Erscheinung, hoffentlich Ihnen auch. Da ist wirklich südlicher Tumult des Bluts, Geistesbeweglichkeit und Sicherheit vor allem Altwerden: dieß ehre ich; man müßte wenig von Ton, Blick und Empfindung verstehen, um nicht zu fühlen, wie ihre Natur, welches das Schönste ist, vom eigentlichen Leben erweicht und vom Leiden durchschmolzen ist: dieß liebe ich. – Könnte ich ihr einiges von ihrem Selbstbewußtseyn und von ihrer – ich möchte sagen – beständigen Selbstzeugenschaft hinwegnehmen, so würde ich auch sagen, sie wäre weiblich. – Mir, der ich <146:> weder Fisch noch Fleisch, weder Gelehrter noch Gesellschafter, noch beides zugleich bin (wenn ich mich mit Ihnen vergleichen will), wird jede Virtuosität und alles Brillante innerlich sauer; wie sich mein Geist gegen die Conversation in einer fremden Sprache sträubt, kann ich vollends nicht überwinden, und so kann ich denn ihr nicht genug gefallen, daß sie mir noch mehr gefallen möchte, als ich es hier beschrieben. C’est l’homme le plus intéressant que j’ai vu en Allemagne, sagt sie von Ihnen, nicht etwa zu Ihren Freunden, sondern zu ganz fremden Menschen. – Adieu, mein Freund! Ueber unser baldiges Rendezvous nächstens ein Mehreres.

A. H. Müller.