Briefwechsel

94.

Dresden, 30. Mai 1808.

Ihr Brief ist eine königliche Belohnung des geringen Verdienstes, welches ich mir um die Pallas erworben. Was bei seiner Ankunft und Lesung von mir empfunden, wie Ihrer mit Rührung und fast Selbstvergessenheit gedacht worden, würde sich schwer sagen lassen. Die Illusion liegt, wenn irgendwo, so in der Vaterschwäche für mich und meine Arbeiten, gewiß aber nicht in der Meinung von Ihrer Vaterschaft, denn <142:> Sie müssen ja diesen Schriften die Familienzüge eingegraben finden. Ihr vortrefflicher Rath wegen meiner Widerlegung des Buchholtz wird nicht nur acceptirt, sondern er ist auch schon seit drei Monaten im Voraus befolgt; ein solches Buch ist schon großentheils geschrieben und sollte stückweis der Pallas einverleibt werden. Die einzige damit vorzunehmende Veränderung ist ein Hinüberwenden des ganzen frei behandelten Gegenstandes auf den Angriff des Buchholtz; eine Herzbeengung, der man wohl nicht wird ausweichen können. Indeß bin ich zu jedem Opfer bereit, vornehmlich um Sie zu überzeugen, daß es mit meiner Hartmäuligkeit so viel nicht auf sich hat, vornehmlich wenn Sie die Zügel übernehmen wollen. – Die Umstände drängen mich, und bin ich auf etwas stolz, so ist es auf den Gleichmuth, den ich gewonnen, unter wirklich starken Gemüthsbewegungen ruhig zu denken und zu schreiben; an einem der finstersten Tage, wo ich spät in der Nacht vom Himmel eine Satisfaktion für allzu gehäuften Schmerz erflehen wollte, kam sie gegen Mitternacht noch an: ich erhielt Ihren herrlichen Versöhnungsbrief und wünschte nichts weiter. Der gestrige vollendete den Genuß eines schönen Tages; wir hatten die erste Spazierfahrt in diesem Jahre gemacht, in Tharand uns vielfältig Ihrer erinnert, und uns getröstet, ein so theures Haupt in der Welt zu wissen. Halb eilf Uhr kam die treue Sendung unsers Freundes B. B. und bekräftigte alle Empfindung, alles Vorgefühl, doppelt werther Freund, in Geist, in Blut und in Stärkungsworten.

Glauben Sie mir, mein Freund, meinem Leben steht ein großer praktischer Moment bevor, der, wo zur Kirchenvereinigung geschritten werden wird. Zu der Opposition, die dann nöthig seyn wird und nützlich, denn in Sachen des Geistes wird auch der Geist eine Stimme haben, mich im Stillen historisch zu waffnen, wie ich philosophisch schon gewaffnet bin – darin ruhen alle Wünsche meines Lebens. So könnte ich der Welt etwas werden; denn sich selbst ist man schon genug, sobald man nur von einem erkannt worden, und empfunden worden; mich für meine Hand haben Sie schon zufrieden gestellt durch die nun unerschütterliche Ueberzeugung, daß wir uns nicht verlieren können. Aber die Sache Roms wird an die Reihe kommen, und mir werden die Hände vielleicht gebunden seyn. – Ich werde Ihnen baldigst wieder schreiben und alle Merkwürdigkeiten der Buchhändlermesse schicken, wenn Sie mir nur sagen wollen, was Sie schon haben. So erfolgt Faust, Pallas <143:> und Phöbus &c. Robinsons reports habe ich nicht, nie gehabt, noch auch nur in dem berühmten viel durchwühlten Breslauer Koffer gesehen. Mich dünkt, sie waren schon in Ihrer Wiener Bibliothek; im Koffer waren Maxwells eleven reports, aber nichts von der Court of Admiralty; jene stehen zu Befehl.

Indem ich dieses schreibe und Ihnen noch manches Tiefgefühlte über Ihre großmüthigen Anerbietungen und trefflichen Vorschläge sagen will, erhalte ich Ihr Schreiben durch Madame de Staël nebst einem Einladungsbriefe derselben. Durch die Artigkeiten dieses Billets sehe ich ganz deutlich die unermüdliche Güte des Teplitzer Freundes hindurchschimmern; indeß wissen Sie, wie mich die französische Conversation genirt, ich habe nie einsamer gelebt, als etwa seit einem halben Jahre, und so reißt mich dieß Evenement ganz aus meiner stillen trüben Lage heraus. Ich habe mich für heut durch Abwesenheit entschuldigen lassen, morgen früh aber muß ich zu ihr. Es ist sehr fatal, nicht unangenehm, aber unbequem.

Schlegels Buch über Indien habe ich gelesen, legen Sie es mir aber nicht als Härte oder Widerspruchsbeflissenheit aus, wenn ich Ihnen sage, daß dieß Buch mich nicht ganz befriedigt. Bei Ihnen, liebster Gentz, an Ihnen habe ich sagen gelernt von Burke, daß er um des Allerhöchsten willen vieles vergeben und übersehen, ja in erhabener Zerstreuung gar nicht wahrnehmen mochte: so sind Sie! Wie leicht, und wie gerecht besticht Sie der lobenswerthe, dem Christenthum ergebene und nun gar mit feierlichen Schritten bethätigte Sinn! Zumal da, wo Sie, wie hier, ungemeines zu erwarten berechtigt sind. Es versteht sich, daß mir der achtungswürdige Fleiß, die vielen glücklichen Hypothesen besonders im ersten, der Grammatik gewidmeten Theile, und dann die bescheidene Rücksicht auf die Leute hinter dem Berge, wie Ihnen, wohlgefällt. Indeß wird denn doch etwas zu sehr um den Berg herumgegangen. Die indischen Religionssysteme complimentiren den Herrn Christus, sie umflattern ihn, aber sie schließen sich nicht an. Das einzig werthe und würdige an diesen schönen Urformen der Religion, die erst den letzten Geschlechtern der Menschen wieder klar seyn werden, ist für uns – ihr Verhältniß zu Christus. Ich frage Sie, ob dieß, ich sage nicht ausgesprochen, auch nur angedeutet ist? Daß man uns von den Urvölkern der Erde edlere Begriffe beibringt, als die nach Reisebeschreibungen construirende Aufklärung, ist löblich und verdienstlich. Aber was soll uns die Adoration des dunkeln, geheimnißvollen <144:> Ursprungs, ehe wir nicht auf unsern klaren, tiefverständlichen Herrn und Meister in Leben und Tod bauen? Allenfalls, wie der Odem von Indien einfloß in den markigen, prometheischen Körper des Abendlandes, damit die Welt für Christum und die Offenbarung reif würde, ist der Entwicklung werth, und unsern Einsichten, den Fortschritten unserer Gemüthskraft allgemach angemessen. Ueber Emanation, Pantheismus und Sabäismus, und alle die Planeten, welche sich um die Sonne der christlichen Religion drehen, lassen sich, ich bin überzeugt und werde überzeugen, ganz andere, tiefer beruhigende Erkenntnisse aus der Fülle einer ihrer selbst mächtigen Brust schöpfen, als sich im Schlegel’schen Buche auf der Spindel des Zweifels und ängstlicher Kritik aus den respektabeln Urkunden haben herauswinden lassen. Immer ist bei Christo der Schlüssel, den man erst haben und halten muß, bevor sich ein Grab der Vorwelt und überhaupt irgend ein Heiligthum der Erde aufthut. Gegen den Styl des Buches ist nichts einzuwenden, wie auch gegen die Nützlichkeit, Fruchtbarkeit und Erhabenheit der Beschäftigung.

A. H. Müller.