Briefwechsel

89.

Dresden, 14. März 1808.

Flach finden Sie diese Marquise von O.? und ich könnte lange nach Worten suchen, um dieses ganz unbegreifliche, an viel weniger vortrefflichen Lesern noch unbegreifliche Urtheil zu bezeichnen. Womit hat der Phöbus solche arge Mißhandlungen gerade von Ihnen verdient? Denn Kleisten kann es wohl nicht weiter afficiren, da Styl und Leben dieses Dichters, und sein unerbittlicher Muth, und seine vielleicht noch allzuschroffe Erhabenheit keinem Blinden noch Geblendeten verborgen bleiben können. Finden Sie vielleicht auch Reminiscenzen von Iffland in dieser Novelle, wie es einigen Dresdener Beurtheilern begegnet ist? – Also vermöchte die moralische Hoheit dieser Geschichte nichts über Sie, der Sie doch auch das Leben von keiner flachen Seite kennen gelernt, und durch die Apostasie vom Buchstaben der Moral hindurchgedrungen sind zur Erkenntniß der himmlischen Mächte, welche nur durch ein gewaltiges, vom Vaterhause forttreibendes Schicksal, oder durch Schuld und Verbrechen entbunden werden? – Und Sie, leichtbeweglicher Freund, hätten der Thränen nicht nur sich enthalten, sondern wären überhaupt kalt geblieben da, wo die Marquisin sich mit den Kindern in den Wagen wirft? – Aber nicht bloß wegen moralischer, noch so erhabener Richtung dieser Geschichte, nicht bloß wegen Herzensergreifung und königlicher (im Gegensatz der gemeinen natürlichen und pöbelhaften) Wahrheit – sondern wegen der unvergleichlichen Kunst in der Darstellung habe ich darauf gedrungen, daß schon das zweite Heft damit geschmückt, und meine kleinen Arbeiten durch seine Gesellschaft erhoben werden sollen. Kleine Arbeiten, denn mein Gemüth ist großem, und auch den künftigen viel größeren Arbeiten Kleist’s gewachsen, aber sagen kann ich es nicht. An Muth der Gedanken und an Umsicht des Geistes weiche ich nicht, aber an Muth der Stimme und der <134:> Worte, an Resignation des Lebens und bildender Kraft erkenne ich ihn für meinen Meister.

Ueberrascht werden Sie nicht in dieser Novelle: auf der zweiten und dritten Seite wissen Sie das irdische Geheimniß, damit im Verfolg die klare Betrachtung der Entschleierung des göttlichen Geheimnisses nirgends gestört werde. Im gewöhnlichen Leben schürzen und lösen sich die Knoten der Schicksale von einem Tage zum andern, und in leisem Wechsel von Verwicklung und Entwicklung wird die leidende Seele groß und gut. Der gemeine Romandichter knäuelt und ballt die Schicksale in einen einzigen derben Knoten zusammen, den er nachher platzen läßt oder zerhaut. Kleist läßt die Heldin in einen solchen großen Knoten verwickelt werden, und sie ihn selbst mit natürlicher, herzlicher Kraft wieder auflösen; aber den Leser führt er, sanft, wie ein recht schönes Leben, aus leiser Spannung in leise Befriedigung, und so fort: es geschieht ohne alle einzwängende Qual, und wenn die Seele am Schlusse eines gemeinen Romans mit einem Glückseclat, mit einer brillanten Schlußdekoration belohnt wird, aus der sie immer wieder schmerzlich in das stille Helldunkel des gewöhnlichen Lebens und in den ruhigen Takt desselben zurückfallen muß, so bleibt hier für die ganze Dauer des Herzens, welches sie empfindet, eine harmonische und jeder anderweitigen Empfindung angemessene, freundschaftliche Schwingung zurück.

Das ist eines von vielem, welches ich Ihnen über diesen herrlichen Gegenstand zu sagen habe. – Was die Zeitgenossen darüber denken, ist gleichgültig! Alles recht göttliche muß wohl dreißig und mehrere Jahre in irdischer Umgebung so forttreiben, ehe es auch nur vom zweiten erkannt wird; dieß lehrt die Weltgeschichte, die Bibel, und wird auch das Schicksal der Werke lehren, welche der Phöbus verbreitet. Vielleicht sind Sie etwas zu frühzeitig, und das wäre Ihr einziger, schöner Vorwurf; aber auch dieser hält nicht Stich, weil sich unter unsern Freunden schon der zweite, der dritte, der vierte ihnen mit Bewunderung angeschlossen hat.

Adam H. Müller. <135:>