Briefwechsel 92. Teplitz, 29. Mai 1808. Frau v. Staël, mit der ich gestern hier einen überaus merkwürdigen Tag verlebt, und trotz aller Verschiedenheit der Ansichten über einige Hauptpunkte, eine große Freundschaft gestiftet habe, wünscht, da sie acht Tage in Dresden bleiben wird, Sie zu sehen. Ich habe es ihr versprochen, und Sie können, müssen, dürfen und sollen mir kein Dementi geben. Von der Leichtigkeit des Umganges mit ihr können Sie sich kaum eine Vorstellung machen; in einer halben Stunde werden Sie so mit ihr seyn, als hätten Sie sie Jahre lang gekannt. Ich fürchte das Blitzen, die Saillien ihres Geistes, eine Gattung, die ich, wie Sie wissen, nicht vorzüglich liebe. Im Gegentheil habe ich sie über die Maßen flüssig, klar, bei der Stange bleibend, geordnet, zusammenhängend groß, zum Sprechen einladend, wie noch keine Frau auf der Welt gefunden; es scheint Einem, man könnte eine Ewigkeit mit ihr durchsprechen. So ist sie, als Erscheinung, und dieß kann Ihnen genügen. Was sie übrigens für sich ist, überlasse ich Ihnen zu bestimmen. Sie kennt Ihre Aufsätze über die Corinna; klagt bloß darüber, daß sie sie etwas dunkel und mystisch gefunden; ich habe ihr, ohne Weiteres, versichert, daß Sie der erste Kopf von Deutschland sind. Sie wissen also, wie Sie sich zu benehmen haben. <139:> Schlegel, der ebenfalls eine große Idee von Ihnen hat, ist sehr verändert, sehr kultivirt, gesellig, gesprächig, gewandt; es ist auch noch Simonde Sismondi mit ihr, der aber erst in einigen Tagen nach Dresden kömmt. Unser Quatuor von gestern Abend war so interessant, daß ein Geschwindschreiber gewiß kein schlechtes Buch daraus gemacht hätte. Adieu. Führen Sie sich hübsch artig auf! Gentz. |
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